Mobilität in Niedersachsen: Fahrlehrer für Führerschein mit 16
Weil sich die Fahrerlaubnis mit 17 Jahren bewährte, will Ausbilder-Verband nun 16-Jährige in Begleitung ans Steuer lassen. Dafür müsste EU-Recht geändert werden. Der Minister lädt zum runden Tisch
Junge Fahranfänger sind häufig in Verkehrsunfälle verwickelt. Die Idee des Führerscheins mit 17 Jahren besteht darin, dass junge Menschen von Erwachsenen begleitet Fahrpraxis bekommen, quasi mit „Babysitter“. Bis zu drei Personen – Vater, Mutter, Oma oder andere – können als Begleitperson eingetragen werden, sofern sie über 30 Jahre alt sind, seit mindestens fünf Jahren fahren und maximal einen Punkt in Flensburg haben. Dies sei eine Art „verlängerter Fahrunterricht durch Hilfslehrer“, sagt der FDP-Verkehrsexperte Jörg Bode.
Niedersachsen startete 2004 besagten Modellversuch, der wissenschaftlich begleitet wurde. Gegenüber einer Kontrollgruppe von Fahranfängern, die ihren Führerschein regulär mit 18 Jahren machten, hatten die Teilnehmer nach der Begleitphase 28,5 Prozent weniger Unfälle verursacht und rund 20 Prozent weniger Verkehrsverstöße begangen. Seit 2008 kann in jedem Bundesland der Führerschein mit 17 Jahren gemacht werden. In Niedersachsen legt die Hälfte schon mit 17 die Fahrprüfung ab. Und sie fallen seltener durch als Ältere.
Doch die Zeit, in der die 17-jährigen Führerscheininhaber begleitet fahren, ist oft knapp, darauf verweist jetzt der niedersächsische Fahrlehrerverband. „Viele machen das nur ein halbes oder ein Vierteljahr“, sagt der Vorsitzende Dieter Quentin. Der Führerschein mit 16 Jahren gäbe mehr Spielraum.
Schon im Jahr 2013 beim 51. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar hatte sich ein Arbeitskreis zur Fahrausbildung einhellig dafür ausgesprochen, eine „Absenkung des Eingangsalters zur Verlängerung des Lernzeitraumes“ und damit einen Führerschein mit 16 Jahren zu prüfen. Doch die Idee wurde nicht weiter verfolgt.
Unter anderem gibt es rechtliche Grenzen. Da die Europäische Union (EU) den Führerschein ab 17 Jahren erlaubt, war die erste Herabsenkung von 18 auf 17 Jahren EU-rechtlich kein Problem. Weiter runter geht es aber nicht. Da müsste man richtig dicke Bretter bohren, hört man aus dem Verkehrsministerium.
„Ich kann mir durchaus vorstellen, dieses Erfolgsprojekt auszuweiten“, sagt Minister Olaf Lies. „Das Argument, dass viele junge Leute zum Beispiel wegen schulischer Belastung die mögliche Zeitspanne zwischen 17 und 18 Jahren nicht voll ausschöpfen, ist nicht von der Hand zu weisen.“ Keinesfalls ginge es darum, junge Leute früher unbegleitet ans Steuer zu lassen.
Dieter Quentin, Fahrlehrerverband
Lies wolle jetzt Experten von Polizei, Versicherungswirtschaft, ADAC, Landesverkehrswacht und den Fahrlehrerverband zu sich einladen, um das Thema zu erörtern. Sollte man sich gemeinsam für diesen Weg entscheiden, müsste Niedersachsen eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen, „mit dem Ziel, am Ende das entsprechende EU-Gesetz zu ändern“.
Klappt das, könnten künftige Fahrschüler gar schon mit 15,5 Jahren mit dem Unterricht beginnen. Bedenken, dass dies zu früh ist – immerhin traut man Kinder auch das sichere Radfahren erst ab 13, 14 Jahren zu – hat Verbandssprecher Quentin nicht. „Sicher sind bestimmte kognitive und psychomotische Fähigkeiten erforderlich“, sagt er. Doch schon heute traue man 16-Jährigen zu, den Führerschein der Klasse A1 für ein Leichtkraftrad mit bis zu 125 Kubikmeter Hubraum zu machen. „Damit kann man auch schon 100 fahren“, sagt er. Zudem dürften in der Landwirtschaft 16-Jährige schon Trecker und bis zu 40 Tonnen schwere Zug-Kombinationen fahren. „Da ist der Gesetzgeber ganz schmerzfrei.“
Es spreche viel dafür, das Thema im Landtag anzusprechen, sagt FDP-Fraktionsvize Jörg Bode. „Wenn es sinnvoll ist, schon ab 16 Jahren in Begleitung zu fahren, um Unfälle zu vermeiden, darf es nicht am Europarecht scheitern.“ Rot-Grün solle „alle politischen Hebel“ in Gang setzen.
Ökonomische Interessen steckten nicht hinter dem Vorstoß, heißt es im Ministerium. Schließlich mache jeder nur einmal Führerschein. Abseits der Großstädte sei der für die meisten Menschen beruflich notwendig, sagt Quentin. Und dass ein selbstfahrendes Auto die menschlichen Fahrkünste überflüssig macht, werde „in den nächsten Jahrzehnten nicht passieren“.
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