Minister Özdemir bietet Kompromiss an: Weniger Werbeverbote, mehr Kritik
Ernährungsminister Özdemir will nun Reklame für ungesundes Essen zu kürzeren Zeiten und an weniger Orten als geplant verbieten. Mediziner rügen das.
Der Grünen-Politiker hatte am Samstag angekündigt, seinen Gesetzentwurf aufzuweichen. „Die Werbeeinschränkung für ungesunde Lebensmittel soll wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr gelten. Im ersten Entwurf war 6 bis 23 Uhr an allen Tagen vorgesehen. Im Hörfunk verzichten wir auf eine Sendezeit-Regelung“, sagte Özdemir der Rheinischen Post.
Beim Plakatverbot im Umkreis von 100 Metern von Plätzen, an denen Kinder sich aufhalten, wolle er sich konzentrieren auf Kindertagesstätten (Kitas) und Schulen. Vorher war auch von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen die Rede, in deren Umkreis nicht für Lebensmittel mit mehr Zucker, Fett und Salz als im Gesetz erlaubt geworben werden soll.
Özdemir ergänzte: „Und wir stellen klar, dass es kein Verbot von Werbung für Lebensmittel in Schaufenstern gibt. Zudem weiten wir die bereits vorhandene Ausnahme von Milch und Fruchtsäften auf Joghurt aus, der nicht extra gesüßt ist“. Das bedeutet, dass für Naturjoghurt auch weiterhin zum Beispiel im Micky Maus-Magazin geworben werden dürfte.
Oliver Huizinga, Deutsche Adipositas-Gesellschaft
„Zugeständnisse an die FDP“
„Je weniger Werbung für ungesunde zuckerige, fettige, salzige Produkte die Kinder erreicht, desto besser ist der Schutz“, sagte Huizinga von der Adipositas-Gesellschaft, die Wissenschaftler, Therapeuten und andere Experten für das Krankheitsbild organisiert. Mit seinem Kompromissvorschlag nehme Özdemir in Kauf, dass der Kinderschutz geschwächt werde. „Das sind offenkundig Zugeständnisse an die FDP, die das ganze Vorhaben blockiert.“
Özdemir hatte seinen Referentenentwurf im März den anderen Bundesministerien vorgelegt. Doch bisher konnte er sich nicht mit den von der FDP geleiteten Ressorts einigen. Das Vorhaben wird massiv bekämpft von der Lebensmittel- und der Werbewirtschaft sowie der Bild-Zeitung und rechtsradikalen Medien.
Stärker dürfe der Entwurf nicht entschärft werden, verlangte Huizinga. Wenn die FDP dennoch auf weitere Abstriche poche, stelle sich „die liberale Partei gegen die Chancengerechtigkeit und die Kindergesundheit“. „Sie hat mit dieser Haltung die Eltern, die Ärzteschaft, medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften und Krankenkassen gegen sich.“ Huizinga warf der FDP einen „falsch verstandenen Freiheitsbegriff“ vor.
Der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko, hatte bereits kritisiert, dass Plakatwerbung etwa für Süßigkeiten in der Nähe von Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen weiterhin erlaubt wäre. Auch mit den gekürzten Verbotszeiten für Fernsehwerbung zeigte er sich den RND-Zeitungen zufolge unzufrieden: „Wenn man Kinder und ihre Gesundheit wirkungsvoll schützen will, sollten die Zeiten von 6.00 bis 23.00 Uhr wochentags und am Wochenende eingeschlossen werden.“
Mal wieder Ampel-Clinch
Die FDP ist aber auch mit Özdemirs Kompromissangebot nicht einverstanden. „Ich halte die von Cem Özdemir nun vorgelegten und erneuerten Pläne weiterhin für falsch“, sagte Wolfgang Kubicki, Vize-Vorsitzender der Partei, der Rheinischen Post vom Montag. „Denn ob das Werbeverbot helfen wird, das eigentliche Gesundheitsproblem, nämlich den Bewegungsmangel der Kinder, zu beheben, wird auch der Ernährungsminister nicht behaupten“, so Kubicki. „Das Werbeverbot zielt ja darauf ab, die Kinder als die Verantwortlichen ihrer schlechten Ernährung zu sehen. Das ist aber in den seltensten Fällen richtig. In erster Linie werden die Kinder durch ihr Elternhaus geprägt. Ein Werbeverbot für Kinder läuft völlig ins Leere und ist deshalb nichts anderes als politischer Aktionismus“, ergänzte der Bundestagsvizepräsident.
Damit scheint Kubicki jedoch hinter den Koalitionsvertrag der Ampelparteien zurückzufallen. Darin haben sie vereinbart: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“
Fehlernährung trägt dazu bei, dass laut Robert-Koch-Institut 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig und damit später anfällig für Krankheiten wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes oder Herzinfarkt sind. Özdemirs Gesetzentwurf sieht deshalb Werbeverbote beispielsweise für alle Süßigkeiten vor. (mit epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin