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Mindestlohn für Ost­eu­ro­päe­r:in­nenPraktikable Modelle gefragt

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Pfle­ge­r:in­nen steht der Mindestlohn auch für Bereitschaftszeiten zu – das könnte zu noch mehr Schwarzarbeit führen. Legale Arbeit wird teurer.

Sozialverbände müssen nun schnell praktikable und rechtssichere Vertragsmodelle entwickeln Foto: Tom Weller/dpa

S chon die Werbung sagt, worum es geht: „24 h-Pflege“. Wer sich ei­ne:n ost­eu­ro­päi­sche:n Pfle­ge­r:in vermitteln lässt, geht davon aus, dass die­se:r den Großteil des Tages und auch der Nacht für die Betreuung der alten Eltern zur Verfügung steht. Dass im Arbeitsvertrag nur „30 Stunden pro Woche“ vorgesehen sind, ist eine offensichtliche Lüge.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat nun entschieden, dass die tatsächlich erwartete und geleistete Arbeitszeit zu honorieren ist – inklusive Bereitschaftszeiten. Vor allem Letzteres war umstritten. Für diese Zeiten ist nun auch der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 9,50 Euro zu bezahlen. Ein:e ost­eu­ro­päi­sche:r Pfle­ge­r:in schlägt dann nicht mehr mit brutto rund 2.000 Euro zu Buche, sondern mit mehr als dem Dreifachen.

Das macht eine legale Beschäftigung von osteuropäischen Pfle­ge­r:in­nen natürlich weder einfacher noch attraktiver. Schon heute, so wird geschätzt, wird nur ein Fünftel der Hel­fe­r:in­nen mit offiziellen Verträgen beschäftigt. Weithin überwiegt die Schwarzarbeit – mit allen Folgen einer fehlenden sozialen Absicherung und fehlenden Unfallschutzes.

Der mithilfe des DGB erreichte Erfolg einer bulgarischen Klägerin beim Bundesarbeitsgericht könnte also nach hinten losgehen und zu noch mehr Schwarzarbeit führen. Der Weg aus der Grauzone der Verträge mit Pseudoarbeitszeiten, die nicht ernst gemeint sind, führt also nicht zwingend zu soliden und angemessen bezahlten Arbeitsverhältnissen.

In dem Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts ging es nur um die Bezahlung. Das Arbeitszeitrecht hat aber auch eine Schutzfunktion. Auch gut bezahlte Beschäftigte brauchen Pausen und dürfen in der Regel nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten. Mit der Praxis der Pflege im Haushalt hat auch das wenig zu tun. Pfle­ge­r:in­nen steht der Mindestlohn auch für Bereitschaftszeiten zu – das könnte zu noch mehr Schwarzarbeit führen. Legale Arbeit wird teurer.

Politik und Sozialverbände müssen nun schnell praktikable und rechtssichere Modelle für die Verträge mit osteuropäischen Pfle­ge­r:in­nen entwickeln. Für die alternde Gesellschaft in Deutschland wird das auf jeden Fall teurer werden.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • Da werden wieder zwei schwache Gruppen gegeneinander ausgespielt: Entweder, die Pfleger erhalten Mindestlohn oder die Pflegebedürftigen können sich häusliche Pflege leisten (besonders die untere Mittel- bis Unterschicht).



    Die Pfelgebedürftigen sollen bitte den Mindestlohn unterstützen oder ins Pflegeheim gehen, wenn denn ein Platz frei ist, und ihr häusliches Umfeld halt aufgeben. Das meiste Geld haben sie sowieso schon aufgegeben, für mehr als Essen und Fernsehen bleibt selten Geld übrig.



    Was macht man da als Betroffener, besonders als Alleinstehender? Kauft man sich Windeln, also Inkontinenzhöschen, die auch teuer sind und verzichtet halt bis auf den morgendlichen Toilettengang auf alle weiteren am Tag? Schämt man sich seiner Bedürfnisse, weil man damit andere ausbeutet?



    Pflegedienst mit höchster Pflegestufe = zweimalige Betreuung für eine halbe Stunde am Tag. Jeder möge das Experiment über eine Woche selbst machen: Toilettengang auf eine festgelegte halbe Stunde morgens und abends beschränken, dazwischen bitte verzichten oder Windel anziehen, die aber nicht gewechselt werden darf, weil man das ggf. als Pflegebedürftiger nicht alleine kann.

    Es sollte NICHT dazu kommen, dass man Menschen dazu verführt, sich für ihre Pflegebedürftigkeit zu schämen und mit dieser andere auszubeuten. Es sollte ebenfalls NICHT dazu kommen, dass ausländische Kräfte weniger bezahlt bekommen als inländische.

    Fazit kann aber auch nicht sein, dass man auf einen Grundbedarf an Pflege aus Solidarität dann verzichtet. Dies liegt für einige Pflegebedürftige nun evtl. nahe!

  • Ja, wo kämen wir hin, wenn auch Leute, die etwas Geld haben, sich zur Gunsten von ärmeren Menschen aus Osteuropa an Gesetze halten müssen?

    Ist das ein Plädoyer der taz für eine Klassengesellschaft mit einer Unterklasse von Immigranten, für die keine sozialen Standards gelten?

    Wenn private Pflege zu teuer ist, brauchen wir kollektive Lösungen wie bei der Rente. Der grün wählenden Mittelschicht fällt mit dem Urteil auf die Füße, dass sie die ganze Zeit gedacht hat, dass sie von Individualisierung und Abbau sozialer Systeme profitieren kann. Stellt sich raus dass die Pflege so nicht billiger wird und allein auch von recht gut bemittelten Menschen schwer zu tragen ist. Na so was aber auch.

  • Oha, also nicht nur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in Schlachthöfen und bei der Spargel- und Erdbeerernte, nun auch noch in der Pflege. Dass das noch nie jemandem aufgefallen ist, der einen 24/7 Pflegevertrag für Brutto 2000 Euro eingekauft hat. Womöglich gar mit gutem sozialen Gewissen eingekauft hat, seit CDU/CSU/SPD/FDP mit ihrem Programm "Sozial ist, was Arbeit schafft!" auf Tournee sind. Und für sie der Kampf gegen die Schwarzarbeit nur durch niedrigste Mindestlöhne, Befristungen, Mini-und Midijobs und Jobcenter Druck gewonnen werden kann, während die Arbeitgeberflucht aus Tarifbindungen ihre Blütezeit erlebte. Wo obendrein noch systematisch der Braindrain mit Zweigstellen der Arbeitsämter im europäischen und internationalen Ausland gefördert wird, um unsere Wettbewerbsfähigkeit durch kostengünstigere Arbeitskräfte zu erhalten.



    Die Jeans für 9,99 und das T-Shirt für 90 Cent ist darüber hinaus unser globaler Beitrag zum Programm "Sozial ist, was Arbeit schafft!"

    Es gibt sie immer noch, die 1. Welt, die 2.Welt, die 3.Welt und die gottgewollten Klassenunterschiede zwischen Arm und Reich. Wer sich kein Brot leisten kann, muss sein Geld nur in Kuchenaktien anlegen!

  • Manche Menschen haben offensichtlich Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die mit der Sklavenhaltung.

    Und das übliche konservative Argument "ja, dann arbeiten halt mehr Leute schwarz" ist, mit Verlaub, dumm.

    Das sind nämlich genau dieselben Leute, die ständig nach härteren Strafen im "Krieg gegen..." (Drogen, Graffitti, etc.) fordern.

    Merkt Ihr was?

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Das ist nicht so, wie es in dem Kommentar dargestellt wird. Bereitschaftsdienst -Zeiten sind in Tarifverträgen schon seit Jahrzehnten üblich und geregelt. Wenn Sie z.B. als Arzt, nach dem normalen Dienst in den Bereitschaftsdienst gingen, wurde dieser je nach Belastung, in Stufen B, C, D eingeteilt, A entsprach einer Rufbereitschaft ( keine stationäre Anwesenheitspflicht, also zu Hause schlafen) und wurde am geringsten entlohnt. So ähnlich wird es es auch nun in Zukunft laufen, wobei ja von dem Mindestlohn, dann noch Unterkunft und Verpflegung in Rechnung gestellt wird oder die Pflegerin nimmt sich extern noch ein ZimmerWohnung und leistet dann Rufbereitschaft. Es wird allenfalls etwas teurer ( Max. 40%), wobei die Zeche am Ende die Pflegenden zahlen. Versuchen Sie mal als Rumāne/in einZimmer in Deutschland zu mieten, viel Glück. Bietet der zu Pflegende das Zimmer im Haus oder der Wohnung an, orientiert er sich an den Preisen einer WG(400€)+Kost, also insgesamt etwa 600€, diese Summe wird vom Lohn abgezogen. Ich schâtze eine Pflegende kommt auf ca 3000€ und das gerichtsfest.

  • Wurde auch Zeit

    Ich kenne das aus eigener Erfahrung und hoffe jetzt, dass nicht wieder irgendeine Lücke im Gesetz gefunden wird und die Pflegerinnen weiter um ihren Lohn geprellt werden.

  • Am Ende ist damit niemandem geholfen, ausser vielleicht den Gewerkschaften, die vermeintlich für ihr Mitglieder etwas "erkämpft" haben: Schutzpreise für Deutsche. Dann kann sich nur noch die supergutbetuchte Gesellschaft ein 24h-Pflege leisten. Der Rest darf ins Heim oder muss von Angehörigen 24h versorgt werden.

    • @TazTiz:

      Die Alternative für Sie ist also, dass man als "arme/r" Deutsche/r noch ärmere Osteuropäerinnen ausbeuten darf? Mit den bisherigen Preisen wurden doch die Deutschen geschützt und priviligiert. Würden Sie für 30x8 € / die Woche anstelle der Osteuropäerin deren Job übernehmen, oder ist es für Sie einfach ein zu akzeptierender Klassenunterschied?



      Ich kenne dies anders von Leuten mit Handicap, die einen 24h- Assisstenz benötigen und hierzu bis zu drei Leute beschäftigen, die nach einer mehrtägigen 24h-Betreuung eben auch eine mehrtägige Ruhezeit haben, und ja zumindest Mindestlohn bekommen. Und trotzdem ist es ein harter Job für sie.

      • @Hans aus Jena:

        Die häusliche Intensivpflege für Einzelpersonen ist am Ende unbezahlbarer Luxus. Es ist wie bei der Spargel-Ernte. Entweder bezahlbar mit Osteuropäern oder gar nicht. Das können Sie drehen und wenden wie Sie wollen.