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Minderheitsregierung in ThüringenEin wenig euphorisches Ja

„Nicht ‚lindnern‘, sondern Verantwortung übernehmen“: SPD und Grüne haben dem Koalitionsvertrag in Thüringen zugestimmt.

Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt und Bernhard Stengele, die neuen Landesprecher*innen der Grünen in Thüringen Foto: Arifoto UG/dpa

Erfurt/Apolda taz | Zwei der drei Thüringer Minderheitskoalitionspartner haben am Wochenende dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Bei nur etwa zehn Prozent Gegenstimmen votierte ein SPD-Parteitag am Freitagabend in Erfurt für die Fortsetzung der seit 2014 arbeitenden Koalition mit Linken und Grünen, die allerdings bei den Landtagswahlen im vorigen Herbst ihre Mehrheit verlor.

Bei der Landesdelegiertenkonferenz der Bündnisgrünen am Samstag in Apolda stimmten 93 der 109 Delegierten für den Vertrag. Die Linke, mit 31 Prozent Wählerstimmen mit Abstand der größte Koalitionspartner, befragt noch bis zum Ende der kommenden Woche ihre Mitglieder.

„Nicht ‚lindnern‘, sondern Verantwortung übernehmen“, lautete unter Anspielung auf den FDP-Rückzug nach der Bundestagswahl 2017 der generelle Tenor bei beiden Parteien. Zwischen Spitzenpersonal und Parteibasis bestehen in dieser Gestaltungsabsicht kaum Differenzen.

„Lieber mitgestalten als Opposition“, gab SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee die Linie vor. Dabei mischt sich der ambitionierte Wunsch nach Umsetzung politischer Ziele mit der Einsicht in die Unmöglichkeit, jenseits der AfD eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden.

„Man will, aber kann nicht“

Von Euphorie war also wenig zu spüren. Den Hauruck-Optimismus eines immer strahlenden Wolfgang Tiefensee empfinden manche Thüringer Sozis sogar als aufgesetzt. Steffen Dittes, stellvertretender Landesvorsitzender der Linken, sprach vielmehr von einem „mit angezogener Handbremse formulierten Koalitionsvertrag“.

Als Gastredner bei beiden Parteien kamen von ihm die klarsten strategischen Ansagen mit Blick auf die kommende Arbeit einer Minderheitskoalition. Er sprach von einem „linken Wertemodell“, das man einer nach rechts tendierenden Mehrheit entgegensetzen müsse. Das schließe ein, dass die unterschiedlichen Koalitionspartner über das Politikangebot links der Mitte auch produktiv streiten.

Grünen-Fraktionschef Dirk Adams sieht Durchsetzungsmöglichkeiten jenseits der Parlamentsmehrheiten beispielsweise über die kommunale Ebene.

Wie schwierig eine solche Minderheitskonstellation durchzuhalten ist, schilderte aus eigener Erfahrung als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen Norbert Walter-Borjans, der neue SPD-Vorsitzende. Gleichwohl plädierte auch er für die Fortsetzung von RRG.

In der entscheidenden Frage der zumindest partiellen Projektzusammenarbeit mit CDU oder FDP zeigten sich Unterschiede. Lutz Liebscher, SPD-Landtagsabgeordneter aus Jena, wollte „Signale an CDU und FDP“ senden. Bei den Bündnisgrünen hält sich solcher Optimismus in Grenzen, vielmehr wird eine Blockade durch den Mitte-Rechts-Block unter Einschluss der AfD befürchtet.

Gleichwohl war in Apolda auch von Chancen die Rede, die der Zwang zur Diskussion angestrebter Vorhaben über die Koalition hinaus bringt. Grünen-Fraktionschef Dirk Adams fühlt das Hemmnis eines „Man will, aber kann nicht“, sieht aber Durchsetzungsmöglichkeiten jenseits der Parlamentsmehrheiten beispielsweise über die kommunale Ebene.

Grüne wählen neuen Landesvorstand

Beiden Juniorpartnern stecken aber die Stimmenverluste bei der Landtagswahl spürbar „in den Knochen“, wie die bisherige Umweltministerin Anja Siegesmund auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen formulierte. Die SPD wirkt zerknirschter. „Nicht der Wähler ist schuld, sondern wir“, wird vor dem Tagungssaal das 8,2-Prozent-Ergebnis kommentiert. „Die Leute haben die Nase von Erklärungen!“

In dieser defensiven Situation werden die Rufe nach Profil und Unverwechselbarkeit laut. Roland Merten, der ehemalige Staatssekretär im Kultusministerium, beklagte, dass die SPD als Partei der Bildung dieses Ministerium aufgegeben habe und lehnte den Koalitionsvertrag ab. Den Grünen tut weh, dass die Zuständigkeit für Migration ohne Not aus dem Justizministerium in das linksgeführte Sozialministerium wandert. Die bisherige grüne Migrationsbeauftragte Miriam Krupper wird dort allerdings Abteilungsleiterin.

Die Thüringer Bündnisgrünen wählten in Apolda zugleich einen neuen Landesvorstand. Neue Sprecher sind Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt und der Regisseur Bernhard Stengele.

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2 Kommentare

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  • "Den Grünen tut weh, dass die Zuständigkeit für Migration ohne Not aus dem Justizministerium in das linksgeführte Sozialministerium wandert." Na, nach dem Lauinger-Debakel (Lauinger war der grüne Justizminister, der nur scheibchenweise zugab, wie intensiv er für seinen Sohn beim Bildungsministerium intervenierte und sich deswegen einem Untersuchungsausschuss stellen musste) war dieser Mann eine lame duck, und die Grünen hier in Thüringen konnten nur noch mit einer Ministerin, nämlich der Umweltminsterin Siegesmund, sich in die Öffentlichkeit trauen. Konsequent wäre gewesen, den Mann vor drei Jahren auszutauschen, dann hätte man mit der guten Sacharbeit, die Grün durchaus auch hier auf dem Gebiet geleistet hat, auch öffentlich punkten können. So ist der Verlust auch selbst verschuldet. Bleibt zu hoffen, dass die zur Abteilungsleiterin gewordene Miriam Krupper auch bei der linken Sozialministerin ihre Handlungsfreiräume behält.

  • „Nicht ‚lindnern‘, sondern Verantwortung übernehmen“, lautete unter Anspielung auf den FDP-Rückzug nach der Bundestagswahl 2017 der generelle Tenor bei beiden Parteien. “

    Wo ist da die Parallele zur Bundestagswahl? Gibt es irgendwelche Hürden zwischen bei den beiden Parteien, die so unüberwindlich oder groß waren, die einer Weiterführung einer Koalition zweier sozialdemokratischer Parteien im Wege standen? Die alten SED-Deppen in der Linkspartei? Die heute nichts mehr zu sagen haben?