Milliarden für bessere Kitas: Das „Geld-für-alles-Gesetz“

5,5 Milliarden Euro verteilt Familienministerin Giffey für bessere Kitas an die Länder. Viele stecken das Geld auch in Gebührenfreiheit.

Familienministerin Giffey hüpft mit Kindern

Nun alles gut? Familienministerin Giffey in einer Kita Foto: Christian Charisius/dpa

BERLIN taz | Es sind gute Wochen für Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Erst hat die Freie Universität Berlin entschieden, dass Giffey ihren Doktortitel behalten darf. Vergangene Woche hat dann das Bundeskabinett Milliarden für den Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder lockergemacht. Diese Woche nun bringt die Ministerin ihr bislang größtes politisches Projekt unter Dach und Fach: das „Gute-Kita-Gesetz“.

Am Dienstag reiste Giffey deswegen zu ihrem nordrhein-westfälischen Amtskollegen nach Düsseldorf. Und am heutigen Mittwoch empfängt sie der hessische Sozialminister in Wiesbaden. Giffey wird mit zwei unterschriebenen Verträgen zurück nach Berlin kommen. Und die sind nicht nur für die Kitas in NRW und Hessen von größter Bedeutung.

Zwar ist das „Gute-Kita-Gesetz“ der Bundesregierung schon seit Januar in Kraft. Doch von den 5,5 Milliarden Euro, mit denen Städte und Kommunen bis 2022 die Qualität der Kinderbetreuung verbessern sollen, ist bislang noch kein einziger Cent geflossen. Erst jetzt, nachdem alle Bundesländer einen gesonderten Vertrag mit Giffeys Ministerium ausgehandelt und unterschrieben haben, wird das Geld – auch rückwirkend für 2019 – überwiesen. Und wie immer, wenn der Bund in Bildung investiert, wird es kompliziert.

Da auch frühkindliche Bildung Ländersache ist, gibt es 16 sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man das Geld am liebsten einsetzen möchte. Dafür reicht ein Blick in die jeweiligen Vereinbarungen.

Personal, Essen, Zeit

Thüringen etwa will den Einsatz „multiprofessioneller Teams“ an Modellkitas testen, NRW die Öffnungszeiten der Kitas ausweiten, Baden-Württemberg die Qualifizierung von Tagespflegepersonal verbessern. Sachsen möchte mehr Zeit für „mittelbar pädagogische Tätigkeiten“ in den Einrichtungen ermöglichen, Brandenburg die Elternbeteiligung stärken und Rheinland-Pfalz die Küchen in den Kitas besser ausstatten. Die meisten Bundesländer gönnen sich ein ganzes Bündel an Maßnahmen.Die Leipziger Frühpädagogikprofessorin Susanne Viernickel spricht von einem „Geld-für-alles-Gesetz“.

Damit das föderale Chaos einigermaßen übersichtlich bleibt, hat Franziska Giffey die Länder gebeten, ihre Maßnahmen zehn vorgegebenen Handlungsfeldern wie „Starke Kitaleitung“ oder „Bedarfsgerechter Ausbau“ zuzuordnen.

Doch längst nicht alle investieren dort, wo Bildungsexpert:innen gerade den dringendsten Bedarf sehen. So wollen nur 11 der 16 Bundesländer mit den Giffey-Geldern den Betreuungsschlüssel verbessern – obwohl bundesweit nur rund ein Drittel der Krippenkinder (bis 3 Jahre) und der Kindergartenkinder (über 3 Jahre) in den Vorzug eines guten Betreuungsschlüssels kommen. Besonders gravierend ist die Situation in den ostdeutschen Bundesländern.

Dort kommen mit 5,9 im Schnitt fast doppelt so viele Kleinkinder auf eine Erzieher:in wie in den westdeutschen Ländern.

Sachsen Schlusslicht

Die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation fällt sogar noch schlechter aus. Denn im Personalschlüssel der amtlichen Statistik kann die Arbeitszeit, die Erzieher:innen statt mit Kindern für Verwaltung oder Elterngespräche verwenden, nicht rausgerechnet werden. Vor allem in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sei die Betreuungssituation für Krippenkinder „unhaltbar“, sagt Kathrin Bock-Famulla, die bei der Bertelsmann Stiftung den Bereich Frühkindliche Bildung leitet.

„Wenn sich eine Fachkraft zum Teil um bis zu zehn Krippenkinder kümmern muss, kann sich das negativ auf die kognitive und soziale Entwicklung des Kindes auswirken“, warnt Bock-Famulla. Das werde von den politischen Entscheidungsträgern oft unterschätzt. Seit 2008 bringt die Bertelsmann Stiftung einen jährlichen Monitor zur frühkindlichen Bildung heraus. „Der Betreuungsschlüssel ist einer der wichtigsten Faktoren für die Kita-Qualität“, sagt Bock-Famulla. Das sei in der Forschung anerkannt. „Leider gibt es hier auch heute noch in fast jedem Bundesland dringenden Handlungsbedarf.“

Doch bundesweit einheitliche Zielvorgaben, wie etwa einen verbindlichen Personalschlüssel, sucht man im „Gute-Kita-Gesetz“ vergeblich. Ein entsprechender Antrag der Grünen-Fraktion im Bundestag wurde abgelehnt, obwohl sich die Sachverständigen im Familienausschuss mehrheitlich dafür ausgesprochen hatten, darunter der Bundesverband Kindertagespflege und das Deutsche Jugendinstitut. Die Bundesregierung sei beim Versuch, Mindeststandards für Kitas bundesgesetzlich zu verankern, vor den Ländern eingeknickt, kritisierten die Grünen.

Die Kommunen hingegen begrüßen, dass ihnen der Bund keine Qualitätsstandards diktiert. Die Anforderungen und Probleme seien je nach Kommune „höchst unterschiedlich“. Familienministerin Giffey selbst lobt die „Flexibilität“ ihres Gesetzes: „Wir bieten den Ländern einen Instrumentenkasten, aus dem sie die für sich passenden Angebote anhand ihres Bedarfs auswählen können“, warb Giffey bei der Abstimmung im Bundestag.

Trend zur Gebührenfreiheit

Selbst in die Beitragsfreiheit der Eltern dürfen die Bundesmittel fließen. In diesem Punkt hat sich die SPD bei der Abstimmung des Gesetzes gegen den Koalitionspartner CDU/CSU durchgesetzt. Und von diesem Angebot machen auch 10 Bundesländer Gebrauch. Selbst Bayern weitete dieses Jahr seine Beitragszuschüsse an Eltern in Höhe von 100 Euro pro Monat auf alle Kindergartenkinder aus – und finanziert dieses Geschenk nun auch mit den erwarteten Bundesmitteln aus Berlin.

Mecklenburg-Vorpommern steckt seinen Anteil am „Gute-Kita-Gesetz“ – 106 Millionen Euro – trotz miserabler Betreuungsquoten sogar komplett in die Elternentlastung. Kein Wunder: Zum 1. Januar 2020 werden Kitas im ganzen Bundesland komplett gebührenfrei sein. Damit ist Mecklenburg-Vorpommern nach Berlin das zweite Bundesland, in dem die Kita höchstens einen Zuschuss fürs Essen kostet.

Auch Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben in den vergangenen Jahren Eltern entlastet. Nun stecken sie – mit Ausnahme von Hamburg und Niedersachsen – die erwarteten Bundesgelder auch in die Gebührenfreiheit.

Ekin ­Deligöz, Mitglied im Haushaltsausschuss der Bundestagsfraktion der Grünen, hat errechnet, dass die Länder zwischen 2018 und 2022 etwa 4,7 Milliarden Euro für Beitragsbefreiungen ausgeben. Deligöz spricht beim „Gute-Kita-Gesetz“ deshalb von „Etikettenschwindel“. Anstatt selbst in die Qualität der Kitas zu investieren, lässt man den Bund zahlen. In der Summe, so die Sorge, stagniere die Qualität.

Geld bis 2022 oder länger?

Ministerin Giffey hält dagegen: „Es geht darum, dass wir die Entlastung der Eltern bei den Gebühren auch als einen Aspekt von Teilhabe und Qualität verstehen.“ Tatsächlich nehmen Eltern, seitdem sie einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben, das Betreuungsangebot stärker wahr. Allerdings belasten Kitagebühren arme Familien übermäßig stark, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt. Deshalb sollen die Länder auf Giffeys Wunsch hin die Kita­gebühren für besonders bedürftige Eltern künftig ganz erlassen.

Auch wenn die Länder unterschiedlich über Gebühren und Gebührenbefreiung denken, in einem Punkt sind sie sich einig: Dass der Bund die Mittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ auch über 2022 hinaus zahlen sollte. „Wir erwarten jetzt, dass sich Frau Giffey durchsetzt und die Bundesmittel entfristet werden, um nachhaltig beste Bildungschancen für unsere Kinder zu ermöglichen“, forderte Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp (FDP) vor dem Treffen am Dienstag mit Giffey. Ähnlich hatten sich vor ihm auch die zuständigen Minister:innen anderer Bundesländer geäußert.

Das Problem ist nur: Giffey hat die dauerhafte Beteiligung des Bundes zwar mehrfach als sicher dargestellt, noch gibt es dazu keinerlei formellen Beschluss. Lediglich im Abschlussbericht der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ verspricht die Bundesregierung, dass sie ihre „Verantwortung für die Qualität in der Kindestagesbetreuung über 2022 hinaus wahrnehmen wird“. Was das konkret heißt, weiß niemand.

Beruf nicht sexy

Doch selbst wenn Giffey den Bundesländern diesen Wunsch erfüllt und die Mittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ dauerhaft fließen: Den Fachkräftemangel wird sie nicht so schnell in den Griff kriegen können. Laut der Prognose des Nationalen Bildungsberichts werden im Jahr 2025 300.000 Erzieher:innen fehlen. Bildungsexpertin Bock-Famulla von der Bertelsmann Stiftung empfiehlt deshalb, mehr Fokus auf die Ausbildungs- und Arbeitssituation von Erzieher:innen zu legen. Bisher würden Erzieher:innen während der Ausbildung etwa nicht vergütet, sondern müssen Schulgeld zahlen.

Auch verlässt jede:r Vierte das Arbeitsfeld Kita nach den ersten fünf Berufsjahren. Zu viel Stress, zu geringe Bezahlung. Oft kommen auch noch befristete Verträge hinzu, die dazu führen, dass zu viele Erzieher:innen hinschmeißen.

Immerhin einige Länder scheinen verstanden zu haben. Baden-Württemberg, das Saarland, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen haben sich darauf geeinigt, die Ausbildung für Erzieher:innen attraktiver zu gestalten. Mit dem Geld aus Berlin.

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