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Militäreinsatz in Gaza-StadtViele Tote bei Hilfsauslieferung

Beim Massensturm auf einen Hilfskonvoi kommt es zu Schüssen. Die Hamas spricht von einem „Massaker“ von Israels Armee, Israel von einer „Massenpanik“.

Verletzte im Shifa-Krankenhaus am Donnerstag, 29. Februar in Gaza-Stadt Foto: AP

Gaza afp/dpa/taz | Nach einem israelischen Militäreinsatz während der Verteilung von Hilfsgütern in der Stadt Gaza am Donnerstag haben die von der radikalislamischen Hamas geführten Behörden mindestens 104 Tote gemeldet. Weitere 760 Menschen seien während des Ansturms auf die Hilfslieferungen verletzt worden, sagte ein Sprecher des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen. Er sprach von einem „Massaker“.

Auch die Regierungen in Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien machten Israel für die Todesfälle verantwortlich. Aus israelischen Sicherheitskreisen hieß es, Soldaten hätten das Feuer eröffnet, weil sie davon ausgingen, dass von der Menge „eine Bedrohung ausging“. Der Vorfall ereignete sich am frühen Donnerstagmorgen, als 30 Lastwagen mit humanitärer Hilfe an der Küste von Gaza-Stadt ankamen.

Ein Zeuge sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass sich die Gewalt an einem Kreisverkehr im Westen der Stadt ereignete. „Die Lastwagen voller Hilfsgüter kamen einigen Armeepanzern, die sich in der Nähe befanden, zu nahe, und die Menge, tausende Menschen, stürmte einfach auf die Lastwagen zu“, sagte der Zeuge. „Die Soldaten feuerten auf die Menge, als die Menschen den Panzern zu nahe kamen.“

Das israelische Militär sagte, nach einer ersten Untersuchung des Vorfalls wurden die meisten Opfer durch Zertrampeln und Zusammenstöße mit den Hilfslieferwagen getötet. Tausende von Palästinensern hätten sich auf die Lastwagen gestürzt, nachdem sie einen Checkpoint des israelischen Militärs passiert hätten. Dabei sei es zu einer Massenpanik gekommen.

Nur Warnschüsse?

Die Armee erklärte, sie habe nicht auf die Menschenmenge geschossen, die den Haupt-Hilfskonvoi überrannte. Sie räumte aber ein, dass die Truppen das Feuer auf mehrere Be­woh­ne­r*in­nen des Gazastreifens eröffneten, als diese sich auf Soldaten und einen Panzer an dem Checkpoint des israelischen Militärs zubewegt und die Soldaten gefährdet hatten.

Ein Offizier habe den Sol­da­t*in­nen befohlen, Warnschüsse in die Luft abzugeben. Weniger als zehn der Verletzten, so das Militär, seien auf israelisches Feuer zurückzuführen. Die Hamas warnte in einer Stellungnahme, dass der Vorfall zu einem Scheitern der Verhandlungen über eine Feuerpause und einen Austausch von israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen führen könnte.

Israel wartet derzeit auf eine Antwort der Hamas bezüglich eines Vorschlags zu einer Feuerpause, der von Ägypten, Katar und den USA in Paris zusammengezimmert wurde. Die Verhandlungen gingen in den vergangenen Tagen in Katar weiter. Am Donnerstag kehrte die israelische Delegation aus Doha zurück. Es könne kein Durchbruch bei den Verhandlungen für eine Feuerpause und zur Freilassung von Geiseln vermeldet werden, sagte ein Sprecher des katarischen Außenministeriums am Dienstag.

Biden nicht mehr optimistisch

Auch US-Präsident Joe Biden sagte auf die Frage einer Reporterin in Washington, dass er angesichts des Vorfalls nicht mehr mit einer Einigung bis Montag rechne. Der 81-Jährige hatte Anfang der Woche entsprechende Hoffnungen geweckt und gesagt: „Ich hoffe, dass wir bis kommenden Montag eine Waffenruhe haben werden.“

Biden sagte auch, dass es „zwei konkurrierende Versionen der Geschehnisse“ gebe. Die USA würden überprüfen, was passiert sei.

Martin Griffiths, Leiter des UN-Nothilfebüros Ocha, zeigte sich „entsetzt“ über die Tötung und Verwundung von Hunderten von Menschen. In einem Beitrag auf X stellte er fest, dass der Gazastreifen auch nach fast fünf Monaten „brutaler Feindseligkeiten immer noch die Fähigkeit hat, uns zu schockieren“.

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14 Kommentare

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  • Zum Handeln im Namen der Humanität darf ich Rafik Schami zitieren (2011):



    "Ich weiß, meine Damen und Herren, was sind schon 2000 oder 3000 Euro Hilfe? Viele werden sagen, ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber als erfahrener Koch und Chemiker kann ich Ihnen garantieren, dass die Begegnung von einem heißen Stein mit einem Wassertropfen Dampf erzeugt, und zwei Tropfen erzeugen mehr Dampf, und viele Tropfen bewegen die Lokomotive der Menschlichkeit vorwärts.



    Auch sollten wir uns bei der Gelegenheit daran erinnern, dass ein reißender Fluss nur aus vielen kleinen Tropfen besteht."



    www.gegen-vergesse...r-demokratie/2011/



    /



    Irgendwann ist jetzt.



    /



    "Friedensnobelpreis für Welternährungsprogramm



    "Die Notwendigkeit internationaler Solidarität und multilateraler Zusammenarbeit ist augenfälliger denn je", sagte die Vorsitzende Berit Reiss-Andersen."



    (...)



    "Dies ist natürlich auch ein Aufruf an die internationale Gemeinschaft, das Welternährungsprogramm nicht unterzufinanzieren." Hunger zu verhindern, trage dazu bei, Stabilität und Frieden in der Welt zu schaffen."



    Quelle reuters.com 2020

  • Es gibt derzeit zwei sehr unterschiedliche Darstellungen der tragischen Geschichte.



    Es sollte vermieden werden, hier vorschnell zu urteilen.



    Es sei, in diesem Zusammenhang, an den angeblichen Raketenangriff Israels auf ein Krankenhaus erinnert, bei dem angeblich 500 Menschen starben.



    Es stellte sich heraus, dass weder die Opferzahlen stimmten, noch ein gezielter Angriff vorlag.



    Es handelte sich, im Gegenteil, um eine Rakete der Hamas, die auf dem Parkplatz vor der Klinik explodierte.



    Eine Untersuchung ist eine gute Idee,



    Vorverurteilungen sind es nicht.

    • @Philippo1000:

      Es war zwar nicht das Krankenhausgebäude selbst, sondern nur ein zugehöriger, daneben liegender Parkplatz, auf dem aber trotzdem viele Menschen Zuflucht gesucht hatten, weil ja zumindest zu diesem Zeitpunkt, zu Beginn des Krieges, Krankenhäuser noch als sicherer Zufluchtsort galten.

  • Hilfslieferungen gibt es in Gaza schon seit Jahrzehnten.



    Warum erst jetzt zu einer Massenpanik?

    • @sollndas:

      Die Menschen verhungern!

  • Die Hamas muss die Geiselnahme beenden und sich ergeben.

  • Auf Verhungernde schießen und ihnen dann die Schuld dafür geben.

    • @elma:

      Die Hamas ist zu allem fähig.

      • @Tino Winkler:

        Das würde ich der Hamas auch zutrauen.

        • @Henriette Bimmelbahn:

          Auch Wartende auf Hilfsgüter kamen schon vor vergangenem Donnerstag mehrmals unter Beschuss. Von Mitte Januar bis Ende Februar verzeichnete das Uno-Menschenrechtsbüro mindestens 14 Vorfälle, bei denen Menschen, die in Gaza-Stadt auf Hilfsgüter warteten, beschossen wurden.

          Die Arbeit der Hilfswerke wird immer schwieriger, manche Gebiete sind für sie kaum mehr zugänglich. Sie appellieren deshalb seit Wochen eindringlich auf eine Waffenruhe, die noch immer auf sich warten lässt.

          Eine Recherche des US-Senders CNN hat unterdessen im Detail aufgezeigt, wie Israel die Hilfstransporte in den Gazastreifen behindert. Diese werden in einem intransparenten bürokratischen Kontrollsystem von Israels Militärverwaltung inspiziert. Dabei werden laut dem Bericht zum Beispiel dringend benötigte Anästhesiemittel oder Sauerstoffzylinder zurückgewiesen, auch Wasserfiltersysteme oder Krebsmedikamente. Selbst Datteln oder Schlafsäcke haben Inspektoren der hungernden, in Zelten frierenden Bevölkerung laut dem Bericht mit absurden Begründungen verweigert.



          Quelle Der Spiegel: www.msn.com/de-de/...r-luft/ar-BB1je1tb

          • @Des247:

            Der CNN- Bericht ist leider alles Andere, als detailliert. Die Begründungen für die Zurückweisung bestimmter Güter kommt ziemlich kurz.

            Nehmen wir an, eine Wasserpumpe wird zurückgewiesen. Warum? Werden alle Typen abgewiesen, oder nur bestimmte? Gibt es auch Typen die problemmlos passieren dürfen?

            Das Blockade- und Inspektionssystem besteht seit Jahrzehnten. Mittlerweile müssten doch die Organisationen aus Erfahrung wissen, was ohne größere Schwierigkeiten durchkommen kann? Schließlich wurden dort über Jahrzehnte Kanrkenhäuser betrieben! Ein Laster der ausschließlich mit Mehlsäcken beladen ist, wird man ja wohl kaum zurückweisen?

            Ihr Link verweist wiederum auf einen Link bezüglich der 14 Vorfälle, wo aufs Hilfsgüter wartende beschossen wurden. Unter "Download report" kommt jedoch auch kein detaillierter Bericht, sondern nur ein Stellungnahme für die Presse,

  • Warum gibt es die Waffenruhe nicht schon seit vorigem Montag? Dann wäre nicht Militäreinsatz und zivile Versorgung so durcheinander geraten. Israel verheizt in Gaza offenbar junge Militärs, die noch keine Ahnung haben von juristischen Maßstäben wie Verhältnismäßigkeit auch militärischen Vorgehens. Israel gibt dem militärischen Vorgehen den Vorrang vor dem Humanitären. Das ist mit ein Grund für den Vorfall, der vielleicht vergleichbar ist mit der Bundeswehroberst-Klein-Affäre in Afghanistan, auch ein Musterfall von Ausblendung von Verhältnismäßigkeit zugunsten egomanen Militärschlagserfolgskalküls.

  • Ich verstehe einfach nicht warum in diesem Zusammenhang nicht auch von Gräueltaten gesprochen wird. Die verzweifelten, hungernden Menschen wollen natürlich alle auch etwas abbekommen von den Hilfsgütern und dann eröffnen die Israelis das Feuer weil sie sich irgendwie bedroht fühlen? Über 100 Tote 750 Verletzte? Ich kann es einfach nicht fassen !!

    • @Des247:

      Es gibt noch Viele, die ihre Informationen nicht nur aus Quellen einer Seite in diesem Konflikt beziehen, und nicht gleich alles glauben, was Ihnen aufgetischt wird. Warum von Gräueltaten sprechen, wo doch noch gar nicht klar ist, was genau vorgefallen war? Auch jetzt, Tage später ist vieles unklar. Vorbehaltlos kann man keiner Seite glauben. Die Glaubwürdigkeit der Isr. Seite ist angeschlagen, die der Hamas nahezu nicht existent.

      Mir erscheint aber nicht glaubhaft, dass das israelische Militär anfängt bewusst Zivilisten nieder zu schießen, die sich nur Lebensmittel holen wollen. Zumal ich Anzeichen dafür sehe, das der Konvoi von Isr. selbst organisiert wurde: wegen des Chaos haben Hilfsorganisationen Transporte nach Nordgaza eingestellt, keine hat ihn für sich reklamiert; dennoch tauchen dort Lastwägen auf und werden von COGAT gemeldet.

      Der wichtigste Faktor scheint zu sein, dass sich dies alles in den frühen Morgenstunden ereignet hatte, wo es noch dunkel war. In einer Stadt ohne Stromversorgung. Durcheinander – Dunkelheit – ein Kriegsumfeld mit Kämpfern in Zivil und Sprengstoffgürteln unter der Kleidung - da kann mancher Soldat Zivilisten fälschlich als Bedrohung wahrnehmen. In einer vergleichbaren Situation hätten Sie wahrscheinlich auch geschossen.

      Man kann ja nicht mal sicher wissen, ob die über 100 Toten wirklich diesem Vorfall zuzurechnen sind – oder ob die Hamas nicht Tote anderer Kämpfe (oder aus natürlicher Ursache) dazurechnet.