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Militäreinsätze im SahelStrukturen statt Sicherheit

Kommentar von Katrin Gänsler

Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden Ängste vor Terrorismus geschürt. Das verkennt die tatsächlichen Probleme vor Ort.

Ein Camp für Geflüchtete aus der Sahelzone in Dori, Burkina Faso im November 2020 Foto: Zohra Bensemra/reuters

Z umindest zwei Einsichten hat es im Rahmen des G5-Sahel-Gipfels in N’Djamena – Europa nahm per Videokonferenzen teil – gegeben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat betont, dass staatliche Strukturen in die besonders von Gewalt betroffenen Regionen im Sahel zurückkehren müssen. Neben Sicherheit brauche es Dienstleistungen für die Bevölkerung sowie Perspektiven. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte, der Schlüssel zum Erfolg liege bei den Regierungen der fünf Sahelstaaten, die ihren Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit fortsetzen müssten.

Das ist zwar alles andere als neu, erkennt aber immerhin indirekt an, dass die bisherige militärische Strategie ohne Einbeziehung der Bevölkerung gescheitert ist. Alleine in Mali sind im Rahmen verschiedener Missionen Tausende internationale Sol­da­t*in­nen stationiert. Doch nichtstaatliche Organisationen beklagen zu Recht, dass 2020 eines der tödlichsten Jahre für Zi­vi­lis­t*in­nen war. Warum der Antiterrorkampf nicht funktioniert? Die Terroristen sind im Sahel weniger das Problem. Stattdessen sind es kaum funktionierende Staaten. Die Verantwortlichen haben bei Gewalt an den weit von den Hauptstädten entfernten Staatsgrenzen viel zu lange weggeschaut, sie haben Staatsmonopole aus der Hand gegeben und lassen ihren Sicherheitsapparat brutal agieren. Vor allem sind sie von der Bevölkerung entfremdet.

In Mali ist das während der Amtszeit von Ex-Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, der im August 2020 gestürzt wurde, besonders deutlich geworden. Schon vor seiner Wiederwahl 2018 war klar, wie desillusioniert die Bevölkerung von der politischen Elite war. Es fehlte nur eine Alternative. Nach anfänglicher Hoffnung hatte sich unter Keïta vieles wieder verschlechtert. Vor allem hatte sich die Gewalt aus dem Norden ins Zentrum ausgebreitet. Dazu kamen Luxuseskapaden der Elite. Schlagzeilen machte vergangenes Jahr Präsidentensohn Karim, der, so war es in einem Video zu sehen, wild auf einer Luxusyacht gefeiert hatte.

In Burkina Faso zeigt sich der dysfunktionale Staat an den zahlreichen Selbstverteidigungsmilizen wie den Koglweogo. Vor Jahren gründeten sie sich, um Dörfer in ländlichen Regionen vor Viehdieben zu schützen. Mittlerweile haben die Hilfssheriffs einen staatlichen Segen und übernehmen Aufgaben der Polizei, obwohl sie keine Ausbildung haben und es mit Menschenrechten nicht so genau nehmen.

Im Süden des Nigers sowie im Norden Nigerias ist indes ein Korridor entstanden, über den Mitglieder von Terrorgruppen ausgetauscht werden. Beobachtern zufolge lassen sich über diesen Weg auch Menschen und Drogen durch die ganze Region schmuggeln. Niemandsland ist auch die Grenze nach Mali in der Region Tillabéri geworden, in der erst Anfang des Jahres mehr als 100 Menschen ermordet wurden. Für Sicherheit sorgt dort schon lange niemand mehr.

Vielerorts ist gar nicht klar, ob hinter Angriffen Dschihadisten stecken oder Banden, die etwa Drogen schmuggeln

Dazu kommen weitere Herausforderungen, etwa Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Polizei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat seit Ende 2019 mehr als 600 Ermordungen durch Sicherheitskräfte im Zentralsahel dokumentiert, die so gut wie nie aufgearbeitet werden. Zugenommen haben Ausschreitungen zwischen verschiedenen Ethnien in Mali und Burkina Faso, die über eigene Kämpfer verfügen. Auch macht der Klimawandel der Region zu schaffen. Ausbleibende Regenfälle wie Überschwemmungen sorgen dafür, dass Lebensgrundlagen wegbrechen. Bei einem Bevölkerungswachstum von bis zu 3,6 Prozent (Niger) sind diese wichtiger denn je. Das lässt erahnen, wie komplex die Lage im Sahel ist und dass es keine einfachen – militärischen – Lösungen gibt.

Dennoch ist es leichter, alles auf den Terrorismus zu schieben, statt sich mit dem Staatsversagen auseinanderzusetzen. Dabei ist vielerorts gar nicht klar, ob hinter Angriffen Dschihadisten stecken, ob es lokale Banditen oder organisierte Verbrecherbanden sind, die ganze Regionen unter ihre Kontrolle bringen wollen, um etwa Drogen zu schmuggeln.

Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden also Ängste geschürt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte im vergangenen Jahr in einem Interview: „Die Sahelzone ist eine Schlüsselregion für Europas Sicherheit.“ Es ging wohl eher um die Sorge, dass West­afri­ka­ne­r*in­nen weiter über das Mittelmeer nach Europa kommen. Dabei findet Migration vor allem in der Region und gemessen an absoluten Zahlen nur selten in Richtung Europa statt. Dass also ausgerechnet dort westafrikanische Terroristen künftig Anschläge verüben sollen, klingt unwahrscheinlich.

Ohnehin sind diese eher regional in Westafrika als international vernetzt. Sicher, es gibt Ausnahmen wie den aus Algerien stammende Mokhtar Belmokhtar. Er war Anführer der Bewegung Al-Mourabitoun und gilt als Drahtzieher für den Anschlag auf das Hotel Radisson Blu in Bamako im Jahr 2015. Doch Terrornetzwerke wie al-Quaida und der Islamische Staat (IS) sehen Bewegungen aus Westafrika eher als „kleine Brüder“ an, die sich erst im Terrorkampf beweisen sowie Geld und Waffen mitbringen müssen.

Auch handelt es sich in der Region weniger um überzeugte Dschihadisten, sondern mehr um Söldner, die sich den Gruppen oft infolge von psychischem Druck und Einschüchterungen anschließen oder mit der Hoffnung, zu Geld und Ansehen zu kommen. In Staaten, in denen es kaum soziale Durchlässigkeit gibt, ist das auf anderem Wege kaum möglich und in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden.

Deshalb müssen dringend strukturelle Probleme gelöst werden, statt ständig die Antiterrorkampf-Rhetorik zu bemühen. Dafür braucht es aber innenpolitischen Willen und umfassende Reformen. Davon ist bisher nichts zu spüren.

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Westafrika-Korrespondentin
Nach dem Abitur im Münsterland bereiste sie zum ersten Mal Südafrika und studierte anschließend in Leipzig, Helsinki und Kopenhagen Journalistik und Afrikanistik. Nach mehreren Jahren im beschaulichen Schleswig-Holstein ging sie 2010 nach Nigeria und Benin. Seitdem berichtet sie aus ganz Westafrika – besonders gerne über gesellschaftliche Entwicklungen und all das, was im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat.
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6 Kommentare

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  • Ich kann das Argument mit dem angeblichen Interesse Frankreichs an den Uranvorkommen echt nicht mehr hören. Ich kenne die Region seit über 25 Jahren, kenne auch die französische Uranmine im Niger und die Prospektione in Mali und Mauretanien.



    Orano, der Konzern welcher die Mine im Niger betreibt verzögert seit Jahren die Erweiterung, da sich der Bedarf nicht wie erhofft entwickelt hat. was soll also Frankreichs Interesse sein, sich noch mehr solche Klötze ans Bein zu binden?



    Die Goldminen in Mali sind auch nicht oder kaum in EU Hand, eher sind dort Australier, Südafrikaner und so vertreten, auch wird das Gold nicht per Seeweg sondern per Flugzeug exportiert. Insgesamt spielt und spielte Nouakchott als Hafen nie eine grosse Rolle bei der Versorgung Malis, sondern die Tranporte gehen über Dakar / Senegal, über Lomé/Togo und so weiter. Ausser Gold und Baumwolle gibt es kaum nennenswerte Exporte aus Mali, Burkina Faso und Niger. Es gibt einige kleinere Ölvorkommen, an denen z.B. China arbeiten und daher eine Pipeline vom Niger nach Benin plant, sonst ist da nicht viel, was den angeblichen kapitalistisch-imperialistischen Einsatz finanziell rechtfertigen würde.



    Die Staaten waren schon als Kolonien defizitär für Frankreich, und sie werfen ganz sicher nicht genug Gewinne ab, um so einen Einsatz zu finanzieren. Eher geht es Frankreich um die Kontrolle in der Region, um das alte Bild der "Grande Nation" und um die Vermeidung einer Ausweitung des Konfliktes in die Cote D'Ivoire, nach Benin, Togo oder den Senegal.



     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • Wer über die Sahel sprechen möchte, der muss sich Mauretanien anschauen. Dieses islamistisch geführte Land ist die grösste Sklavenhaltergesellschaft der Welt. Die Sklaven kommen heute auch aus Libyen, es sind die “abgefischten” Flüchtlinge – EU-finanziert. Die Regierung Mauretaniens wird vom Europarat im Rahmen des Cybercrime-Programms dabei unterstützt, Dissidenten zu jagen und das Internet zu zensieren. Weshalb ist Mauretanien so wichtig?

    Mali und die anderen Sahel-Staaten sind unglaublich rohstoffreich. Vor allem auch Uran und Gold gibt es dort im Überfluss. Aber die meisten sind Binnenländer.

    Der Hafen, über den die Rohstoffe abtransportiert werden, ist in Mauretanien. Der neue wurde von einem chinesischen Unternehmen gebaut.

    Die Islamisten sorgen dafür, dass die Rohstoffländer instabil bleiben. Das Umschlagsland Mauretanien wird dagegen stabil gehalten – und mit ihm eine Regierung, die aus genau den Islamisten besteht, die in den anderen Ländern bekämpft werden.

    Honi soit qui mal y pense.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    1.. Unabhängige "" Commission of Inquiry on Syria "" - schaut zurück auf 10 Jahre von furchtbaren Menschenrechtsverletzungen in Syrien

    www.ohchr.org/EN/H...fInquirySyria.aspx

    2.. Was bedeutet das für die Sahelzone?

    Zum Aufbau von ""Failed States"" braucht es einen Zustand des Nicht - Kriegs.



    a.. Den können nur Truppen garantieren.

    b.. der Fehler in Syrien:



    die verbleibenden Akteure - Russland, Iran & Türkei sind am geopolitischen Zugewinn



    interessiert - nicht an den Menschenrechten.

    da das Assadregime derzeit noch nicht einmal die verbleibenden Bewohner mit Nachrungsmitteln ausreichend versorgen kann und daran weder Russland, noch der Iran und auch nicht die Türkei interessiert sind ist die Verlängerung des Krieges auf unabsehbare Zeit in Syrien vorprogrammiert.

    fazit:



    Besser franz. Truppen in der Sahelzone als anderen zweifelhaften Terroristen und Akteuren das Feld zu überlassen - um dann den Einfluss völlig zu verlieren.

  • Fällt dir nichts, aber auch garnichts ein an guter Außenpolitik, dann schickst du Militär.

    Die Bundeswehr in Mali hat den Sinn, die französischen Freunde zu unterstützen bei der Sicherung der Uranvorkommen. Von Aufbau und Hilfe für die Installation einer zivilen Gesellschaft war nie die Rede. Mit der Zerstörung des reichsten nordafrikanischen Staates, Libyen, hat die Koalition der Bombenwerfer genau jenen Ansatz zerstört, der den Versuch unternahm, eine eigenständige afrikanische Struktur zu schaffen. Es hat im Westen niemanden interessiert, ob Gaddafi ein Diktator war. Gestört hat sein Bemühen, Afrika mehr zu konsolidieren und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch westliche Länder zu verringern.



    Letztendlich wird hier nur das beklagt, was der Wertewesten dort angerichtet hat. Denn auch der Terrorismus ist anfangs durch den Wertewesten begünstigt worden. Ich erinnere daran, wie die damalige algerische Regierung vor Jahrzehnten verurteilt wurde, als sie mit scharfen Maßnahmen gegen islamistischen Terror vorging und in der Sahara alte Forts zu Gefängnissen umbaute.

  • Liebe Frau Gänsler,



    Sie haben sicherlich recht damit, dass diese Konflikte zu vielschichtig sind in Ursachen und Akteuren, in nationalen und regionalen Unterschieden, um sie rein militärisch zu lösen.



    Gleichzeitig sind in vielen Bereichen wie dem Norden und Osten Malis, dem Osten Burkinas und Teilen des Niger die so wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteure unter grossem Druck seitens islamistischer Gruppen, sind Schulen und Gesundheitseinrichtungen geschlossen etc.



    Es gab in vielen dieser Gebiete schon vor 25 Jahren wenig "Staat", jetzt gibt es diesen umsoweniger, dafür faschistoide islamistische Gruppen, eine Mischung aus Warlords und Rebellengruppen, mit teils nicht unerheblichen finanziellen Mitteln. Der Bevölkerung wird es nicht besser gehen, wenn diesen Gruppen im Rahmen eines Abzuges z.B. der französischen Truppen das Terrain überlassen wird. Eher muss wieder staatliche und soziale Strukturen geben, das geht aber nur mit Sicherheit und dazu braucht es tragbare Konzepte und das Einbinden der lokalen Bevölkerung bei gleichzeitigem Vorgehen gegen die genannten Gruppen.



    Die terroristischen Aktivitäten beschränken sich ja auch nicht nur auf das von Ihnen genannte Radisson Hotel, so wurde das Hotel Splendid in Ouagadougou in die Luft gesprengt, wurden Grenzposten, Buskonvoys und vieles mehr angegriffen.

  • ich denke mal, b e i d e s ist nötig. Strukturen u n d bzw. unter militärischem Mindestschutz. Sonst werden wieder und wieder Schulkinder von islam. Milizen entführt und Mädchen werden am Lernen gehindert. Ja, es braucht mehr Entwicklungshilfe, demokratisch legitimierte Politzei und Rechtsstaat. So etwas baut man nicht mal eben im Handumdrehen auf. Warum bilden wir nicht Flüchtlinge aus dem Sahel bei uns aus und lassen sie als Entwicklungshelfer unter dem schützenden Dach Deutschlands/der EU in ihre Heimat zurück kehren und als Insider die nötigen Veränderungen mit anstoßen? Aber das braucht auch Schutz. Ohne wirksame Polizei- und Soldaten-Ausbildung ...auch in Grund- und Menschrechten... bringen schöne worte nur heiße Luft. Verhütung muss an Schulen gelehrt werden dürfen, sonst geht die Bevölkerungsexplosion (Bsp. Niger) dort weiter. Das geht aber nur mit einem demokratisch reformierten Islam und nicht mit den Scharmützeln der Scharia-Fundamentalisten.