Mikroplastik im Boden: Die unterschätzte Gefahr

19.000 Tonnen Kunststoff landen jährlich im Boden von Äckern und Wiesen. Das Mikroplastik bleibt dort für immer – mit fatalen Folgen.

Leere Plastikflasche schwimmt in grünem Wasser

Eindeutig ein Fremdkörper, die Flasche im Meer. Genau solche Bilder fehlen bei Plastikmüll im Boden Foto: Reuters

BERLIN taz | Äcker und Wiesen sind deutlich stärker mit Kunststoffen verschmutzt als die Meere. So lautet das Ergebnis einer Studie, die das Fraunhofer Institut Umsicht und das Institut für Ökologie und Politik (Ökopol) für den Naturschutzbund (Nabu) erstellt haben. Sie liegt der taz vor. Besonders betroffene Böden könnten durch Kunststoffmüll und Mikroplastik schon in den nächsten 20 Jahren an Wert verlieren.

„Kompostieranlagen betrachten Kompost mit einem Kunststoffanteil von mehr als 0,1 Prozent als unverkäuflich, weil die Kunden das nicht akzeptieren“, sagt Studienautor Jürgen Bertling von Fraunhofer Umsicht, „diesen Wert haben wir auch für die landwirtschaftlichen Böden angelegt“. Angesichts von Bodenversiegelung und steigendem Bedarf an fruchtbarem Acker sei der Wertverlust alarmierend.

In Öffentlichkeit und Forschung ist das Thema trotzdem unterbelichtet. Mit Plastikseilen gefesselte Schildkröten, mit Plastikmüll vollgefressene Wale – das seien emotionale Bilder, sagt Katharina Istel, Referentin für Ressourcenpolitik beim Nabu, solche Bilder gebe es nicht für Böden. Deshalb sind in den vergangenen Jahren Millionensummen ausgegeben worden, um gegen Plastikmüll im Meer vorzugehen. Beim Boden hingegen sind die meisten Fragen offen.

Wie viel Mikroplastik sich auf welchen Flächen und Bodenschichten befindet – und was es dort bewirkt –, ist kaum erforscht. Wie Mikroplastik etwa auf Pflanzen wirkt, die es mit ihren Wurzeln aufnehmen, wie es Springschwänze, Bakterien oder Pilze beeinflusst, dazu fehlten Studien, sagt Autor Bertling. Es gebe Hinweise darauf, dass die für Pflanzen notwendige Symbiose mit Bodenlebewesen gestört werden könne.

Problem Klärschlamm

Der Forschungsbedarf sei immens. Auch die Nabu-Studie bietet keine repräsentativen Bodenanalysen für verschiedene Standorte, sondern Mengenschätzungen der Kunststoffe, die auf Wiesen und Felder gelangen. Die Autoren gehen von jährlich rund 19.000 Tonnen Kunststoff aus. Rund 20 Prozent entstammen dabei direkt der Landwirtschaft, 80 Prozent werden von außen eingetragen.

Das größte Problem ist dabei Klärschlamm, der mehr als die Hälfte der betriebsfremden Mikroplastikemissionen ausmacht. „Kläranlagen sind die Nieren unserer Kommunen“, sagt Bertling. „Vom Abrieb der Reifen im Regenwasser über Mikroplastik aus Putzmitteln bis zu Kunststofffasern aus der Textilwäsche – alles landet darin.“ Auch die Anlagen selber tragen zur Verschmutzung bei: Sie verwenden Hilfsmittel zur Flockung, also zur Säuberung, etwa aus Polyacrylamiden. Diese Kunststoffe sind nicht verboten – und verbleiben zum Teil im gereinigten Wasser.

Zwar müssen die Landwirte in den nächsten Jahren schrittweise auf Klärschlamm verzichten, ab 2032 dürfen sie nur noch wenig ausbringen. Die Ausbringung müsse aber ganz verboten werden, fordert Istel. Schließlich enthalte der Schlamm nicht nur Mikroplastik, sondern auch Arzneimittelrückstände oder Biozide. „Klärschlamm müsste sauber verbrannt und darin enthaltenes Phosphor zurückgewonnen werden“, so Istel.

Landwirtschaft trägt zur Plastifizierung bei

Kompost und Gärreste verursachen 8 Prozent der von außen eingebrachten Kunststoffemissionen. „Anders als Klärschlamm trägt er zum Humusaufbau bei“, sagt Istel, „darum ist es richtig, Kompost weiter zu nutzen“. Es seien Bildungsarbeit und Informationskampagnen wichtig, damit die Bevölkerung weniger Plastik in die Biotonne werfe. „Plastiktüten haben darin nichts verloren“, sagt die Ressourcenexpertin.

Die rund 3.600 Tonnen Kunststoff, die die Landwirte absichtlich selbst in die Böden einbringen, entstammen Düngemitteln, Bodenverbesserern, Pflanzenschutzmitteln, Saatgut oder Hilfsmitteln wie Folien oder Bewässerungssystemen. In Düngemitteln sorgen Polyurethane oder Harnstoffharze dafür, dass Stickstoff, Phosphor und Mineralien langsam und gleichmäßig abgegeben werden.

Katharina Istel, Nabu

Mikroplastik aus Böden zu entfernen, ist unmöglich

Das „Coating“ mit Poly­acryl­amiden oder Polyvinylalkoholen schützt Saatgut und bindet etwa Chemikalien, mit denen Samen gegen Pilze behandelt werden. Und Bodenverbesserer, also Schaumstoffe oder Gele, sollen den Boden auflockern und etwa Erdbeeren oder Gemüse langfristig mit Wasser versorgen. Werden sie intensiv genutzt, bringen sie zum Teil über 400 Kilogramm Mikroplastik pro Jahr und Hektar in die Böden.

„Es gibt jeweils gute Gründe, Polymere einzusetzen“, sagt Bertling, „aber wollen wir wirklich, dass die Grundlagen unserer Ernährung nur mithilfe von Plastik wachsen?“ Es sei jetzt Aufgabe der Wissenschaft, Zielkonflikte – etwa mehr Pflanzenschutzmittel wegen des Verzichts auf Folien – zu lösen. Nabu-Expertin Istel fordert eine umfassende Strategie zum Kunststoffeinsatz in Landwirtschaft und Gartenbau und mehr Forschung zu biologisch abbaubaren Kunststoffen.

Dringend fordern die Autoren, Kunststoffeinträge in die Landschaft schnell zu reduzieren – denn „Mikroplastik aus Böden zu entfernen, „ist ökologisch und ökonomisch unmöglich“, sagt Istel.

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