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Migrationspolitik in GroßbritannienDen Rechten nachlaufen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Labour-Regierung von Premier Keir Starmer will die Migration stark eingrenzen. Als er die Pläne vorstellt, klingt er wie der Rechtspopulist Nigel Farage.

Der britische Premierminister Keir Starmer spricht mit markigen Worten zum Thema Migration, London am 12. Mai 2025 Foto: Ian Vogler/pool/reuters

E in Regierungschef, der vor Überfremdung warnt und ankündigt, anders als seine Vorgänger endlich Ordnung zu schaffen, die Landesgrenzen unter Kontrolle zu bekommen und die Einwanderung zu verringern – wo würde man den politisch verorten? Richtig: bei der Sozialdemokratie in Zeiten desaströser Umfragewerte. Das am Montag von Großbritanniens Labour-Premierminister Keir Starmer veröffentlichte Weißbuch zu einer neuen Migrationspolitik ist zwar ein relativ technischer Katalog detaillistischer Einzelmaßnahmen, die die ab der Regierungszeit von Boris Johnson massiv gestiegene legale Zuwanderung reduzieren sollen.

Doch Starmer stellte das in so markigen Worten vor, dass man ihn glatt mit Nigel Farage verwechseln könnte, dessen rechtspopulistische Partei Reform UK gerade die Regionalwahlen in England gewonnen hat. Der Labour-Premier setzte hohe Einwanderung mit „Chaos“ gleich und warnte vor einer Verwandlung Großbritanniens in eine „Insel von Fremden“.

Es ist ein Paradox, das europäische Beobachter nur schwer verdauen dürften: Die Konservativen waren es, die die britischen Grenzen weit öffneten für legale Zuwanderung aus aller Welt statt wie zuvor nur aus der EU. Die Labour-Regierung will sie jetzt wieder schließen. Die Migration ist nicht der einzige Politikbereich, in den diese vordergründig verkehrte Welt einzukehren scheint. Am Dienstag verkündete die Regierung Starmer, sie werde den Entwicklungshilfeetat halbieren – unter dem konservativen Premierminister David Cameron hatte Großbritannien einst als erstes G7-Land das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungshilfe erreicht.

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So verschiebt Labour die politischen Koordinaten. Die rechten Forderungen eines Nigel Farage werden der Standard, an dem sich andere messen. Gewinnen kann Starmer dieses Rennen nicht. Selbst nach Angaben der Regierung wird die neue Migrationspolitik die Zahl legaler Migranten lediglich um 100.000 pro Jahr reduzieren – viel zu wenig, um diejenigen zu befriedigen, die von „Überfremdung“ überzeugt sind. Starmers politisches Scheitern ist also vorprogrammiert. Wer davon profitiert, ist klar.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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4 Kommentare

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  • Da spricht ein Regierungschef, der schon relativ kurz nach seiner Wahl mit kaum mehr Stimmen als Corbyn, aber zwischen Reform UK und Torries gespaltenem rechten Wählerpotential, weiß, dass die politischen Mittel, die er sich selbst erlaubt (Steuern und Schulden) nie im Leben ausreichen werden, um den positiven Unterschied im Leben der Menschen zu machen, den es brauchen würde für eine Wiederwahl. Ich befürchte Reform UK wird groß werden bei der nächsten Wahl und mit Koalitionen (Labour/SNP/Lib.Dem) kann das politische System und vor allem die Presse in UK nicht umgehen.

  • "Die Labour-Regierung von Premier Keir Starmer will die Migration stark eingrenzen. Als er die Pläne vorstellt, klingt er wie der Rechtspopulist Nigel Farage."



    Überall dieselbe Vorgehensweise, um die Rechten einzudämmen. Und nirgendwo funktioniert sie.

  • "Es ist ein Paradox, das europäische Beobachter nur schwer verdauen dürften: Die Konservativen waren es, die die britischen Grenzen weit öffneten für legale Zuwanderung aus aller Welt statt wie zuvor nur aus der EU. ... . Am Dienstag verkündete die Regierung Starmer, sie werde den Entwicklungshilfeetat halbieren – unter dem konservativen Premierminister David Cameron hatte Großbritannien einst als erstes G7-Land das 0,7-Ziel für Entwicklungshilfe erreicht."

    na gut, und wo sind die Tories gerade auch deswegen jetzt? DAS sollte den europäischen Beobachtern doch zu denken geben.

  • Natürlich haben die Konservativen und Liberalen die Grenzen weit geöffnet,schließlich profitiert ja die Wirtschaft vom stetigen Nachschub an ausbeutbaren Mindestlohnempfängern. Deshalb ist es auch ganz natürlich, wenn jetzt eine Vertretung der kleinen Leute und Arbeiter die Grenzen wieder etwas schließt, weil die eigene Klientel von der neuen Konkurrenz keine großen Vorteile hat. Das ist also nur dann ein Paradox, wenn man die Situation der einfachen Leute völlig falsch einschätzt.