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Migrationspolitik der UnionBrutal zurück

Unionsfraktionschef Brinkhaus kritisiert die „brutale Offenheit im Bereich Migration“ der Ampelkoalition – und zeigt die Verzweiflung seiner Partei.

Kein Zurück in die Zeit der brennenden Migrantenhäuser: Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, 1992 Foto: Christian Jungeblodt/laif

Brutale Offenheit. Bei dieser Wortkombination handelt es sich um ein Oxymoron. Der gute alte Duden sagt, der Name dieser rhetorischen Figur bedeute „klugdumm“ und komme vom griechischen oxýs, was so viel bedeutet wie „scharf, spitz, scharfsinnig“, und móros, was „einfältig, dumm“ heißt. Das passt zu dem, was der Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus einen Tag nach Vorstellung des Koalitionsvertrags im Deutschlandfunk-Interview über die migrationspolitischen Ziele der Ampel­koa­li­tion gesagt hat: „Wir hätten sicherlich nicht diese brutale Offenheit im Bereich Migration gehabt.“

Warum haut Brinkhaus so früh am Morgen mit so widersprüchlichen Konstruktionen um sich? Das neue Regierungsbündnis hat in finanz- und sozialpolitischen Fragen zweifellos einen starken, dominanten Gelbstich. Man muss aber auch feststellen, dass dieses progressiv-neoliberale Bündnis in gesellschaftspolitischen Fragen Maßnahmen plant, die mit der Union nicht möglich waren.

Der Paragraf 219a, der Ärztinnen und Ärzten verbietet, über sichere Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wird abgeschafft. Im Bereich innere Sicherheit klingt es danach, als wolle die Ampelregierung das angehen, was die Union mit Innenminister Horst Seehofer lange blockierte: Sicherheitsbehörden sollen besser kontrolliert werden, etwa mit einem unabhängigen Polizeibeauftragten, der Einsatz von V-Leuten soll parlamentarisch nachvollziehbar werden.

Und auch in der Migrationspolitik sollen Dinge passieren, die mit der Union selbst unter der ach so progressiven Angela Merkel nicht möglich gewesen wären: Die Ampelkoalitionäre schreiben von mehr legalen Fluchtwegen, einer Zusammenarbeit mit einer Koalition der Willigen, falls die Herausforderung der Migration nicht auf EU-Ebene gelöst werden kann, wonach es derzeit stark aussieht. Die neue Regierung will dafür eintreten, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken und dass zivile Seenotrettung nicht mehr behindert wird. Sie will Bleibeperspektiven schaffen, Integrationskurse für alle, keine Arbeitsverbote, geduldete Azubis sollen eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und der Zugang zum Arbeitsmarkt für Mi­gran­t:in­nen grundsätzlich erleichtert werden.

Erwartbar zynisch

Natürlich müssen diese Vorsätze dann an Taten gemessen werden. Aber sie liefern auch so schon eine Projektionsfläche für eine konservative Partei auf Identitätssuche. Deshalb sind Brinkhaus’ Worte erwartbar zynisch: Man denke bei der Wortkombination „brutale Offenheit“ einmal an die gegenwärtige Situation vieler Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze. Und diese Worte klingen zynischer, wenn man bedenkt, dass auch ihr Urheber weiß: Deutschland leidet unter Fachkräftemangel, ist ein Land, das wegen seiner demografischen Entwicklung rein ökonomisch auf Migration angewiesen ist. Die FDP, deren lautesten Akteure gern auf den Grenzen nach Rechts balancieren, wenn es ihnen politisch opportun vorkommt, dürfte die neue liberale Migrationspolitik deshalb nicht so sehr als Zugeständnis empfinden.

Brinkhaus’ Worte, der in seiner Partei alles andere als ein rhetorischer Hardliner ist, dienen nun also insgesamt als Indikator für den Grad der Verzweiflung der konservativen Partei. Sie erfüllen somit ein weiteres Kriterium für ein Oxymoron, nämlich, dass die Wendung, „die logisch betrachtet zunächst einmal widersprüchlich“ sei, „bei näherer Betrachtung und in bestimmten Zusammenhängen aber durchaus einen (Hinter)sinn“ offenbare. Der „(Hinter)sinn“ von „brutale Offenheit im Bereich Migration“ lautet: Die Konservativen in Deutschland sind am Arsch und wissen nicht wie weiter.

Manche sehen in Friedrich Merz die Erlösung. Merz soll die Union entmerkelisieren, zu ihrem wahren Kern zurückführen. Auch Brinkhaus scheint an diese Überlebensnotwendigkeit zu glauben. In dieser Zeitung schrieb ein Kollege vor Kurzem, dass Merz als Parteivorsitzender dafür sorgen könne, dass das Konservative nicht heimatlos werde, dass sonst das Erstarken der blaubraunen Alternative drohe.

Die Zeit lässt sich aber nicht zurückdrehen. Und wenn man sie zwanghaft zurückdrehen will, dann geht das nicht, ohne demokratische Standards zu entsorgen. Denn die Zeiten von Helmut Kohl waren nicht nur die der blühenden Landschaften. Sie waren auch jene der brennenden Migrantenhäuser.

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8 Kommentare

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  • "Die Zeit lässt sich aber nicht zurückdrehen. Und wenn man sie zwanghaft zurückdrehen will, dann geht das nicht, ohne demokratische Standards zu entsorgen. Denn die Zeiten von Helmut Kohl waren nicht nur die der blühenden Landschaften. Sie waren auch jene der brennenden Migrantenhäuser."



    Wie soll Frau/Mann das verstehen? Die demokratischen Standarts der Kohl-Ära waren geringere als die heutigen? Wegen brennenden Migrantenhäusern?



    Die Zeiten von Brandt und Schmidt waren jene der Wehrsportgruppe Hoffmann und der RAF (deren Abkömmlinge dann in den 80´ gleichzeitig in Lagern der PLO trainierten). Die Zeiten von Schröder und Merkel waren jene des NSU und islamistischer Anschläge.



    Merke: Jede Zeit hat seine eigene Geißel.

  • 4G
    46383 (Profil gelöscht)

    "Brutale Offenheit" ist als Aufhänger für einen Text gar nicht schlecht, denn es offenbart mehr vom mind Set desjenigen, der es auf diese Weise auf den Punkt bringen wollte, als er vermutlich je preisgeben wollte. Und dennoch ist es kein Oxymoron. Nicht einmal nah dran. Oxymora bestehen qua Definition (wie im Text eingangs korrekt erwähnt) aus sich widersprechenden, potentiell widersprechenden oder prima facie vermeintlich widersprüchlichen Teilbedeutungen. Weder steht Brutalität irgendwie im Widerspruch zur Offenheit, noch vice versa. Überhaupt ist die Phrase "Brutale Offenheit" keine besonders identifizierbare Stilfigur. Allenfalls ist es eine leicht metaphorisierende Phrase (schließlich kann Offenheit als etwas nicht gegenständliches nicht im wörtlichen Sinne brutal sein)... Dabei braucht der Text diese Zurechbiegung des vermeintlichen Oxymorons gar nicht.

  • Deutschland leidet unter dem Mangel an Fachkräften, nicht am Mangel an hilfs- und unterstützungsbedürftigen Menschen. Deswegen sind Asyl, Migration und Fachkräftewerbung ganz unterschiedliche Dinge. Die Ampel wird ersteres erleichtern, zweites wird steigen, aber drittes wird dann wieder nicht passieren.

    • @TazTiz:

      Es ist eine Frage der Humanität und der Menschenwürde und nicht eine nach wirtschaftlichem Pro und Kontra.

  • Nun, als lesbische Atheistin, wie geht es mir mit den neuen Plänen der Ampel, die nichts weiter als die forcierte Fortsetzung von Merkels "Offenheit" sind? Welchen Menschen wird da der Weg gebahnt? Denjenigen, die die Welt in "gläubig" und "ungläubig" unterteilen? Eine "brutale Offenheit" gegenüber Frauen an den Tag legen, der man nicht so gern begegnet?

    Und diese Arbeitsmigration wird uns retten?

    Hilft sie den über 2,1 Millionen jungen Leuten zwischen 21 und 35 Jahren hier im Land, die keinen Berufsabschluss haben? Mit steigender Tendenz.

    Hilft sie denjenigen im unteren ohnsektor, die gern mehr Geld verdienen möchten, durch Lohndumping jedoch keine Chance haben?

    Hilft uns das bei der kommenden Digitalisierung, bei der Millionen hier ihre Jobs verlieren werden?

    Tagesschau: "Die zunehmende Automatisierung wird in Deutschland in den kommenden fünf Jahren bis zu acht Millionen Jobs vernichten, prognostizieren Arbeitsmarktexperten."

    Wobei Stepstone, The Network und Boston Consulting Group mit Sicherheit als ehrlicher einzustufen sind als gewisse Kapitalinteressen hierzulande, denen es vorwiegend um eine möglichst große "industrielle Reservearmee" geht. Und Open Border diesen nur zuspielt.

    Für das 18-Millionen-Prekariat hier wahrhaftig kein Grund zum Jubeln.

    www.tagesschau.de/...obverlust-101.html

  • Die CDU geschwinde programmatisch zu „entmerkelisieren“ - ob nun unter Merz oder jemand anderem als Parteivorsitzenden - wird kein großes Problem werden … Brinkhaus entstammt der äußerst strukturkonservativen westfälischen CDU und er weiß, dass diese - ihre Wähler sowieso - den Schwenk nach rechts ohne Murren nachvollziehen wird.



    In der westfälischen Provinz, wohl auch im agrarisch geprägten Niedersachsen und anderen westdeutschen Flächenländern wird die Schärfung des rechtskonservativen Profils der CDU wahrscheinlich einige Stimmen bringen, nicht aber in den Großstädten, in denen sie jetzt schon auf Platz 3 - hinter SPD und Grünen - abgedrängt ist.



    In den bisherigen „mitteldeutschen“ CDU-Hochburgen Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen könnte eine konservativere, entmerkelisierte CDU der AfD möglicherweise Stimmen abnehmen … ich persönlich kann‘s mir nur nicht vorstellen, da die AfD-Wähler mittlerweile ausreichend rechts „genordet“ sind und die CDU hier einen eindeutig rechtspopulistischen Kurs fahren müsste, um erfolgreich in diesem Terrain zu wildern. Das stößt aber diejenigen ab, die auch in diesen Bundesländern den Rechtsextremismus der AfD ablehnen, immerhin noch die Mehrheit der ostdeutschen Wähler.



    Hiervon wird wohl eher die SPD profitieren, insofern ihre Wiederauferstehung im Osten mehr als eine Eintagsfliege ist.



    Eine deutlichere konservative Profilierung der CDU in der Nach-Merkel-Ära? Vielleicht ein Nullsummenspiel, eher aber doch ein Minusgeschäft, als Opposition eingekeilt zwischen AfD und einer im Grunde neoliberal aufgestellten “Fortschritts”-Ampelkoalition. Politischer Konservatismus als Rückzugsgefecht, wie es Ralf Dahrendorf einst der europäischen Sozialdemokratie prognostiziert hat.