Mietenproteste in Berlin: Mieter:innen, organisiert euch!
Ein Berliner Bündnis will eine Mieter:innengewerkschaft gründen. Diese soll Akteur:innen bündeln, Streiks organisieren und Miethöhen mitverhandeln.
An mangelndem Mobilisierungspotenzial wird es nicht scheitern: Kaum ein Thema bewegte die Berliner:innen in den vergangenen Jahren politisch so stark wie die Frage nach dem Wohnraum. Wieso hält der Mietpreis nicht mit dem Einkommen Schritt? Warum kaufen renditeorientierte Wohnungsunternehmen in Berlin ohne Ende Häuser zu Spekulationspreisen? Warum wird das Haus, in dem ich lebe, verkauft oder in Eigentum umgewandelt? Das sind häufig existenzielle Fragen. Politische Antworten von oben sind Marktregulationen wie das bezirkliche Vorkaufsrecht und der Mietendeckel der rot-rot-grünen Koalition.
Die Antworten von unten sind sichtbarer Protest auf der Straße, Aufklärung und Vernetzung. Es gibt mittlerweile eine gut vernetzte Mietenbewegung, die riesige Demos organisiert und das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co enteignen gestartet hat. Doch es gibt auch viel Fluktuation in dieser Bewegung: Akteure wechseln häufig und sind oft diejenigen, die gerade akut von der Angst vor Verdrängung geplagt werden und sich in der Folge etwa häuserweise zusammenschließen. Eine Initiative, die sich Anfang des Jahres aufgestellt hat, will diese wiederkehrenden Kämpfe nun kollektivieren und verstetigen: die Mieter:innengewerkschaft Berlin.
Ihr Ziel ist die Kollektivierung von Mietrecht und das direkte Verhandeln zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen über die Miethöhe – ähnlich wie bei Tarifverträgen und dem kollektiven Arbeitsrecht. Zur Repräsentation könnten Mieterbeiräte dienen, die sich block- oder hausweise aufstellen könnten. Und zur Not soll Druck auch über Aktionsformen und Kampfmaßnahmen aufgebaut werden wie etwa einem Mietstreik oder anderen kreativen Aktionsformen. Denkbar und weniger risikoreich als ein Streik etwa wäre etwa ein mietenpolitischer „Dienst nach Vorschrift“, den etwa der Sozialwissenschaftler Holger Marcks vorgeschlagen hat – so könnten viele organisierte Mieter:innen kollektiv Mietminderungen durch kleinliches Anzeigen von Mängeln beantragen.
Derartige Mietenkämpfe oder gar Streiks, die an Arbeitskämpfe aus den Anfängen der Gewerkschaftsbewegung erinnern, dürften im Moment allerdings noch Zukunftsmusik sein, wie Christian, Sprecher der im Aufbau befindlichen Gewerkschaft, der taz sagte: „Wir sind noch in der Gründungsphase. Aber wir wollen langfristig die kollektive Organisation und Selbstermächtigung von Mieter:innen.“ Christian ist der ehemalige Wirt aus dem geräumten Kneipenkollektiv Syndikat. Seinen Nachnamen möchte er nicht veröffentlichen.
Seit Montag sind mit Inkrafttreten der zweiten Phase des Gesetzes Mieten verboten, die mehr als 20 Prozent über den festgelegten Obergrenzen liegen. Mieter:innen sollten deshalb überprüfen, ob sie Anspruch auf eine Mietsenkung haben, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. „Wir raten allerdings dazu, ein paar Tage zu warten“, sagte er. Möglicherweise würden Vermieter die Senkung mit der Dezembermiete vornehmen und den Rest der Novembertage mitverrechnen. Durch den Mietendeckel sind Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen eingefroren. (dpa)
Seit Anfang des Jahres treffe er sich regelmäßig mit weiteren Berliner Mietaktivist:innen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, die sich dauerhaft in einer Mietergewerkschaft organisieren wollen. Zuletzt habe allerdings der Protest gegen Heimstaden im Vordergrund gestanden, das schwedische Wohnungsunternehmen, das zuletzt in Berlin in großem Stil mehr als 4.000 Wohnungen gekauft hat. Christian sagt: „Die Mobilisierung hat zugleich viel Kraft gegeben und zeigt, dass es sinnvoll ist, sich zu organisieren und zu vernetzen.“
Druck der Straße war bei Heimstaden erfolgreich
Tatsächlich haben auch in diesem Fall Mieter:innen enormen Druck auf Senat und Bezirke ausgeübt. Auch deswegen haben Kreuzberg und Neukölln in mehreren Fällen das Vorkaufsrecht ausgeübt. Nicht zuletzt der anhaltende Protest auf der Straße und in den sozialen Medien hat den schwedischen Wohnungskonzern gezwungen, rechtlich verbindliche soziale Verpflichtungen, sogenannte Abwendungsvereinbarungen, zu unterschreiben.
Christian sagt, eine Mieter:innengewerkschaft wäre die Konsequenz aus über zehn Jahren Mietenbewegung: „Viele kleinere Initiativen wehren sich, aber wir brauchen eine basisdemokratische Grundstruktur, um diese Strukturen zu vereinen und die Schlagkraft zu erhöhen. Wir brauchen so etwas wie eine Gewerkschaft, um politischen Druck zu entfalten.“ Nun gehe es darum, ein dauerhaftes Bündnis zu etablieren. Ein Mietstreik sei ohne gesetzlich verankerten Kündigungsschutz schwierig, aber ein langfristiges Ziel, sagt Christian. „Natürlich müssen wir wie die Gewerkschaften vor 120 Jahren die Mittel erkämpfen. Es hat ja auch lange gedauert, bis es Streikrecht und ein Mitsprachrecht in Tarifrunden gab.“
Erforderlich ist dies laut Christian allerdings auch in der Wohnungsfrage: „Wir erleben in Berlin alle gerade, wie sich die Lage zuspitzt. Wir sind nur noch Spekulationsobjekte für Investoren aus aller Welt, die hier meinen, mit unserem Wohnraum Monopoly spielen zu müssen.“ Wohn- und Gewerberaum dürfe kein Spekulationsobjekt mehr sein, sagt er: „Keine Profite mit der Miete ist nicht nur ein Spruch. Uns geht es um die Vergesellschaftung von Boden und Raum und darum, ein Mitspracherecht zu erkämpfen.“
Die Mieter:innengewerk-schaft sieht sich dabei ausdrücklich nicht in Konkurrenz zu den bereits vorhandenen Mietervertretungen wie dem Berliner Mieterverein oder der Mietergemeinschaft. „Die bieten ja individuelle Rechtsberatung und -beistand an. Uns geht es darum, ein politisches Instrument und die Position innezuhaben, um Druck auszuüben. Nicht nur als Vertretung vor Gericht, sondern um systematisch die Rechte von Mieter:innen zu stärken und auszubauen.“
Schwedische Mieterorganisation als Vorbild
Die Gewerkschaft beruft sich dabei insbesondere auf Schweden, wo es mit der Mieterorganisation Hyresgästföreningen seit über 100 Jahren eine gewerkschaftsähnliche Vertretung von Mieter:innen gibt. Über 500.000 Haushalte sind dort organisiert, verhandeln über ihre Miethöhe in Tarifrunden wie hierzulande in der Arbeitswelt und vertreten auch Mieterinteressen gegenüber der Politik.
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein hält die Idee allemal auch für Deutschland interessant. Er sagt: „Wir wollen immer die Interessenvertretung von Mietern stärken und gerne diskutieren, welche Vor- und Nachteile eine Mietergewerkschaft und ein darauf abgestelltes Recht bringen könnte.“ Mit der Berliner Initiative stehe man natürlich in Kontakt und im Meinungsaustausch. Wild sagt, der besagte schwedische Mieterbund sei mit seinem Modell sehr zufrieden, aber man müsse prüfen, ob das auch etwas für Deutschland sei. Zum Mietstreik sagt er: „Die Analogie zum Arbeitsverhältnis hat seine Grenzen. Ein Mietstreik wäre ohne Kündigungsrisiko ja nur möglich, wenn das Streikrecht für Mieter gesetzlich verankert ist.“ Im Übrigen sehe das Mietrecht bei Mängeln bereits Mietminderungen vor.
Deutlich skeptischer ist Berlins Gewerkschaftssekretär Christian Hoßbach vom DGB. Klar sehe man Mieten und Wohnen zunehmend als wichtiges Thema auch für Gewerkschaften. Ebenso sei es vernünftig, dass Mieter:innen sich organisierten, „allerdings muss schon klar bleiben: Gewerkschaften kümmern sich im Kern um die Themen der Arbeit und dabei wird es auch bleiben. Es haben auch schon andere versucht, unseren Namen zu kopieren, das geht nicht gut.“
Zudem sei der Begriff Tarifverhandlungen in dem Zusammenhang schief, weil es ja nicht um Auseinandersetzungen um erwirtschafteten Zugewinn und Produktivitätsfortschritt ginge. Außerdem säßen Mieter:innen bereits mit am Tisch, wenn es um die Miete geht – über Gesetze wie den Mietendeckel oder über den Mietspiegel etwa – „nichts kann nicht noch besser werden, aber man sollte erreichte demokratische Erfolge auch nicht kleinreden“, sagt Hoßbach.
Leichter mit kontinuierlicher Organsiation
Der Stadtsoziologe Andrej Holm hält hingegen eine Initiative für die Gründung einer Mieter:innengewerkschaft für einen logischen Schritt nach über zehn Jahren Mietenbewegung in Berlin. „Wir sehen seit geraumer Zeit, dass sich jenseits der klassischen Mietervereine Hausgemeinschaften organisieren, um auf Konflikte zu reagieren, die nicht unmittelbar mit dem Mietrecht in Verbindung stehen“, sagt er. Bei Heimstaden gehe es um Vorkaufsrecht, dazu könnten die bisherigen Mietervertretungen zwar eine Position haben – es sei aber nicht ihre Zuständigkeit. „Ich kann mit keinem Anwalt vom Mieterverein das Vorkaufsrecht durchsetzen“, sagt Holm.
Überall dort, wo das zivilrechtliche Mietrecht nicht greife, also etwa in politischen Auseinandersetzungen um Vorkauf, bei Regelungen im sozialen Wohnungsbau oder auch bei Leerstand und Zweckentfremdung, gebe es eine Repräsentationslücke, die in den vergangenen zehn Jahren von Mieterinitiativen auf der Straße ausgefüllt worden sei: etwa durch das Mietenwahnsinn-Bündnis, lokale Netzwerke in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Pankow.
„Die Idee für eine Mietergewerkschaft reagiert auf die bestehende Fragmentierung der Mietenproteste. Die Protestmobilisierungen erfolgen bisher in konjunkturellen Wellen entlang der jeweiligen Konflikte und blieben oft unverbunden“, sagt Holm. Vor einigen Jahren hätte „Kotti & Co“ im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden, jetzt seien es eher Heimstaden-Häuser und die Vernetzung in den Beständen der Deutsche Wohnen. Angesichts der schnell wechselnden Konfliktfelder reichten persönliche Kontakte nicht mehr aus, um Erfahrungen weiterzugeben. Neue Mieterinitiativen müssten nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, wenn es eine kontinuierliche Organisation gäbe, so Holm – aber: „ob dafür das Format eine Gewerkschaft am besten geeignet ist, weiß ich nicht“. Er sei sich allerdings sicher, dass die Mietenbewegung angemessene Organisations- und Aktionsformen finde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“