Vorschläge für eine neue Stadtpolitik: Expertise aus der Bewegung

Stadt- und mietenpolitische Initiativen präsentieren ein Dossier mit vielen Ideen. Fünf Jahre Rot-Rot-Grün waren für sie höchstens ein Anfang.

Wandbild am Kotti

Zentrum von Berlins Mieter*innenbewegung: Wandbild am Kottbusser Tor Foto: imago/Sascha Steinach

BERLIN taz | Zum Beginn der heißen Wahlkampfphase melden sich auch die stadt- und mietenpolitischen Initiativen zu Wort. Statt mit Floskeln und Gesichtern für ihre Positionen zu werben, haben 27 von ihnen ein umfangreiches „mietenpolitisches Dossier“ vorgelegt – ein „Arbeitsauftrag für die kommende Regierung“, wie es Melanie Dyck vom Initiativenforum Stadtpolitik bei der Vorstellung am Montag im Haus der Statistik selbstbewusst formuliert. In 22 Beiträgen, die vom sozialen Wohnungsbau über den Umgang mit Airbnb bis zum Vorkaufsrecht reichen, werden konkrete Lösungsansätze für die Berliner Stadtentwicklungspolitik vorgestellt.

Für die Bewegung ist das Dossier eine Fortsetzung ihrer Arbeit – vor zehn Jahren gab es bereits eine erste Auflage – und auch ein Auftakt für die kommenden Wochen. Folgen sollen Wahlprüfsteine für die Parteien, eine bundesweit mobilisierte Mietenwahnsinn-Demo am 11. September und eine enge Begleitung der Koalitionsverhandlungen und der neuen Regierung.

Zwar habe sich der „Diskurs verschoben“, sagte Dyck, denn die Politik habe dazugelernt und vertraue den Lösungsansätzen des freien Marktes zunehmend weniger. Dennoch bestünden die Probleme fort: steigende Mieten, Zwangsräumungen, Verdrängung von Gewerbe oder alternativen Projekten, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, fehlende Mitbestimmungsrechte. Fünf Jahre Rot-Rot-Grün seien zwar „keine vergebenen Jahre“ gewesen, sagt Lisa Vollmer von Stadt von Unten, doch gingen die „Veränderungen nicht weit genug“. Oftmals würden nur Symptome bekämpft, das Problem des Wohnungsneubaus sei ebenso wenig gelöst wie das der explodierenden Bodenpreise, sagt sie.

In ihren Beiträgen gehen die Initiativen ins Detail, weitaus mehr, als es Wahlprogramme tun; Großthemen wie etwa ein bundesweiter Mietendeckel oder der kommende Enteignungs-Volksentscheid stehen dabei nicht im Vordergrund, stattdessen bringen sie neue Ideen in die Diskussion ein.

Eine „Landesankaufsgesellschaft“ etwa könnte dafür sorgen, das Instrument des Vorkaufsrechts auf eine neue Ebene zu heben. Statt dass Bezirke in jedem Einzelfall alternative Käu­fe­r*in­nen finden müssen, könnten diese im großen Stil Ankäufe tätigen und erst im Nachgang die Häuser an Wohnungsbaugesellschaften und gemeinwohlorientierte Ak­teur­*innen weitergeben. Spätestens bei Wiedervermietung sollen überteuerte Mieten auf 6,50 Euro pro Quadratmeter gekappt werden.

Wohnungsbaugesellschaften regulieren

Deutlich stärker reglementieren wollen die Ak­tivs­t*in­nen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Diese haben das Neubauziel von 3.000 Sozialwohnungen jährlich in der noch laufenden Legislaturperiode noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Die Konzentration ihrer Kompetenzen könnte hier Abhilfe schaffen. Neu entstehen sollen ausschließlich Wohnungen für jene Hälfte der Mie­te­r*in­nen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Für bedrohte Räume, ob Jugendzentren, Buchläden oder Clubs, schlägt die Initiative „Bucht für Alle“ eine Taskforce vor, die als „Notfallgremium“ einspringt, um einen Verlust zu verhindern. Längerfristig soll eine Clearingstelle kulturelle Akteure begleiten und beraten.

Auch in der Bodenpolitik plädieren die Au­to­r*in­nen für eine Verschärfung der Bemühungen. So solle ein bereits eingerichteter Bodenfonds, der öffentliche Grundstücke verwaltet, mittels einer Ankaufstrategie privatisierte Grundstücke in die öffentliche Hand zurückholen. Dabei sollen Möglichkeiten der Preislimitierung genutzt werden, wie etwa das Residualwertverfahren, das den Preis daran bemisst, was ein Bauträger dort zukünftig erwirtschaften kann. Vergeben werden sollen Grundstücke ausschließlich per Erbbaupacht.

An die Kandare genommen werden sollen Wohnungsplattformen wie ImmobilienScout24, ohne die eine Wohnungssuche kaum noch möglich ist. Einerseits möchte das Bündnis digitale Stadt die Plattformen verpflichten, ihre Daten zum Wohnungsmarkt mit den Behörden zu teilen, anderseits sollen nicht-kommerzielle Alternativen dazu aufgebaut werden. Auch Airbnb will man auf digitalem Wege begegnen, mit einer Datenschnittstelle, die es der Verwaltung jederzeit ermöglicht, illegale Angebote aufzuspüren.

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