Messerangriff in Zug bei Brokstedt: Lauter offene Fragen
Die Messerattacke in einem Regionalzug nahe Brokstedt sorgt für Entsetzen. Das Motiv bleibt unklar. Ähnliche Taten aber gab es zuvor schon.
Tags zuvor soll ein 33-Jähriger, Ibrahim A., in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg Mitreisende mit einem Messer attackiert haben. Eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen, beide miteinander bekannt, wurden tödlich verletzt, fünf weitere Fahrgäste teils lebensgefährlich. Auch der Tatverdächtige selbst verletzte sich leicht. Andere Mitreisende konnten A. schließlich überwältigen, die Polizei nahm ihn am Bahnhof Brokstedt fest. Am Donnerstagnachmittag wurde laut Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen ihn einen Haftbefehl erlassen.
Das Motiv der Tat blieb am Donnerstag weiter unklar. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe es bisher nicht, erklärte die Staatsanwaltschaft Itzehoe. Als Extremist war Ibrahim A. nicht bekannt, wohl aber als Straftäter. Medien berichteten, er habe nach der Tat verwirrt gewirkt. Itzehoes Polizeipräsident Frank Matthiesen berichtete dagegen von einem „ruhigen Eindruck“, den er auf Beamte gemacht habe.
Sütterlin-Waack betonte, noch sei vieles unklar. Auch das Ergebnis der Vernehmung von Ibrahim A. liege noch nicht vor. „Auch ich habe Fragen.“ Es blieben aber die Ermittlungen abzuwarten, so Sütterlin-Waack. Sie bitte daher, „Spekulationen keinen Raum zu geben“.
Auch für Ministerpräsident Günther stellen sich „viele Fragen, die wir aufklären müssen“, wie er vor dem „Bürgerhaus“ erklärt. Hätte die Tat verhindert werden können? Hat zwischen den Behörden alles richtig geklappt? Faeser sagt, zu klären sei auch, warum der Tatverdächtige trotz so vieler Vorstrafen nicht in Haft und noch im Land war.
Auch die Grünen fordern „keine Debattenverbote“
Bundesweit entfesselte die Tat aufgrund der von der Polizei schnell bekannt gemachten Nationalität des Tatverdächtigen, der staatenloser Palästinenser ist, auch eine politische Debatte. Die AfD forderte umgehend ein Ende der „wahnsinnigen Migrationspolitik“. Selbst Grünen-Chef Omid Nouripour sagte dem ZDF, es gebe „keine Debattenverbote“. Natürlich müsse man auch über Abschiebungen reden.
Für einen staatenlosen Palästinenser bräuchte es dafür aber ein aufnahmebereites Land – das es im Fall Ibrahim A. nicht gibt. Laut Staatsanwaltschaft reiste er im Dezember 2014 nach Deutschland ein – von woher, sei unklar. Im Juli 2016 erhielt er subsidiären Schutz. Im November 2021 wurde jedoch ein Rücknahmeverfahren eingeleitet, weil Ibrahim A. zuvor wiederholt straffällig wurde.
Mehrere Jahre hatte er zuvor in Nordrhein-Westfalen gelebt, sammelte dort drei Vorstrafen an, auch wegen Gewalttaten. 2021 zog er in eine Kieler Geflüchtetenunterkunft, in der er ein Hausverbot bekam, weil er Mitbewohnende belästigt haben soll. Zuletzt war er ohne festen Wohnsitz.
Auch die letzte Tat von Ibrahim A. war ein Messerangriff. Laut Staatsanwaltschaft Hamburg stach er am 18. Januar 2022 in einer Wohnungslosenunterkunft in der Hansestadt bei einer Essensausgabe einen anderen Mann mit einem Messer nieder. A. gab an, er habe unter Drogenkonsum gestanden. Wegen der Tat wurde er im August 2022 zu 13 Monaten Haft verurteilt – wogegen er Berufung einlegte. Bis vor sechs Tagen saß er dafür in U-Haft, aus der er wegen der langen Verfahrensdauer entlassen wurde. Dann erfolgte die Attacke in Brokstedt.
Kurz vor der Tat war Ibrahim A. laut dem Kieler Stadtrat Christian Zierau noch in der Kieler Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltskarte zu beantragen. Dort habe er keinen auffälligen Eindruck gemacht, so Zierau.
Schon zuvor Messerangriffe in Zügen
Landesinnenministerin Sütterlin-Waack sagte, noch sei es zu früh für politische Forderungen und notwendige Lehren aus der Tat. Der Angriff erinnerte aber an andere Messerangriffe in Zügen in jüngerer Zeit. So hatte im Mai 2022 in Herzogenrath ein Mann mehrere Fahrgäste verletzt – er wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Im November 2021 hatte ein Syrer in einem ICE bei Nürnberg vier Männer teils schwer verletzt. Die Tat wurde als islamistisch eingestuft, er wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt. Schon im März 2021 hatte ein 25-Jähriger in Rommerskirchen einen 16-Jährigen niedergestochen und war zu acht Jahren Haft verurteilt worden.
Das Problem psychisch auffälliger Gewalttäter beschäftigt die Innenminister:innen in Bund und Länder schon länger. Erst auf der jüngsten Innenministerkonferenz war dafür nach taz-Informationen ein Tagesordnungspunkt für die „Früherkennung von potenziellen Amokläufern und Attentätern“ anberaumt.
Nordrhein-Westfalen hatte bereits 2021 ein Pilotprojekt namens „Periskop“ gestartet, das labile Personen aufspüren soll, die Anschläge begehen könnten. Erhalten Polizei oder Behörden Hinweise auf psychische Erkrankungen und Gewaltaffinität, werden zu ihnen Prüffälle angelegt. Zusammen mit Gesundheitsbehörden, Schulen, Ausländerbehörden oder Kliniken berät die Polizei dann, wer der richtige Adressat für die Betroffenen ist und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Aktualisiert und ergänzt am 26.01.2023 um 17:40 Uhr. d. R.
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