Merkels Corona-Kommunikation: Sie kann es doch
Kanzlerin Angela Merkel hat die neuen Kontaktbeschränkungen erklärt – und an die Vernunft mündiger BürgerInnen appelliert. Respekt!
R espekt. Angela Merkel machte das richtig gut. Die Kanzlerin kam am Montag, dem ersten Tag der neuen Kontaktbeschränkungen, in die Berliner Bundespressekonferenz, um sich den Fragen der JournalistInnen zu stellen – und um die strengen Maßnahmen zu erklären. Sie tat das über eine Stunde lang, ruhig, nachvollziehbar und in einer Nüchternheit, die der Lage angemessen ist.
Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass natürlich nicht alle neuen Regeln logisch oder gar gerecht sind. Warum sind Theater zu, wenn sich im öffentlichen Nahverkehr die Menschen drängeln? Auch ein Wirt, der Geld in die Hand genommen hat, um sein Restaurant umzubauen, ist zu Recht wütend. Da investiert er in die Belüftungsanlage, belegt nur jeden zweiten Tisch – und muss trotzdem im November schließen. Merkel sagte offen, dass das „eine politische Entscheidung“, also eine Abwägung, war. Um Kitas, Schulen und große Teile der Wirtschaft offenzuhalten, fährt die Regierung Kultur und Freizeit herunter. Das kann man kritisieren, aber wäre es umgekehrt besser? Eher nicht.
Merkel machte deutlich, dass politische Abwägungen oft die Wahl zwischen Pest und Cholera sind. Es gibt manchmal keine wirklich gute Lösung, nur schlechte und weniger schlechte. Dies zuzugeben ist ehrlich – und schafft Verständnis. Die Kanzlerin hatte früher den Ruf, ihre Politik nicht wirklich zu erklären. Dieser Vorwurf trifft in Sachen Corona nicht zu. Merkel erklärt permanent, faktensicher und anschaulich.
Eins allerdings bleibt nach ihrem Auftritt offen: Ob die Beschränkungen Ende November enden, ob sie darüber hinaus gelten oder vielleicht sogar verschärft werden. Merkel umschiffte die Fragen dazu – und vermied Festlegungen. Auch diese Vorsicht ist im Kern seriös. Keiner weiß, wie stark die Einschränkungen das Infektionsgeschehen beeinflussen. Jedes Wort zu viel könnte Erwartungen schüren, die Merkel im Zweifel wieder kassieren müsste. Stattdessen appelliert sie an Eigenverantwortung: Sie glaube an die „Kraft der Vernunft und der Verantwortung“. Ein Appell an mündige BürgerInnen – so sollte eine Regierung kommunizieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen