Menschen mit systemrelevanten Berufen: Auf sie kommt es jetzt an
In der Corona-Krise halten die Beschäftigten in Krankenhäusern, Supermärkten, Praxen das System am Laufen. 13 von ihnen berichten aus ihrem Alltag.
„Die Leute sehen uns mit anderen Augen“
Nicole Meyer, 51, arbeitet als Supermarkt-Verkäuferin in Sulzbach
Seit Wochen kaufen die Kundinnen und Kunden alles leer, was sich lange lagern lässt: Mehl, Nudeln, Dosengemüse. Schon bevor der Laden öffnet, bildet sich eine Schlange vor der Tür. Die Menschen wollen als Erstes ihren Einkauf erledigen. „Wir können die Regale gar nicht so schnell wieder auffüllen, wie sie leergeräumt werden“, sagt Nicole Meyer.
Die Arbeit im Einzelhandel ist schlecht bezahlt. Das Bruttomonatsgehalt von Verkäuferinnen und Verkäufern liegt laut einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung bei durchschnittlich 1.890 Euro. Zwei Drittel der Befragten gaben an, unzufrieden mit ihrer Bezahlung zu sein. Die Arbeit der Branche wird vor allem von Frauen geleistet: 70 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind weiblich. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit, kümmern sich um die Kinder oder pflegen nebenher Angehörige.
In dem Supermarkt, in dem Nicole Meyer arbeitet, fehlen aktuell fünf ihrer Kolleginnen. Sie müssen ihre Kinder betreuen, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. Das bedeutet: mehr Arbeit und Überstunden für alle anderen. Und da zurzeit tagsüber immer viele Kassen geöffnet sind, arbeitet weniger Personal auf der Supermarktfläche.
Nicole Meyer leidet an Diabetes Typ 1 und gehört zur Risikogruppe. Sie versucht positiv zu bleiben, obwohl sie selbst Angst vor dem Virus hat. Kontakt zu Kundinnen und Kunden gehört schließlich zum Beruf dazu. Als Vorsichtsmaßnahme gibt es bereits 1,5-Meter-Markierungen an den Kassen, von denen auch nur noch jede zweite geöffnet wird, wegen des Abstands.
Die Stimmung der Menschen beim Einkauf habe sich verändert, erzählt Meyer. Viele wirkten fast panisch. Es gebe aber auch Kundinnen und Kunden, die für ihre Lage Verständnis zeigen. Die sich bedanken und ihr sagen, dass sie froh sind über ihre Arbeit. „Ich habe das Gefühl, dass uns viele Menschen durch diese Notlage mehr wertschätzen und mit anderen Augen sehen.“ Text: Steven Meyer; Nicole Meyer ist seine Mutter
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„Wir dürfen die anderen Patienten nicht vergessen“
Luise Braun, 32, arbeitet als Krankenschwester an der UKS Homburg
„Bei uns im Krankenhaus gab es bisher nur einen Corona-Fall auf der Intensivstation. Trotzdem beschäftigen wir uns auch bei uns auf der Station für Nierenheilkunde fast nur mit Katastrophenplänen und damit, was kommen könnte – und vergessen dabei fast, dass wir noch andere schwerkranke Patienten haben, die unsere Hilfe brauchen.
Zum Beispiel haben wir angefangen, die Station in verschiedene Bereiche zu teilen, in einen geschützten Bereich für immungeschwächte nierentransplantierte Patienten, und in einen infektiösen Bereich, in den könnten dann Corona-positive Fälle aufgenommen werden. Wie wir die vorhandenen Patienten da einsortieren, darüber gab es vor ein paar Tagen auch Missverständnisse und Diskussionen – also die Nerven liegen schon blank gerade! Das merke ich auch bei der Hygiene. Die Basics hab ich natürlich alle total verinnerlicht, aber momentan überprüfe ich alles nochmal doppelt. Und erwische mich auch mal dabei, wie ich meine Kollegen kritisch beäuge.
Aktuell werden auch die Einfahrten zum Krankenhaus kontrolliert, jeder muss seinen Dienstausweis zeigen. Allerdings dürfen die Leute vom Ordnungsamt wohl immer noch rein. Am Montag habe ich nämlich ein Knöllchen bekommen.
Schon jetzt steigt unsere Arbeitsbelastung, denn gerade werden von jeder Station Leute abgezogen, um die Intensivstationen personell besser auszustatten. Gestern hätten wir zum Beispiel eigentlich zu viert gearbeitet – aber ein Kollege wurde in die Basics der Beatmung eingewiesen. Zu dritt ging es auch ganz gut, denn wir haben ja auch alle Patienten entlassen, die fit genug sind.
Seit Mittwoch habe ich eine Woche frei, das war schon vorher geplant. Aber natürlich habe ich meinen Kollegen und Chefs gesagt, dass sie mich im Notfall anrufen sollen. Es ist sicherlich gut, vor dem Sturm nochmal kurz verschnaufen zu können, etwas Zeit im Garten und mit dem Dackel verbringen zu können. Aber richtig ablenken kann ich mich halt auch nicht – ich kann gerade an nichts anderes denken.
Bei alldem mache ich mir um mich selbst weniger Sorgen. Aber ich wohne mit meiner 90-jährigen Oma unter einem Dach, da hab ich natürlich Angst, dass ich irgendwas mitbringe.“ Protokoll: Michael Brake
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„Wir halten die Ängste aus“
Petra Schimmel, 61, leitet die Telefonseelsorge in Hamm
„Bei uns rufen Menschen an, die einsam sind, Depressionen oder Ängste haben. Das Coronavirus verstärkt die Themen dieser Menschen. Wenn wir die Anruferzahlen dieser Woche mit denen einer durchschnittlichen Woche aus Februar oder Januar 2020 vergleichen, haben wir 50 Prozent mehr Anrufe. Es sind ältere Menschen dabei, aber auch jüngere und aus allen Berufsgruppen. Normalerweise ist nur eine Person am Telefon und eine im Chat. Jetzt haben wir deutlich aufgestockt.
Wir tun, was wir immer tun: Wir sind da, und das verstärkt. Wir hören zu, wir halten die Ängste aus. Und wir fragen: Was ist die Angst eigentlich? Was steckt dahinter? Für mich geht es darum, das richtige Maß für alles zu finden. Wer jetzt zu Hause sitzt, einsam ist und den ganzen Tag nur Fernsehen schaut, dem versuche ich zu sagen, dass das zu viel ist und nur Angst und Not verstärkt. Manchmal schweige ich auch mit den Anrufenden. Mit anderen versuche ich eine Tagesstruktur zu entwerfen.
Für mich ist die Corona-Lage auch eine Chance, dass wir merken: Wie viel brauchen wir eigentlich, um zu leben? Was bedeutet diese Lage für uns? Und wie gut ist es, auch mal in Stille zu sein? Viele der Anrufenden können mit Stille und Einsamkeit gar nicht umgehen.
Wahr ist auch: Viele Menschen, die bei uns arbeiten, gehören zur Risikogruppe. Die meisten sind über 55 Jahre alt. Alle arbeiten im Einzelbüro, für die Übergaben haben wir Regeln gefunden, um Abstand zu halten und uns vor einer Ansteckung zu schützen.
Infos über das Corona-Virus in Leichter Sprache gibt es auf https://www.bundesregierung.de/breg-de/leichte-sprache/corona-virus
Im Homeoffice zu arbeiten ist für uns nicht so einfach. Wer bei uns arbeitet, schlüpft in eine Rolle, ist Beraterin. Zu Hause ist es viel schwieriger, diese Rolle dann wieder abzustreifen. Wir haben Supervisionsgruppen für alle Mitarbeitenden, um Themen aus dem Chat oder aus den Telefongesprächen zu besprechen. Diese Gespräche können wir online oder über Telefon machen.
Angst kann man nicht verbieten. Aber es ist gut, alles dafür zu tun, dass die Angst uns nicht beherrscht. Eine gute Möglichkeit ist es, miteinander zu reden.“ Protokoll: Tanja Tricarico
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„Unsere Schutzbrillen dichten nicht ab“
Hannah H., 26, ist Intensiv-Krankenschwester bei einer Leasingfirma in Berlin
„Ich arbeite als Intensiv-Krankenschwester in einem Zeitarbeitsbetrieb, der uns an die Berliner Intensivstation verleiht, die gerade am dringendsten Schwestern und Pfleger braucht. Wir Leasing-Leute sind vor den grenzwertigen Arbeitsbedingungen im Krankenhaussystem geflohen, zumindest verdienen wir gut.
Schon ohne Corona-Fälle ist die Arbeit auf Intensiv fast nicht zu bewerkstelligen, jetzt sollen wir ohne zusätzliches Personal die zusätzlichen Corona-Patienten versorgen. Auch wenn jetzt mehr Intensivbetten angeschafft werden – am Personal wird es mangeln.
Gesundheitsminister Spahn strebt einen Pflegeschlüssel von einer Pflegekraft zu zwei Patienten an. Wir betreuen aber gerade eins zu vier Patienten. Darunter sind schwerste Fälle, die jede halbe Stunde zu reanimieren sind. Die Schwester, die jetzt für den abgeschotteten Corona-Bereich zuständig sein soll, fehlt bei der übrigen Arbeit. Wenn die Schichtleitung bei den Corona-Patienten war, kann sie bei anderen nicht mit reanimieren. Die Übertragungsgefahr ist zu groß – die ist aber auch im Team gegeben, weil man nie weiß, wer infiziert ist.
Patienten kommen bei uns fraglich instabil an und werden abgestrichen. Der Test dauert aber 12 bis 24 Stunden, weil die Labore überlastet sind. Es ist auch keine passende Schutzkleidung da. Die Schutzbrillen, die wir haben, dichten nicht komplett bis unter den Mundschutz ab. Wir haben den Chefarzt gefragt, wie wir das in der kommenden Zeit bewerkstelligen sollen, er meinte darauf: ‚Ihr könnt mich steinigen, aber wir müssen jetzt halt alle den Gürtel enger schnallen.‘
Alle auf der Station reden sich im Moment den Mund fusslig. Die Schwestern kommen zum Dienst und leisten, was sie schaffen. Jeder, der kann, muss jetzt helfen, muss ans Bett. Einige haben ihren Urlaub abgesagt. Noch gibt es nicht so viele schwerkranke Corona-Infizierte, aber wir sind nicht gerüstet. Mal schauen, was in zehn Tagen ist. Wir Schwestern arbeiten immer schon am Limit, jetzt wird auf uns geschaut. Ich hoffe, dass sich jetzt auch was bewegt.“ Protokoll: Stefan Hunglinger
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„Von Tag zu Tag das Richtige tun“
Pamela Perona, 49, ist Ärztin für Allgemein- und Reisemedizin in Bamberg
taz am wochenende: Frau Perona, gerade haben Sie Sprechstunde. Was ist bei Ihnen los?
Pamela Perona: Ich habe meine Sprechstunde aufgeteilt. Von 8.30 bis 10 Uhr behandle ich Patienten, die nichts mit Corona zu tun und wichtige und akute Anliegen haben. Einige von ihnen sitzen jetzt noch im Wartezimmer. An Nachmittagen nehme ich Corona-Abstriche, das tue ich aber draußen im Hof.
Im Hof?
Wir haben einen Hinterhof mit einem Parkplatz für ein Auto. Die Leute kommen im Viertelstundentakt, damit sie nicht aufeinandertreffen. Sie klingeln. Dann werfen wir uns oben in die Montur, also die Schutzkleidung, ich nehme den Abstrich an der Tür. Anschließend werden Türe und Klingel desinfiziert. Zurzeit sind es vielleicht zehn bis fünfzehn Abstriche pro Tag, das ist überschaubar. Außerdem habe ich sogenannte Pandemiedienste übernommen, das heißt, ich fahre für Abstriche auch zu Menschen nach Hause.
Sie arbeiten deutlich mehr als sonst.
Ja, normalerweise arbeite ich etwa 40 Stunden, zurzeit sind es eher 60.
Als Ärztin sind Sie zurzeit besonders „systemrelevant“. Wie fühlt sich das an?
Ganz ehrlich: Auch nicht wesentlich anders als sonst. Als Ärztin hat man immer Verantwortung. Ich war immer bereit, dort zu arbeiten, wo Ärzte wirklich gebraucht werden, dafür habe ich ja Medizin studiert. Zurzeit habe ich vor allem Sorge um meine älteren Patienten und jene mit chronischen Erkrankungen.
■ Aktuelle Fallzahlen zum Coronavirus in Deutschland veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI).
■ Eine ausführliche Darstellung der COVID-19-Fälle in Deutschland bis auf Landkreisebene hat das RKI in einem Corona-Dashboard zusammengestellt. Auch gibt es tägliche Situationsberichte heraus.
■ Internationale Zahlen hat unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer interaktiven Grafik aufbereitet.
■ Ebenso weltweite Fallzahlen stellt die Johns Hopkins University auf einer interaktiven Karte dar.
■ Die Unterschiede bei den Fallzahlen von RKI, WHO und Johns Hopkins University bedeuten nicht, dass die Zahlen falsch sind. Differenzen ergeben sich vielmehr aus Melde-Verzögerungen und unterschiedlichen Quellen: Dem RKI werden die Fallzahlen von den Gesundheitsämtern über das jeweilige Bundesland übermittelt. Es meldet die Zahlen nach einer Prüfung dann weiter an die WHO – so kommt es zu Verzögerungen. Die Daten der Johns Hopkins University kommen nach eigenen Angaben aus verschiedenen öffentlich zugänglichen Quellen und können daher von jenen Zahlen von RKI und WHO abweichen.
Um sich sorgen Sie sich nicht?
Nein. Ich habe lange am Tropeninstitut München gearbeitet und komme somit aus der Infektiologie, da kann man keine großen Infektionsängste haben. Ich finde es auch schwierig, wenn sich manche Ärzte jetzt nicht einbringen wollen. Ein Pilot kann auch nicht sagen: Es ist schlechtes Wetter, ich fliege nicht. Wenn ich meine zwei Kinder in Gefahr wüsste, würde mich das sicherlich aus der Ruhe bringen. Aber das Virus ist für Jüngere nicht gefährlicher als viele andere Keime, die uns umgeben. So geht es darum: Wie können wir dafür sorgen, dass das System nicht kollabiert, dass die vulnerablen Patienten geschützt sind? Ich passe natürlich auf, weil ich kein Verteiler sein will, deshalb bin ich genau.
Was tun Sie?
Ich achte auf die Schutzkleidung, die Hygienemaßnahmen. Ich finde auch, alle Menschen in den systemrelevanten Berufen sollten regelmäßig abgestrichen werden, damit sie das Virus nicht weitergeben. Auch Hausärzte müssten strikt Masken tragen.
Das machen sie bislang nicht?
Es ist im Moment noch sehr viel Unsicherheit da, vor allem bei niedergelassenen Ärzten. Klare Vorgaben wären hilfreich. Sehr viele Kollegen und Hilfskräfte sind sehr engagiert, das ist toll. Aber das übergeordnete System ist träge.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Anfangs war vorgesehen, dass die Ärzte für Abstriche zu den Menschen nach Hause kommen. Ich bin für einen körperlich fitten Patienten über anderthalb Stunden im Auto unterwegs gewesen, dabei hätte der auch selbst fahren können. In der Zeit hätte ich sehr viele Menschen abstreichen können. Ich bin ja zu allem willig und bereit. Man kann mich irgendwo hinstellen und ich mache es. Aber es soll sinnvoll sein. Die Ressourcen werden im Moment nicht vernünftig eingesetzt. Wir fahren immer noch Menschen ab, die sehr wohl selbst kommen könnten.
Sie testen jetzt auch in Nürnberg an einem neuen Drive-in-Testzentrum.
Gestern war ich zum ersten Mal dort. Ich hätte viele der Menschen nicht abgestrichen, die da so kamen, im SUV, mit Maske, Spülhandschuhen und leichtem Reizhusten. Aber ich entscheide nicht, wer getestet wird, das macht inzwischen oft jemand von der Kassenärztlichen Vereinigung am Telefon. Wenn jeder abgestrichen wird, gibt es wahrscheinlich nicht genug Röhrchen und Laborkapazitäten. Ich hielte es für richtig, nur die Multiplikatoren und sehr kranken Menschen zu testen. Die Vorgaben, bei wem ein Abstrich gemacht wird, erscheinen mir im Moment sehr willkürlich.
Was meinen Sie, wie geht es weiter?
Ich bemühe mich keine Prognosen abzugeben, sondern versuche, von Tag zu Tag das Richtige zu tun. Interview: Antje Lang-Lendorff
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„Der Rückhalt spendet Kraft“
Simone Marks, 41, ist Sozialarbeiterin an einer Grundschule in Dortmund
„Als wir von den Schulschließungen erfahren haben, war es Freitagnachmittag. Da blieb keine Zeit mehr, noch irgendetwas zu organisieren. Aber wir haben schnell umgeschaltet. Heute betreuen wir nur noch die Kinder der sogenannten Schlüsselpersonen wie Ärzte, alle anderen Kinder dürfen wir nicht mehr betreuen.
Bis 11.30 Uhr übernehmen die Lehrer der Grundschule die Notbetreuung, danach sind wir an der Reihe. An manchen Tagen kommen zwei, an anderen vier Kinder. Nicht alle Eltern, die Anspruch hätten, nutzen unser Angebot, auch sie wollen ihren Beitrag leisten. Wir teilen die Betreuung in unserem Team auf, nur die beiden Kolleginnen, die über 60 Jahre alt sind, bleiben jetzt zu Hause.
Wir sind ein tolles Team, das auch herzlich miteinander umgeht, sich mal drückt und in den Arm nimmt. Darauf plötzlich zu verzichten, ist wahnsinnig schwierig, es dauert, da umzuschalten. Besonders im Umgang mit Kindern ist es nicht einfach. Kinder sind impulsiv und wollen Körperkontakt, dann springen sie einem auch einfach mal in die Arme. Und es ist Bestandteil unserer Arbeit, zu trösten und Nähe zu spenden. Gerade in Zeiten wie diesen, da auch die Kinder verunsichert sind und sich Zuneigung wünschen. Wir erklären ihnen dann, dass wir nicht wollen, dass das Virus von uns auf sie rüberspringt und umgekehrt. Das verstehen sie.
Und trotzdem ist es natürlich schwierig, beim Spielen immer die Zwei-Meter-Abstand-Regel einzuhalten. Wir versuchen, ihnen Alternativen zu bieten, basteln viel, singen, spielen Gitarre und lesen ihnen neuerdings „Harry Potter“ vor.
Ich beobachte in den sozialen Medien, wie viel Anerkennung unsere Arbeit plötzlich erfährt, und finde das ganz großartig. Das macht richtig was mit mir. Die ganze Situation ist emotional ja für niemanden einfach, aber dieser Rückhalt spendet Kraft. Da geht ein Ruck durch die Gesellschaft, das spüre ich.“ Protokoll: Hanna Voß
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„Abstand halten geht bei uns nicht“
Paul Hierse, 32, ist Altenpfleger in Falkensee, Brandenburg
„Ich arbeite in der Tagespflege. Das heißt: Die pflegebedürftigen Menschen sind tagsüber bei uns. Wir holen sie zu Hause ab, betreuen sie, essen zusammen, wir bringen sie am Nachmittag nach Hause. Das entlastet die Angehörigen. Wir haben 16 Plätze und sind voll belegt. Insgesamt 45 Gäste kommen im Laufe der Woche zu uns, manche die ganze Woche, manche nur einzelne Tage.
Jetzt nicht mehr: Seit Mittwoch ist unser Haus geschlossen. Wir sind eine zu große Gruppe, das Ansteckungsrisiko wäre zu hoch.
Die Gäste und ihre Angehörigen haben verständnisvoll auf die Schließung reagiert. Wir bieten ihnen an, sie zu Hause zu besuchen. Besonders zu denen, die keine Familie haben, halten wir engen Kontakt. Gleich fahre ich noch für ein bis zwei Stunden zu einer Frau mit Demenzerkrankung, die von ihrem Mann versorgt wird. Sie ist sonst fünf Tage die Woche bei uns. Menschen mit Demenz zu erklären, warum sie nicht mehr kommen können, ist schwer. Ich weiß nicht, wie sie reagieren, wenn die eingespielte Routine wegfällt.
Durch die Schließung habe ich erst mal weniger Arbeit, ich konnte mich heute sogar im Garten um die Blumen kümmern. Aber das kann sich schnell ändern. Zu unserer Niederlassung gehört auch ein ambulanter Pflegedienst, wir versorgen rund 120 Menschen zu Hause. Noch sind wir in der glücklichen Lage, dass keine der Pflegekräfte krank wurde. Aber das ist eine Frage der Zeit. Wenn Sie Menschen pflegen, sie waschen, sie medizinisch versorgen, können Sie nicht 1,50 Meter Sicherheitsabstand halten. Wenn jemand ausfällt, springe ich ein.
Sollten wir Pflegebedürftige nicht mehr versorgen können, weil sie sich zum Beispiel selbst mit Corona infiziert haben, müssten das die Angehörigen übernehmen. Menschen ohne Familie müssten wir ins Krankenhaus einliefern lassen.
Ich bin stellvertretender Leiter der Tagespflege. Die Schließung des Hauses ist für uns ein wirtschaftliches Desaster. Wir haben ja laufende Kosten, die Miete, das Personal, die geleasten Busse. Die Einnahmen fallen jetzt auf einen Schlag weg. Die Situation ist belastend, das nehme ich nach Feierabend auch mit nach Hause.
Und wer weiß, vielleicht werde ich irgendwann sogar in eine Klinik abbeordert? Ich habe eine Zusatzausbildung für Beatmungspflege. Irgendwann können die Kollegen im Krankenhaus vielleicht nicht mehr, dann werden möglicherweise ausgebildete Pflegekräfte aus der ambulanten Versorgung abgezogen. Das wäre der Worst Case.
Aber so weit muss es nicht kommen. Zurzeit denken wir nur von Tag zu Tag.“ Protokoll: Antje Lang-Lendorff
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„Es eine schwierige Situation für unsere Leute“
Charlotte Wong, 28 Jahre, Helferin in der Notübernachtung der Stadtmission in Reinickendorf
„Ich studiere eigentlich Business Management an der Berlin International University of Applied Sciences in Charlottenburg. Ehrenamtlich arbeite ich als Abendverantwortliche in der Notübernachtung der Stadtmission in Reinickendorf. Das heißt, ich muss anderen Mitarbeiter Aufgaben zuweisen, die Übernachtungsgäste am Einlass abholen und sie auf Waffen, Alkohol und Drogen abtasten.
Derzeit sind es mehr Aufgaben geworden. Ich muss dafür sorgen, dass die Gäste sich beim Einlass richtig die Hände waschen. Wenn ein Gast auffällig husten oder andere Corona-Symptome zeigen würde, würden wir ihn nicht einlassen, sondern den Krankenwagen rufen.
Ich muss mich jetzt auch mehr um die Mitarbeiter kümmern. Wir haben gefragt, ob Ehrenamtliche ihre Schichten aus Sorge vor Corona abgeben möchten. Die meisten finden ihre Arbeit auch in dieser Situation sinnvoll. Wenn die Gäste auf der Straße übernachten müssten, wäre die Ansteckungsgefahr für sie noch größer. Solange die Notübernachtung offen hat, wollen wir helfen, das ist unser Ziel.
Es eine schwierige Situation für unsere Leute, aber die Gäste befolgen alle Regeln und bieten sogar an, zu helfen. Sie haben die Situation gut verstanden. Bis jetzt ist alles noch in Ordnung. Ich habe von den Gästen aber schon gehört, dass sie sich Sorgen machen, dass die Notübernachtung frühzeitig schließt. Da sollte ich der Regierung von Deutschland vertrauen.
Bei der Arbeit habe ich eigentlich keine große Sorge, wir tragen Mundschutz und Handschuhe, wir haben auch von den Hauptamtlichen eine Einführung bekommen, worauf zu achten ist. Ich trage auch beim Einkaufen und in der U-Bahn einen Mundschutz. Manche lachen dann über mich und sagen, nur Kranke würde so einen Mundschutz tragen. Ich glaube, das ist ein kultureller Unterschied zwischen Asien und Europa, zwischen Hongkong, wo ich herkomme, und Berlin.“ Protokoll: Stefan Hunglinger
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„Wir alle führen ein Symptomtagebuch“
Anonym, Gesundheits- und Krankenpfleger, 22, Rettungsstelle eines Krankenhauses in Berlin
„Unsere oberste Aufgabe ist es den normalen Alltag in der Rettungsstelle trotz Corona zu erhalten. Denn wir behandeln dort erstmal alles: von Herzinfarkt bis Hundebiss. Daher wurde nun eine, der Notaufnahme ausgelagerte, Teststelle für Corona-Verdachtsfälle eingerichtet. Verständlicherweise wollen sich viele Menschen testen lassen, denen müssen wir kommunizieren, dass sie das dort machen sollen, um die Ansteckungsgefahr innerhalb der Notaufnahme zu minimieren und funktionsfähig zu bleiben.
■ Infos über Corona auf Türkisch hat die taz in ihrem Text „Koronavirüs Almanya'da“ zusammengestellt.
■ In weiteren Sprachen sammelt die taz Info-Texte under taz.de/coronainfo
■ Hygiene-Infos in weiteren Sprachen bietet die BZgA in Hygiene-Merkblättern unter anderem auf Türkisch “Viral enfeksiyonlar – hijyen korur!“ (PDF) sowie auf Englisch “Viral infections – hygiene works!“ (PDF)
■ Leichte Sprache: Informationen zum Coronavirus in Leichter Sprache stellt das Bundesgesundheitsministerium zur Verfügung.
■ Gebärdensprache: Das Bundesgesundheitsministerium beantwortet Fragen mittels Videotelefonie und ist dafür über ihr Gebärdentelefon zu erreichen. Dazu gibt es hier noch mehr Infos. Das Gebärdentelefon ist von Montag bis Donnerstag von 8 bis 18 Uhr sowie am Freitag von 8 bis 12 Uhr erreichbar. Ebenso möglich sind Fragen per Fax: 030 / 340 60 66 – 07 oder per E-Mail: info.deaf@bmg.bund(dot)de oder info.gehoerlos@bmg.bund(dot)de.
■ Weitere Sprachen: Kurze Info-Flyer der Johanniter auf
, , , , , , und hat der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bereitgestellt.■ International: Informationen zum Coronavirus in verschiedenen Sprachen stellt zudem die Weltgesundheitsorganisation WHO bereit.
Wenn aber PatientInnen mit schwerwiegenderer respiratorischer Symptomatik eingeliefert werden, findet die Behandlung natürlich trotzdem in der Rettungsstelle statt. Das führt mitunter zu Herausforderungen, da die baulichen Gegebenheiten nicht auf ein so hohes Aufkommen streng zu isolierender PatientInnen ausgelegt sind. Dann müssen wir Behandlungszimmer, die für mehrere PatientInnen ausgelegt sind, zu Einzelzimmern umfunktionieren, was die adäquate Behandlung anderer PatientInnen erschwert.
Um die Ausbreitung des Virus unter dem Personal zu erschweren, gilt nun eine generelle und permanente Mundschutzpflicht für MitarbeiterInnen der Notaufnahme. Außerdem sollen alle für mindestens zwei Wochen ein Symptomtagebuch führen, inklusive eigener Temperaturkontrollen während jeder Schicht.
Ich halte es trotz all dieser Maßnahmen für durchaus wahrscheinlich, mich selbst zu infizieren. Solange eine ausreichende Versorgung mit Schutzkleidung, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel gewährleistet ist, kann das Risiko zwar geringgehalten werden, ausschließen kann man es jedoch nicht. Sorgen mache ich mir vor allem darum, dass ich noch gesunde PatientInnen während der Inkubationszeit anstecken könnte. Außerdem um meine Eltern und meine Oma. Deshalb werde ich vorerst auf direkten Kontakt mit ihnen verzichten.
Wenn man den Blick auf andere Staaten wirft, bei denen die Infektionen schon weiter vorangeschritten sind, hoffe ich, dass alles irgendwie glimpflicher verläuft. Richtig vorstellen kann mich mir eine Lage wie momentan in Italien nicht. In den kommenden Wochen wird sicherlich noch deutlicher werden, wie wichtig eine gute und gesicherte pflegerische Versorgung ist.
Das Resultat dieser Pandemie muss eine Umstellung des Gesundheitssystems sein, dass nicht schon bei normaler Belastung an seine Grenzen gerät, sondern genügend Reserven und Puffer hat, um auch in Krisensituationen die Versorgung aufrechtzuerhalten.“ Protokoll: Judith Rieping
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„Wir moderieren 24/7“
Daniel Plötz, 36 Jahre, Administrator der Facebook-Gruppe „#Coronahilfe Hamburg“
taz am wochenende: Herr Plötz, die Facebook-Gruppe #Coronahilfe Hamburg ist stark gewachsen. Wie behalten Sie den Überblick?
Daniel Plötz: Die Gruppe soll für die Vermittlung von Helfenden und Hilfesuchenden dienen. Wir sind mittlerweile ein Team von dreizehn Leuten und 24/7 dran, die Beiträge zu moderieren und strukturieren.
Wie funktioniert das?
Wir ordnen die Beiträge nach Postleitzahl. Anfangs gab es Leute, die durch die ganze Stadt gefahren sind, um zu helfen. Das ist auf der einen Seite super cool …
… aber auf der anderen Seite nicht der Sinn von Nachbarschaftshilfe.
Genau. Wir versuchen mit der Ärztin, die wir an Bord haben, den Helfern an die Hand zu geben, was sie beachten müssen. An vielen Fronten müssen wir jetzt den Überblick behalten. Es wenden sich nun Menschen an uns, die eigene regionale Gruppen bilden wollen, die wir auch mit Tipps und einem Headerbild unterstützen.
Welche Hilfe wird in der Gruppe angeboten?
Hauptsächlich Einkaufs- und Botengänge. Oder mit dem Hund eine Runde zu gehen. Es gibt aber auch sehr vielfältige Angebote: Einer hat sich bereit erklärt, Fahrräder fit zu machen, um öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Eine andere Person hat angeboten, Selbstständigen beim Ausfüllen von Jobcenter-Formularen zu helfen. Eine Zahnarztpraxis auf der Suche nach Masken erhielt sofort einige Anlaufstellen.
Die Hilfsbereitschaft wird also in Anspruch genommen?
Ja! Es ist leichter Hilfe anzubieten, als sich einzugestehen diese zu benötigen. Wir versuchen die Betroffenen daher zu ermutigen, sich privat an uns zu wenden, wenn sie es nicht öffentlich machen wollen. Dann vermitteln wir den Direktkontakt, um vertrauensvoll mit den Daten umzugehen.
Wie fühlt sich die Solidarität und Unterstützung an?
Es ist ein super Gefühl, etwas so Sinnvolles zu tun. Alle von uns haben einen Job, aber packen jetzt an, wo wir können. Wir wollen auf keinen Fall, dass das als Geschäftszweck genutzt wird. Es ist pures Ehrenamt.
Wird die Gruppe auch nach der Corona-Krise für Nachbarschaftshilfe bereitstehen?
Auf jeden Fall! Niemand kann einschätzen, wie die Gesellschaft nach der Krise sein wird, aber ich glaube, dass Viele merken, wie wertvoll es ist, füreinander da zu sein. Ich glaube, dass die Werkzeuge, die wir jetzt nutzen weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben werden. Jemand meinte schon, dass alle sich – wenn alles vorbei ist – an der Elbe treffen und in den Arm nehmen sollten. Interview: Sarah Zaherr
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„Corona wirft uns auf uns selber zurück“
Christine Schlund, 53, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde am Weinberg, Berlin
Als Christine Schlund am vergangen Sonntag die Kirchentür hinter sich ins Schloss fallen ließ, wusste sie: Das war es erstmal. Was die Behörden zwei Tage später offiziell anordneten, war der Pastorin da längst klar: Es war ihr vorerst letzter Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche. Für wie lange? Keiner weiß es.
Schon dieser letzte Gottesdienst am 15. März stand ganz im Zeichen der Krise, erzählt die 53-jährige Pastorin am Telefon. Besucher*innen mussten sich in eine Liste eintragen. Es kamen weniger als sonst, etwa 50 Menschen. Mehr wären auch nicht erlaubt gewesen. Auf den Kirchbänken wurde Abstand zueinander gehalten. Man betete zusammen, und doch irgendwie jeder für sich.
Seit Montag arbeitet also auch Pfarrerin Christine Schlund von zuhause aus. Eine Hirtin im Homeoffice. Geht das überhaupt?
„Die Woche war sehr diffus und hektisch“, sagt Schlund. In Telefonkonferenzen bespricht sie sich mit ihren Pfarrkolleginnen und -kollegen aus Evangelischen Gemeinde am Weinberg. Wie umgehen mit dem Ausnahmezustand? Sie planen ein Video-Streaming, der Gottesdienste über das Internet überträgt. Sie beraten den Haushalt, der durch den zu erwarteten Konjunktureinbruch und die fehlenden Kollekten, obsolet geworden ist. Und sie telefonieren mit vielen Gemeindemitgliedern, singen und beten zusammen. Sie spüre viel Enttäuschung und Sehnsucht, aber auch Verständnis, sagt Schlund.
Natürlich könne sich die Kirche keine Extrarolle herausnehmen. Das sei eine Frage der Solidarität. Sie sagt aber auch: „Gerade jetzt ist es nötig, Menschen Halt zu geben.“ Immerhin: Ganz geschlossen ist die Kirche nicht. Die Tür steht, Stand jetzt, weiter offen. Wer will kann hinein gehen, ein wenig Ruhe außerhalb der eigenen vier Wände finden, eine Kerze anzünden. Religion wird – wie so Vieles im Moment – eine sehr private Angelegenheit.
„Corona wirft uns auf uns selber zurück“, sagt auch Schlund. „Jetzt merken wir erst, wie sehr wir uns über Arbeitsbezüge und unser Sozialgefüge definieren.“ Theologisch stellen sich durch die Krise neue Fragen. Und auch organisatorisch ist das Corona-Virus zwar zunächst eine Herausforderung, könnte aber auch neue Wege ebnen. „Wir werden nach dieser Krise definitiv eine andere Kirche, eine andere Gemeinde sein“, sagt Schlund.
Wann das sein wird, ist momentan kaum abzusehen. Bis zum größten und wichtigsten Fest des Christentums sind es nur noch drei Wochen. Schlund hegt vage Hoffnungen auf einen kleinen Gottesdienst an Ostern – im Freien, mit Abstand und Teilnehmerbegrenzung.
Die Fastenzeit, die Christen bis dahin begehen, steht bei der evangelischen Kirche in diesem Jahr unter dem Motto: „Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus!“
„Das fordert uns durchaus heraus in dieser Zeit“, sagt Schlund. „Aber wir werden dieses Motto nicht vergessen.“ Text: Daniel Böldt
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„Keiner meckert, alle sind motiviert“
Ingeborg Vries*, 50, arbeitet als Anästhesie-Schwester in einem Berliner Klinikum
„Wir fahren zurzeit sämtliche OP-Termine runter, um Platz auf den Intensivstationen zu schaffen. Alle Operationen, die nicht wirklich nötig sind, werden abgesagt oder verschoben. Dringende Krebs-Operationen durchaus. Zwei Intensivbetten halten wir dauerhaft frei für Notfälle. Es wird also wirklich ernst, wie ernst, werden wir sehen. Im Moment haben wir Extra-Schulungen für den Umgang mit den Beatmungsgeräten, wenn es losgeht, muss ich auf die Intensivstation.
■ Gerüchte, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien über das Coronavirus kursieren derzeit viele.
■ Aufklärung über viele Corona-Falschmeldungen bietet unter anderem der Verein Mimikama.at.
■ Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in englischer Sprache eine eigene Seite zur Aufklärung von Mythen über den Coronavirus veröffentlicht.
Angst habe ich keine, aber ich habe Respekt vor diesem Virus. Und ich glaube, dass die Maßnahmen noch immer nicht ausreichen: Wir haben zum Beispiel längst ein Besuchsverbot in der Klinik, es kommt niemand mehr rein außer Personal mit Ausweis. Aber stattdessen treffen sich dann Patienten und Besucher draußen. Unten auf dem Rasen stehen sie, das kann man vom Fenster aus sehen. Ich verstehe auch nicht, warum die Maßnahmen so spät kommen: Am Potsdamer Platz sitzen alle in den Cafés draußen. Zu meinen Nachbarn habe ich gestern Abend gesagt: Sie müssen nicht jeden Tag einkaufen gehen! Es reicht doch einmal die Woche.
Wie ich es finde, dass jetzt über unser Gehalt diskutiert wird? Also: Das Gefühl, dass wir schlecht bezahlt werden, benutzt werden, das ist schon immer da. Da brauche ich keine Corona-Krise. Und es wird auch nicht besser werden. Wenn das vorbei ist, werden sie genau so weitermachen, wie immer. Es geht immer ums Geld. Ich bin jetzt 50 und zu alt für eine Umschulung. Wir machen ja auch weiter: Keiner meckert, alle sind motiviert, zu tun, was zu tun ist. Und ich persönlich wünsche mir einfach nur, dass meiner Mutter nichts passiert und wir da alle heil rauskommen.“ Protokoll: Martin Reichert
*Name geändert
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„Es herrscht Ratlosigkeit“
Elisa Lindemann, 28, ist Leiterin der Notunterkunft „Marie“ für obdachlose Frauen in Berlin
taz am wochenende: Frau Lindemann, Sie leiten eine Übernachtungsunterkunft für obdachlose Frauen in Berlin. Haben Sie daran gedacht, die Einrichtung wegen des Coronavirus zu schließen?
Elisa Lindemann: Ja, auch bei uns in der Stiftung gab es solche Überlegungen. Wir haben uns aber dagegen entschieden, da wir unseren Nutzerinnen so lange wie möglich eine sichere Anlaufstelle bieten wollen. In der derzeitigen Situation überlegen wir jedoch jeden Tag neu, wie wir unser Angebot zum Wohle der Nutzerinnen bestmöglich aufrechterhalten können.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Was hat sich konkret verändert bei Ihnen in den vergangenen Tagen?
Normalerweise haben wir hier zehn Plätze, die mussten wir auf sechs reduzieren, um die geforderten Abstände einhalten zu können. Die Vorgabe, dass die Frauen maximal 14 Nächte am Stück hier schlafen können, haben wir ausgesetzt. Die Frauen, die hier sind, können jetzt erst mal unbefristet bei uns bleiben, um mögliche Infektionsketten zu vermeiden.
Das öffentliche Leben macht derzeit eine Vollbremsung. Was bedeutet das für obdachlose Menschen?
Es gibt viel weniger Anlaufstellen für die Menschen. Orte, an denen sie ansonsten auch mal zur Ruhe kommen, ein Buch lesen können, haben auf einmal geschlossen. Das belastet. Wir merken, dass die Stimmung unter den Frauen gereizter ist. Sie fangen schneller an zu streiten. Diskussionen werden schneller lauter.
Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen gut über das Coronavirus informiert sind?
Ja, die Informationspolitik ist ja schon sehr umfassend. Die Frauen sind untereinander sehr aufmerksam, erinnern sich gegenseitig an die Händehygiene und ans richtige Niesen und Husten. Das Hauptthema ist aber: Was bedeuten diese Einschränkungen für mein Leben? Die Angst ist groß, dass auch noch Parks geschlossen werden. Dann gibt es kaum noch Orte, wo die Menschen hinkönnen. Und was passiert bei einer Ausgangssperre? Da gibt es bis jetzt noch keine Antworten.
Was würde passieren, wenn eine von Ihren Bewohnerinnen sich nachweislich mit dem Virus infiziert hat?
Das ist eine der vielen Fragen, die noch ungeklärt sind. Unsere Einrichtung müsste dann schließen, weil natürlich auch unsere Mitarbeiterinnen in Quarantäne müssten. Aber was passiert mit den Bewohnerinnen? Die können ja nirgendwo in Quarantäne. Ehrlich gesagt herrscht da Ratlosigkeit. Sowohl bei uns als auch bei den Behörden. Keiner weiß wirklich, wie es dann weitergehen soll. Interview: Daniel Böldt
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