Mehrwertsteuer auf Lebensmittel: Grüne will Fischkonsum steigern
Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina will die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abschaffen. Unverständlich ist, warum sie das auch für Fisch will.
U nd nun kostet auch die Gurke im Discounter nebenan schon 69 statt wie bis vor Kurzem 49 Cent. Großverdienende mögen derzeit über rasant steigende Preise für den Neuwagen oder für das Hotel im anstehenden Sommerurlaub mosern – und natürlich auch wie viele andere über die mies hohen Spritpreise.
Dass die Kosten für Lebensmittel aber für existentielle Probleme sorgen, spüren nur Leute mit wenig Kohle. Auf vieles kann ein Mensch verzichten – auf Nahrung nun mal nicht. Drum könnte man nun jubeln: Angesichts steigender Preise setzt sich Hamburgs Justiz- und Verbraucherschutzsenatorin Anna Gallina (Grüne) für eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse ein.
„Eine ausgewogene Ernährung darf nicht an den Kosten scheitern“, sagt Gallina und will kommende Woche mit den übrigen Verbraucherschutzminister:innen eine Bundesratsinitiative dafür starten. Die Politik müsse „schnell, angemessen und wirksam“ gegen die steigenden Preise vorgehen.
So richtig neu ist die Idee von Gallina nicht. Auch ihr Parteikollege und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte selben Vorschlag schon kürzlich auf die Agenda gehoben. Da winkte die mit Özdemir regierende FDP natürlich schnell ab.
Weniger Fleisch, mehr Gemüse
Kann man es dann kämpferisch nennen, wenn Gallina trotzdem nicht aufgeben will und einen neuen Anlauf versucht? Vielleicht. Zwar ist es ziemlich egal, was Fachminister:innen auf Länderebene fordern, wenn es um Bundesgesetze geht. Und nur wenig mehr Hoffnung macht dann eine Bundesratsinitiative – es kommt selten vor, dass aus einer solchen Initiative tatsächlich ein Gesetz wird. Aber Gallina weiß das natürlich. Politisch wird der Druck ja dennoch auf den politischen Gegner erhöht.
Und sie hat ja die besseren Argumente auf ihrer Seite: Zwar profitieren von einer ausgesetzten Mehrwertsteuer dann auch Reiche. Aber es bleibt eine Aktion, die gleich zwei Vorteile mitbringt. Wenn insgesamt weniger Fleisch und stattdessen mehr Obst und Gemüse gegessen wird, ist das aktiver Umwelt- und Klimaschutz. Und durch das Aussetzen der Mehrwertsteuer hat der Staat ja tatsächlich ein sanftes Steuerungsinstrument – niemand wird also wegen eines gesetzlichen Verbots von Fleischkonsum grünen Totalitarismus an die Wand malen.
Doch Gallinas Vorschlag zufolge sollen ja nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch Hülsenfrüchte, Eier, Fisch, Getreide, Milchprodukte und pflanzliche Alternativen zu Milchprodukten durch die Steuerentlastung billiger werden. Bitte was? Eine Grüne will den Konsum von Fisch ankurbeln?
Oder geht’s ihr um Aale-Dieter und Co, die hungrige Besoffene sonntagmorgens auf dem Hamburger Fischmarkt mit Bismarck-Brötchen versorgen? Nachdem Gallina einst über eine absurde Kampagne gegen sie beinahe gestolpert wäre, bei der der Verzehr von Hummer kein gänzlich randständiger Aspekt gewesen war, setzt dann doch das Kopfschütteln über ihren Vorschlag ein.
Denn warum neben dem Fisch mit Eiern und Milch auch weitere Tierprodukte ebenso begünstigt werden sollen, ist aus grüner Perspektive schlicht unverständlich. So kann man fast ein wenig dankbar sein, dass hier lediglich über einen Vorstoß auf Bundesratsebene diskutiert wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz