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Mehr Geld für PflegekräfteJetzt kommt die Nebenwirkung

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Auch in der Pflege drängt jetzt die Frage nach solidarischer Finanzierung. Sonst treiben höhere Löhne die Bedürftigen in die Armut.

Spaziergang aus dem Altenheim Foto: Rust/imago

E igentlich ist der 1. September ein guter Tag für die Pflege: Die Entgelte der Pflegekräfte steigen dank einer Tariftreueregelung, die jetzt auch private Pflegeheimbetreiber dazu zwingt, Tariflöhne zu zahlen. Eine am Donnerstag veröffentlichte Bürgerbefragung des Beamtenbundes ergab zudem, dass Pflegekräfte im Ansehen der Bevölkerung sehr weit oben stehen. Es gibt Verbesserungen – nur leider hat man irgendwie in der Politik vergessen, wer diese eigentlich bezahlen soll.

Preise und Löhne steigen, und Pflege­heimbetreiber verlangen von den Be­woh­ne­r:in­nen heftige Aufschläge, das ist die Nebenwirkung. Die Pflegekassen fangen die Preiserhöhungen kaum ab. Da ist sie wieder, die alte Panik vor allem in der Mittelschicht, die man noch aus den Zeiten vor der Einführung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren kannte: ins Heim zu müssen, Haus und Sparguthaben zu verlieren und zum sogenannten Sozialfall zu werden. Das war und ist das Schreckgespenst.

Früher hoffte man einfach, dass es in der Familie niemanden erwischt. Die Menschen starben früher, Ober­schenkelhalsbrüche endeten tödlich, es kam seltener zu Demenzen, der Pflegeaufwand war geringer.

Die Zeiten haben sich geändert und wir stehen vor den alten Alternativen: Entweder das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit wird wieder individualisiert, dann müssen Betroffene entweder bei der ambulanten Versorgung sparen oder verstärkt die Hilfe des Sozial­amtes in Anspruch nehmen und vorher ihre Vermögen aufbrauchen. Oder es muss zusätzliche Finanzierungsmodelle für diese Dienstleistung geben, entweder durch eine Erhöhung der Beiträge zur Pflege­versicherung oder Hilfe aus Steuergeldern.

Die Pflege ist neben Krieg, Klima und Inflation ein weiteres Feld, in dem sich Fragen nach einer solidarischen Finanzierung und der Verteilung von Belastungen stellen. Sich wegzuducken, weil der Zeitpunkt für eine weitere Entlastungsdebatte leider ungünstig ist, wird dem Gesundheitsminister dabei nicht helfen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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7 Kommentare

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  • Und seit wievielen Jahren geht diese Debatte? Allein zu sagen, das wegen eines noch nicht einmal fairen Stundenlohn nun die Pflegesätze der Heime und der Pflegedienste steigen ist eine Frechheit. Denn es besagt ja nur, das die Pflegekräfte in diesen Firmen seit Jahren für den beliebten Apfel+Ei arbeiten und es gibt genug Arbeitgeber, welche schon seit Ewigkeiten mehr als diesen nun gekommenen Mindestlohn an ihre Beschäftigten zahlen. Nur: der Lohn ist das Eine, die Arbeitsbedingungen das Andere - doch davon steht nirgends etwas geschrieben, Schade eigentlich.

  • 6G
    659975 (Profil gelöscht)

    Pflegerinnen und Pfleger brauchen und verdienen mehr Geld.

    Aber naja, warum sollen die Pflegebedürftigen nicht ihre Ersparnisse für die Pflege im Alter aufbrauchen, sondern der Staat soll einspringen.



    Weil die Kinder etwas erben sollen?

    Das Heim für meine Mutter ist schon vor 2 Monaten um 300.- Euro teuer geworden...pro Monat.



    Diese Erhöhung macht genau die Ersparnis aus, die es Anfang des Jahres gab, weil die Pflegeversicherung ihren Anteil erhöhte.



    Das ist nun weg und ich werde schauen, ob durch den 01.09. noch eine weitere Erhöhung hinzukommen wird.



    Aber meine Mutter ist noch zumindest in der glücklichen Lage es noch bezahlen zu können: Von ihrem Ersparten.



    Natürlich nicht von ihrer Rente, trotz 45 Jahren Arbeitsleben in sozialversicherungspflichtigen, regulären Arbeitsverhältnissen.



    Wäre sie 45 Jahre lang Beamtin gewesen, wäre die Situation erheblich angenehmer für sie.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Mehr Geld für Pflegekräfte ist ÜBERRFÄLLIG.



    Herr Heil, machen sie doch mal einen Tagesdienst mit!

  • Hoffentlich lassen sich hier prekäre Verhältnisse noch vermeiden. Vergessen der Finanzierungslücke? - Das ist nicht anzunehmen. Der Markt kann das nicht regeln. Das Thema war und bleibt virulent, schon wegen des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung.



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    taz.de/24-Stunden-...warzarbeit+Pflege/



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    taz.de/Prekaere-Ar...58&s=Polin+pflege/



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    taz.de/Pflegewisse...warzarbeit+Pflege/



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    Ab den Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wird es dann richtig spannend werden. Das Statistische Bundesamt hat die entsprechenden Daten dazu.

  • Es müssen endlich die Unternehmensgewinne so besteuert werden, dass das Sozialsystem für jede/n bezahlbar wird und die Pflegenden ordentlich bezahlt und mit attraktiven Arbeitszeitmodellen unterstützt werden. Die überalternde Gesellschaft muss das endlich begreifen.

  • Für die Bedürftigen ändert sich doch nicht viel? Es war doch die ganze Zeit schon unbezahlbar. Das zu viel Geld für kaum Leistung ist nie bei den Pflegekräften angekommen.

  • Jeder Angehörige sollte ohnehin die Polizei und die Staatsanwaltschaft einschalten denn den meisten Menschen in den Pflegeeinrichtungen wird jedes Menschenrecht angesprochen.

    Und den Pflegenden geht es im seltensten Fall wirklich um das Geld sondern vielmehr darum, dass sie sich von gefristetem zu befristetem Arbeitsvertag durchhangeln müssen.



    Und das nur, weil die FDP eine Reform dieser Regelungen mit schönster Regelmäßigkeit torpediert.

    Also um es kurz zu machen: Die FDP ist Ursache Nummer der Pflegemisere.