Mehr Geld für Pflegekräfte: Jetzt kommt die Nebenwirkung
Auch in der Pflege drängt jetzt die Frage nach solidarischer Finanzierung. Sonst treiben höhere Löhne die Bedürftigen in die Armut.
E igentlich ist der 1. September ein guter Tag für die Pflege: Die Entgelte der Pflegekräfte steigen dank einer Tariftreueregelung, die jetzt auch private Pflegeheimbetreiber dazu zwingt, Tariflöhne zu zahlen. Eine am Donnerstag veröffentlichte Bürgerbefragung des Beamtenbundes ergab zudem, dass Pflegekräfte im Ansehen der Bevölkerung sehr weit oben stehen. Es gibt Verbesserungen – nur leider hat man irgendwie in der Politik vergessen, wer diese eigentlich bezahlen soll.
Preise und Löhne steigen, und Pflegeheimbetreiber verlangen von den Bewohner:innen heftige Aufschläge, das ist die Nebenwirkung. Die Pflegekassen fangen die Preiserhöhungen kaum ab. Da ist sie wieder, die alte Panik vor allem in der Mittelschicht, die man noch aus den Zeiten vor der Einführung der Pflegeversicherung in den 90er Jahren kannte: ins Heim zu müssen, Haus und Sparguthaben zu verlieren und zum sogenannten Sozialfall zu werden. Das war und ist das Schreckgespenst.
Früher hoffte man einfach, dass es in der Familie niemanden erwischt. Die Menschen starben früher, Oberschenkelhalsbrüche endeten tödlich, es kam seltener zu Demenzen, der Pflegeaufwand war geringer.
Die Zeiten haben sich geändert und wir stehen vor den alten Alternativen: Entweder das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit wird wieder individualisiert, dann müssen Betroffene entweder bei der ambulanten Versorgung sparen oder verstärkt die Hilfe des Sozialamtes in Anspruch nehmen und vorher ihre Vermögen aufbrauchen. Oder es muss zusätzliche Finanzierungsmodelle für diese Dienstleistung geben, entweder durch eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung oder Hilfe aus Steuergeldern.
Die Pflege ist neben Krieg, Klima und Inflation ein weiteres Feld, in dem sich Fragen nach einer solidarischen Finanzierung und der Verteilung von Belastungen stellen. Sich wegzuducken, weil der Zeitpunkt für eine weitere Entlastungsdebatte leider ungünstig ist, wird dem Gesundheitsminister dabei nicht helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen