Meduza-Auswahl 8. – 14. Februar: Putins Botschaft an den Westen
Das TV-Interview des russischen Präsidenten mit dem US-Moderator Carlson wendet sich laut Insidern direkt an die US-Amerikaner. Texte aus dem Exil.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Woche vom 8. bis zum 14. Februar 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Eine Newaljaschka mit Gefängnistätowierungen
Am 10. Februar stellte ein Gericht in Krasnojarsk, der drittgrößten Stadt Sibiriens, den Künstler Wassili Slonow unter Hausarrest. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren wegen des Anbringens „extremistischer Symbole“ eingeleitet, weil er die Figur einer Newaljaschka – eine traditionelle Stehaufpuppe – mit Gefängnistätowierungen darauf angefertigt hatte. Die russischen Behörden sind der Meinung, dass das Kunstobjekt Referenzen an die verbotene AUU-Bewegung – eine informelle, gut versteckte und nur vage definierte Organisation russischer Krimineller – enthalte. Meduza berichtet über den Vorfall und lässt den Kunstkritiker Anton Chitrow die Kunst Slonows analysieren (russischer Text).
Slonows Werke erinnern auf den ersten Blick oft an teure, kunstvolle Souvenirs aus Russland. Ein Beispiel: ein Feuerlöscher mit dem Konterfei Putins oder Putins Kopf auf einem Samowar. Andere „patriotische Geschenke“ von Slonow sind ominöse Vorschlaghämmer mit den Logos der Privatarmee PMC Wagner. Sein Markenzeichen: imperialer Kitsch mit schwarzem Humor.
Seit einer skandalösen Kunstausstellung in der russischen Stadt Perm wurde Slonow regelmäßig von FSB-Offizieren kontaktiert und befragt. Im letzten Jahr verhängte ein Gericht bereits eine Geldstrafe von 1.000 Rubel wegen des von ihm gestalteten Spielzeugs, nun folgt der Hausarrest.
Kreml-Insider über Putin-Interview von Tucker Carlson
Am 8. Februar veröffentlichte der US-Fernsehjournalist Tucker Carlson ein zweistündiges Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Meduza hat sich im Zuge dessen gefragt, was die russischen Beamten im Kreml wohl von dem Interview halten. Der Meduza-Sonderkorrespondent Andrej Perzew hat es in diesem Beitrag zusammengefasst (englischer Text).
Die kremlnahen Quellen, mit denen Meduza sprechen konnte, sehen kaum Passagen, mit denen Putin im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen im März punkten könnte. Man merke: Das Gespräch sei für ein ausländisches Publikum bestimmt gewesen, so ein Beamter. Sowohl Beamte der Präsidialverwaltung als auch ein politischer Stratege, der mit dem Kreml bei der Wahl zusammenarbeitet, zeigten sich schockiert über den „prowestlichen“ Ton des Gesprächs zwischen Carlson und Putin. Für den politischen Strategen ist Putins Botschaft klar: „Ich möchte mit dem Westen sprechen, und zwar eher mit den US-Amerikanern als mit den Europäern, da sie [ohnehin] unter US-amerikanischem Einfluss stehen“.
Human Rights Watch über Kriegsverbrechen in Mariupol
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat in Zusammenarbeit mit den Ermittlungsgruppen SITU Research und Truth Hounds eine umfangreiche neue Untersuchung über die großflächigen Zerstörungen und möglichen Kriegsverbrechen während des Angriffs auf die ukrainische Stadt Mariupol im Jahr 2022 veröffentlicht. Meduza fasst den 224-seitigen Bericht mit detaillierten Informationen über 14 tödliche Angriffe russischer Streitkräfte, bei denen 18 Gebäude beschädigt oder zerstört wurden, zusammen (englischer Text).
Bei all diesen Angriffen fanden die Autoren „keine Beweise für eine ukrainische Militärpräsenz in oder in der Nähe der getroffenen Gebäude oder nur eine geringe Militärpräsenz“. Die russischen Besatzungstruppen hätten seit der Besatzung der Stadt damit begonnen, „eine neue Stadt nach russischem Vorbild“ zu errichten. Dabei habe sie Beweise an „Hunderten von potenziellen Tatorten“ beseitigt, schreibt Human Rights Watch. „Die Besatzungstruppen beseitigen auch Zeichen der ukrainischen Identität, indem sie unter anderem einen russischen Lehrplan für Schulen durchsetzen und Straßen umbenennen. Sie verlangen von den Bewohnern russische Pässe, um sich für bestimmte Jobs und Leistungen zu bewerben.“
Warum Nadeschdin ausgeschlossen wurde
Mehr als 9.000 Unterschriften, die der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin gesammelt hatte, um kandidieren zu dürfen, hat die russische Zentrale Wahlkommission für ungültig erklärt. Der Antikriegskandidat und Putins Gegner wurde somit nicht für die Präsidentschaftswahlen im März zugelassen.
Meduza-Quellen zufolge wollte der Kreml Nadeschdin von Anfang an nicht erlauben, gegen Putin zu kandidieren. Und die Situation erhielt im vergangenen Monat eine neue Dringlichkeit, als Hunderttausende Russ*innen seine Kandidatur massiv unterstützen. Das traf die Behörden unvorbereitet. Meduza-Sonderkorrespondent Andrej Perzew erklärt, warum der Kreml Angst vor Nadeschdin hat (englischer Text).
Putins Umfeld glaubt zwar nicht an einen Sieg Nadeschdins bei der Wahl. Doch selbst wenn er 10 Prozent oder mehr der Stimmen erhielte, wäre das ein klares Signal an die russische Gesellschaft.
Putin will wohl mehr als 80 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich sichern. Denn das wäre ein neuer Rekord in der russischen Geschichte. Ein gutes Ergebnis für Nadeschdin könnte ihm somit gefährlich werden: „Es würde zu offensichtlich, dass das Parteiensystem nichts mit echter Repräsentation zu tun hat – wenn eine Person ‚von der Straße‘ viele Stimmen erhält“, sagte eine Meduza-Quelle.
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