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Mediensatire im Thalia Theater HamburgDer Wahnsinn auf Sendung

„Network“ ist eine Mediensatire über die Gier nach Einschaltquoten und Emotionen. Inszeniert hat sie Jan Bosse für das Thalia Theater Hamburg.

Wolfram Koch als Howard Beale im psyche­delischen Ambiente Foto: Armin Smailovic

Glitzeranzüge, Fönwellen und Ledersessel. Telefone aus Bakelit, Pilzlampen und immer wieder und überall grelles Orange. Mitten in die 70er Jahre führt uns dieses Bühnenbild im Thalia Theater Hamburg.

Mitten in den 70er Jahren spielt schließlich der Film „Network“ von Sidney Lumet, den der Regisseur Jan Bosse dort für die Bühne bearbeitet hat. Darin kündigt der – seine Einschaltquoten sind einfach zu lausig – gerade geschasste Nachrichtenmoderator Howard Beale an, sich in seiner nächsten Sendung eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Das Entsetzen im Sender ist groß, das Medienecho allerdings ebenso, und so beschließt die Redaktion, diesem durchgedrehten Moderator eine eigene Sendung zu geben.

„Alles ist beschissen“, die Welt, die Demokratie, die vermeintliche Wahrheit, schimpft Wolfram Koch also als Howard Beale und beschwört die Zuschauer: „Ich will, dass ihr wütend werdet.“ Als angry man, als zorniger Prophet, der gegen die Verlogenheit der Welt wettert, tritt er fortan täglich zur Primetime auf. Er füllt die Titelseiten, die Quoten steigen wieder und Christiane von Poelnitz als Programmleiterin Diane Christensen jenes fiktiven UBS-Senders jubelt: „Das ist eine Goldmine!“

Der Marktwert der Wut

Es sind unheimlich gegenwärtige Themen, die diese Mediensatire aus dem Jahre 1976 vorgibt – auch und vor allem fast 50 Jahre später: dass Nachrichten zu Entertainment werden, dass Informationen nur über Emotionen „verkauft“ werden können, dass Wahrheiten relativiert und Medien manipuliert werden. Dass Wut einen (TV)-Kanal (miss)braucht und dass allein der Marktwerk den Erfolg bestimmt.

Jan Bosse vertraut darauf, dass diese Themen für sich sprechen und belässt die Ästhetik ganz bewusst im Damals. Stéphane Laimé hat ihm dafür ein herrliches Bühnenbild entworfen. Knallorangefarbene Lochwände begrenzen ein paar Bürowaben. Das Zentrum bildet ein Aufnahmestudio voller Weltzeituhren, in dem Wolfram Koch als Moderator und parallel dazu Julian Greis als Aufnahmeleiter und Björn Meyer als Warm-Upper agieren.

Drumherum gruppieren sich Büros mit Grünzeug, dahinter eine Drei-Männer-Band (Jonas Landerschier, Günter Märtens, Matthias Strzoda), die für die wiederkehrenden Erkennungs-Jingles und ansonsten fast ununterbrochen für psychedelischen Jazz sorgt.

Mit Wolfram Koch, der den Moderator zunächst schiefschultrig verzagt, später wunderbar wahnwitzig wirr gibt, agiert vor allem Felix Knopp als dessen Freund und Vorgesetzter Max Schumacher. Knopps Figur ist herrlich halbherzig. Schuljungenhaft und klemmig erregt sich dieser Schumacher bei einem Date mit jener lasziv-coolen Diana Christensen, die nur vermeintlich, also ganz strategisch, Gefühle für ihn behauptet, tatsächlich aber ihr Lebens- und Liebesglück in den steigenden Einschaltquoten sucht und findet.

Jirka Zett als Frank Hackett und Obermacker des Senders schwirrt immer mal wieder im Showbusiness-Silber durch den Raum; schnarrt oder schleimt, je nach Gegenüber. Er flucht mehr als er redet, und sein „du bist gefeuert“ fällt so beiläufig wie ein Nebensatz.

Er springt auf den Tisch

In rasch aneinandergeschnittenen Szenen spiegelt Jan Bosse die nervöse Hektik eines Fernsehstudios wider, erzählt in knappen Dialogen vom schnelllebigen Showgeschäft. Das gelingt ihm bestens – und ganz ohne Projektionen.

Das ist alles schön, verrückt, bunt und auch verlogen. Doch wichtig und dringlich ist es nicht (mehr)

Als Wolfram Koch seinen x-ten Wut-Monolog performt, sich Sounds und Stimmen imitierend einmal rasch durch alle möglichen TV-Programme zappt – vom Wetter über Klassik und Krimi bis hin zum Porno, da ist man mittendrin in der Illusion der Illusion. Als er auf den Tisch springt, seinen Zeigefinger weit gen Himmel streckt und das Fernsehen als falsches Evangelium verflucht, in dem Scheiße als Wahrheit verkauft wird, da hat man innerlich schon selbst den Fernseher eingeschaltet, um diesem charismatischen Howard ­Beale zuzuhören, seinen Wahrheiten, Visionen und Weltverbesserungsschwüren.

Da wird sein Wahnsinn zu einer möglichen Erlösung. Allein die Interaktion, die Wolfram Koch dann an der Rampe agierend und mit angeschaltetem Saallicht anstrebt, verpufft. Womöglich aus Mangel an zugelassener Zuschauermasse und aus Angst vor Aerosolen. Dennoch: eine grandiose Szene über die Verführungskraft des Wahnsinns.

Doch die aus Kochs großartiger Agitation kurz und wild aufflackernde, hintergründige Atmosphäre hält nicht lange an. Bosse verliert seinen Protagonisten bald wieder aus dem Blick, erzählt zu viel von den Lebens- und Ehe- und Ernährungskrisen der anderen. Da werden Asia-Nudeln verschlungen, tragen etliche Schauspieler plötzlich Fatsuits (Kostüme: Kathrin Plath), da tritt Superman auf und singt Julian Greis’ „Ain’t no sunshine, when she’s gone“ in wunderbar traurigem Deutsch.

Das ist alles schön, verrückt, bunt und auch verlogen. Doch wichtig oder dringlich ist es nicht (mehr). Am Ende wird jener Moderator – erneut dünne Einschaltquoten – erschossen. Da ist kein Blut. Kein Schrecken oder Schaudern. The show must go on: Da sind Glitzeranzüge, Fönwellen und überall und immer wieder grelles Orange.

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