ARD-Thriller „Gefangen“: Haus mit Wolf

Ein Polizist wird Zeuge eines tödlichen Unfalls. Und versenkt sich im surreal anmutenden ARD-Thriller tief in das Leben der Verstorbenen.

Filmszene: Mann kauert in einem Wohnraum, neben ihm ein Wolf

Harry (Wolfram Koch) wird im ARD-Thriller „Gefangen“ zum Wolf Foto: WDR

So entspannt und zugewandt wünscht man sich einen Polizisten, wenn er einen beim Telefonieren im Auto erwischt. „Einfach mal nicht rangehen, was“, rät Polizist Harry anstelle einer Verwarnung mit Bußgeld dem Fahrer. „Ich bin einfach an den Leuten interessiert“, erklärt Harry seinem leicht genervten Kollegen. Sonst hätte er von dem Mann am Steuer ja auch nicht erfahren, dass dessen Frau eine Reise machen will, nach Tunesien – ein kurzer Austausch, der entscheidend für die Geschichte sein wird. Ein normaler Polizist, wie der Kollege, will so etwas gar nicht wissen. Aber Harry ist eben empathisch, versetzt sich in die Leute hinein. Vielleicht zu sehr?

Als Harry, gespielt von Wolfram Koch, den Mann von der Kontrolle das nächste Mal sieht, liegt der im Sterben, nach einem Unfall neben seinem Auto. Harry kann weder ihm noch der Frau oder den beiden Töchtern helfen.

Immer surrealer geht es von da an zu in diesem Film von Regisseurin Elke Hauck („Karger“, „Der Preis“) zu.

Den Nachmittag verbringt Harry im Freibad. Bei ihm sind seine Frau (Antje Traue), die ein Kind erwartet, und seine Tochter, die eine andere Mutter hat, bei der sie lebt. Der Sohn ist gerade erst aus dem Haus. Als sie später von dem Unfall erfährt, wundert sich die Frau, wie er danach den Tag so fröhlich mit ihnen habe verbringen können. „Es war eben ein fröhlicher Tag“, sagt er.

Des Menschen Wolf

Und zu der Polizeipsychologin, zu der er nur widerwillig geht: „Das gehört dazu. Ein anderer kann vielleicht nicht ganz so gut damit umgehen.“ Zu seiner Chefin, die sich sorgt: „Manchmal geht man durch den Tag und dann geht man wieder raus.“

„Gefangen“ läuft am Mittwoch, den 7. April um 20.15 Uhr im Ersten und schon jetzt in der Mediathek

Was Harry sagt, ist das eine – was er tut, das andere. An die Adresse der toten Familie kann er sich noch erinnern. Das Haus ist eigentlich nichts Besonderes – aber sehr idyllisch gelegen in der brandenburgischen Pampa: mit Wald und See und Wildgehege. Und mit Wolf in dem Wildgehege. Wahrscheinlich gehört es längst irgendeinem Berliner Kulturpromi, der es zum Zwecke der Refinanzierung bei so einer Location-Agentur ins Portfolio gegeben hat. Und natürlich gibt es da, anders als in dem Film behauptet, auch Internet. Harry schwimmt in dem See und Jugendliche klauen ihm seine Klamotten. Er bricht in das Haus ein und schlüpft in den biederen Rautenpullover des Mannes. Er spricht mit dessen toter Frau und den toten Mädchen, als wären sie seine Familie und noch am Leben.

Wolfram Koch dürfte es gefallen haben, der Rolle des Fernsehpolizisten, den er seit 2015 in dem in Frankfurt am Main spielenden „Tatort“ gibt, einen neuen Dreh zu verpassen. Auf der Bühne war Koch in den vergangenen Jahren häufig in den Inszenierungen Peter Fritschs zu erleben, dessen sehr eigener, kunterbunt-slap­stik­hafter Stil dem Regietheater eine surreale Dimension erschlossen hat.

Man muss ja nicht gleich mit so großen Vorbildern wie Roman Polańskis Mietertrilogie kommen. Das Motiv, dass ein Domizil zum Schauplatz einer Horrorgeschichte wird, ist nicht weniger als ein (Genre-)Klassiker. Wie auch das Schlüpfen in die Identität eines Verstorbenen.

Wer denkt schon an Horror!

Und es bleibt ja nicht bei diesen Motiven. Bleiben wir doch zu Hause: Die Tierwerdung eines zunächst angepassten Menschen, das Wolfsmotiv, kennen wir etwa aus „Die dunkle Seite des Mondes“ oder, natürlich: „Wild“ von Nicolette Krebitz.

Das allerdings war Kino, nicht Fernsehen. Da rechnet man doch nicht mit Horror. Zumal auf dem gemäß dem ARD-Programmschema den anspruchsvolleren Stoffen vorbehaltenen Sendeplatz am Mittwochabend. Da erwartet man viel eher das, was der Film mit dem Titel „Gefangen“ zunächst ja auch zu sein schien: das Porträt eines empathischen Mannes, der um so stärker in die Gefangenschaft seines Traumas gerät, je mehr er versucht, es zu verdrängen.

Nun müssen die surrealen Wendungen nicht unbedingt bedeuten, dass er nicht genau das am Ende – auch – ist. Der Film lässt mehr als nur eine Lesart zu und erklärt nichts. Noch dazu gestattet er sich ein offenes Ende. Da hat die ARD sich aber mal was erlaubt!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.