piwik no script img

#MeToo-Bewegung erreicht ÄgyptenDas Ende der Scham

Ein Mann in Ägypten soll über hundert Frauen sexuell missbraucht und vergewaltigt haben. Jetzt melden sich die Opfer auf Instagram.

Zaki beging die mutmaßlichen Taten an renommierten Universitäten des Landes, wie der in Neu-Kairo Foto: Maya Alleruzzo/ap

Das Land Ägypten ist eines, in dem sexuelle Belästigung für viele Frauen zur Tagesordnung gehört und sexuelle Gewalt selten vor Gericht endet. Viele Frauen schämen sich, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Doch seit Anfang des Monats erlebt das Land am Nil seinen „#MeToo-Moment“. Auslöser ist der Fall des 21-jährigen Studenten Ahmad Zaki, der über hundert Frauen sexuell angegriffen, vergewaltigt und zu Sex genötigt haben soll. Der Fall hat eine landesweite Debatte über sexuelle Gewalt ausgelöst.

Diese begann mit einer Anfang des Monats angelegten Instagram-Seite. Viele Frauen haben inzwischen zum Teil detaillierte Zeugnisse abgelegt, wie sie von Zaki sexuell angegriffen, manchmal vergewaltigt und oft durch Erpresser-Anrufe zu sexuellen Handlungen genötigt wurden. Sein jüngstes mutmaßliches Opfer ist 14 Jahre alt. Viele der Aussagen wurden dort mit beigefügten Textnachrichten und Audio-Botschaften gestützt, in der der Student droht, das Geschehene den Familien oder Freunden der Opfer zu erzählen. Oft droht der Täter auch mit seinem Vater, der angeblich beim ägyptischen Geheimdienst arbeitet. Einmal mit den Worten: „Wir besitzen den Boden, auf dem du gehst.“

Inzwischen ist Zaki festgenommen und die Staatsanwaltschaft ermittelt. In einem ersten Statement, sechs Tage nachdem die Instagram-Seite online ging, erklärte die Staatsanwaltschaft in Kairo, Zaki sei zunächst im Fall von drei Vergewaltigungsversuchen angeklagt, darunter wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen. Außerdem habe er sie durch Erpressung zu wiederholten sexuellen Handlungen gezwungen. Ein Untersuchungsrichter ordnete inzwischen eine Haftverlängerung an. Die Staatsanwaltschaft ermutigt nun weitere betroffene Frauen, Anzeige zu erstatten. Dem Parlament liegt ein „Lex Zaki“-Gesetzentwurf vor, laut dem Frauen bei Verfahren wegen sexueller Gewalt Anonymität zugestanden werden soll.

„Dies ist ein wichtiger Moment“, glaubt Lobna Darwish, die bei der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EIPR die Verletzung ägyptischer Frauenrechte dokumentiert. Es sei in den letzten Jahren immer wieder über sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt gesprochen worden. „Aber dieser Fall sticht wegen der schieren Menge der Opfer heraus und hinterlässt eine Gesellschaft im Schock, die anhält und zuhört“, sagt sie im Gespräch mit der taz.

Die Frage der sozialen Herkunft

Das der Fall so viel Aufmerksamkeit bekommt, liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Opfer aus der ägyptischen Oberschicht kommen. Zaki studierte und beging die mutmaßlichen Taten an den renommiertesten Schulen und Universitäten des Landes, zunächst bei der American International School, einer der teuersten Privatschulen Ägyptens, dann an der AUC, der American University Cairo. Letztes Jahr wechselte er an die EU Business School in Barcelona, wo er inzwischen suspendiert ist. Dort droht ihm ebenso ein Strafverfahren. Anwälte der Universität erstatteten inzwischen eine 54-Seitige Anzeige bei der spanischen Polizei wegen sexueller Angriffe auf dortige Mitstudentinnen.

Die Diskussion in Ägypten ist eröffnet

Lobna Darwish, Frauenrechtlerin

Der Fall hat aber auch über die ägyptische Oberschicht hinaus für einen Durchbruch gesorgt. „Ich sehe, wie da gerade viel passiert. Inspiriert von dem Fall Ahmad Zaki, gehen Frauen auch in anderen Fällen an die Öffentlichkeit, etwa gegen ihre Professoren an den Universitäten oder Schülerinnen, die nun über sexuelle rhBelästigungen der Lehrer berichten“, sagt Darwish. Vor wenigen Tagen wurde ein Priester der konservativen koptisch-orthodoxen Kirche in Ägypten wegen sexuellen Missbrauchs seines Amtes enthoben.

Auch die islamischen Institutionen des Landes haben sich zu Wort gemeldet: Die islamische Al-Azhar-Universität, eine der wichtigsten Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam, und der Mufti des Landes haben sich hinter die Opfer gestellt. Sie haben Betroffene ermutigt, Anzeige zu erstatten, und erklärt, dass es egal sei, wie Frauen angezogen sind, die Opfer sexueller Gewalt werden; und dass die Opfer sexueller Gewalt niemals eine Mitverantwortung trügen.

Gerade die Opfer sexueller Gewalt zu Mittätern zu erklären, ist in Ägypten weit verbreitet. Viele Frauen behalten das Geschehene für sich, aus Angst um ihren Ruf und den ihrer Familien. Dabei ist sexuelle Belästigung auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Erfahrung, die jede ägyptische Frau macht. Bei einer Umfrage von UN-Women im Jahr 2013 hatten 99,3 Prozent aller befragten Frauen angegeben, solche Erfahrungen bereits gemacht zu haben. Acht von zehn befragten Frauen fühlten sich deswegen auf der Straße unsicher.

Repression gegen Frauen auf TikTok

„Die Gewalt und Belästigungen hören nicht auf, aber in den letzten Jahren hat sich hier doch viel getan“, sagt Frauenrechtlerin Darwish. „Als wir vor 15 Jahren das erste Mal den Begriff sexueller Belästigung benutzt haben, wurde das auf der Straße weder verstanden noch akzeptiert. Es wurde als Flirten abgetan. Heute weiß jeder, was sexuelle Belästigung ist.“

Eine Herausforderung sei laut Darwish nun, die durch den Fall Zaki losgetretene Debatte für die gesamte Gesellschaft zu nutzen. Denn bei den unterschiedlichen sozialen Klassen wird oft mit zweierlei Standards gemessen. In den Armenvierteln Kairos versuchen junge Frauen auf sozialen Medien wie TikTok oder Instagram mit Gesang, Tanz und Videos, manchmal auch in vulgärer Sprache, bekannt zu werden. Seit April wurden neun dieser Mädchen unter dem Vorwurf festgenommen, sie attackierten ägyptische Familienwerte.

Im Mai sorgte eine 17-Jährige für Furore. Auf TikTok erzählte sie, dass sie von einem Freund, der oft in ihren Videos auftauchte, vergewaltigt worden sei und einige ihrer Freundinnen ihm dabei geholfen hätten. Sie wurde zusammen mit dem mutmaßlichen Täter und den mutmaßlichen Helferinnen festgenommen, dem mutmaßlichen Opfer wurde „sittenloses Verhalten“ vorgeworfen. „All diese Mädchen haben einen niedrigen sozialen Status.

Der Staat sendet hier die Botschaft, dass Mädchen das Recht haben, ihre Körper zu benutzen, um zu singen und zu tanzen, aber nur wenn sie aus der Oberschicht kommen“, beklagt Darwish. Sie fragt: „Können wir Frauen vor sexueller Gewalt schützen, ohne ihnen in der gesamten Gesellschaft die Freiheit zu geben, ihre eignen Körper zu kontrollieren?“

Nur der Beginn einer Diskussion

Darwish hofft, dass der Fall Ahmad Zaki das Eis für alle Frauen bricht, egal aus welcher sozialen Schicht: „Was wir gerade in Ägypten erleben, ist genau das, was mit der #MeToo-Bewegung global geschehen ist. Eine Frau beginnt zu sprechen und inspiriert andere, das Gleiche zu tun. Und wenn diese Frauen dann Unterstützung bekommen, beginnen noch mehr Frauen, über eine Realität zu sprechen, über die sie seit Jahren geschwiegen haben“.

Und was bedeutet das alles für Lobna Darwish persönlich, die seit 15 Jahren zum Thema Frauenrechte in Ägypten arbeitet? „Ich sehe zwei Seiten“, antwortet sie: einerseits das tägliche Ausmaß sexueller Gewalt in ihrer Gesellschaft und jeden Tag neue schreckliche Zeugenaussagen im Fall Ahmad Zaki. Andererseits sei es inspirierend zu sehen, „wie junge Frauen jetzt offen über alles sprechen und die Gesellschaft zwingen, sich zu ändern“. Der Weg sei ein langer. „Aber die Diskussion in Ägypten, sie ist eröffnet“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Kleidung und Schweigen helfen nicht.



    Patriarchat ist die Diktatur der Unsittlichkeit.



    Die Debatte ist überfällig.