Matthias Machnig über TTIP: „Die EU hat klare rote Linien“
Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium verspricht: TTIP bringe keine Absenkung von Standards im Umwelt-, Sozial- oder Gesundheitsbereich.
In seinem Vorzimmer hängt ein Fanschal von Borussia Dortmund, Matthias Machnig ist ein Herzkammer-Typ für die SPD – und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Der Sauerländer gilt als ewiger Spindoktor der Partei – und als eine Art sozialdemokratische Geheimwaffe. Schließlich hat er 1998 für Gerhard Schröder den Wahlkampf geleitet. Jetzt muss Machnig sich mit einem für die Bundesregierung lästigen Thema rumschlagen: TTIP. Das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA hat es gerade besonders schwer.
taz.am wochenende: Herr Machnig, ist TTIP noch zu retten?Matthias Machnig: Die EU ist mitten in einem schwierigen Verhandlungsprozess. Was jetzt durch TTIP-Leaks auf dem Tisch liegt, sind Forderungen, insbesondere von US-Seite. Forderungen sind noch lange keine Ergebnisse.
Was haben Sie gedacht, als Sie in der Zeitung lasen, dass der drei Jahre lang streng geheim gehaltene TTIP-Verhandlungsstand durch das Leak öffentlich wurde?
Was vorliegt, ist eben kein Verhandlungsstand. Dass bei Verhandlungen auch Taktik eine Rolle spielt – Dinge gefordert werden, obwohl sie nicht durchsetzbar sind –, gehört dazu. Nach dem, was jetzt veröffentlicht wurde, kann man sich überhaupt noch kein Bild davon machen, wie das Abkommen einmal aussehen könnte.
56, ist Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Davor war er SPD-Bundesgeschäftsführer, Wirtschaftsminister in Thüringen sowie Wirtschaftsexperte im „Kompetenzteam“ von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
Von Horst Seehofer bis François Hollande wird die Kritik immer lauter. All die Versprechungen der Kommission, über Chlorhühnchen oder Genfleisch werde nicht verhandelt, klingen fragwürdig, wenn man liest, dass Autoexporte der Europäer gegen mehr Agrarexporte der Amerikaner ausgespielt werden sollen – ist das nicht ein absolutes PR-Desaster?
Einen solchen Kuhhandel wird es nicht geben. Für die Verhandlungslinien ist die EU-Kommission verantwortlich. Dafür gelten rote Linien: Es wird keine Absenkung von Standards durch TTIP geben, weder im Umwelt-, noch im Sozial- noch im Gesundheitsbereich oder von Arbeitnehmerrechten oder sonst wo …
… selbst Ärzteverbandschef Montgomery warnt vor einem „ McDonald ’ s-Gesundheitssystem“ …
… wird es nicht geben! Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Standards für das deutsche Gesundheitssystem werden nicht in Frage gestellt. Das europäische Vorsorgeprinzip bleibt erhalten. Wir wollen die öffentliche Daseinsvorsorge schützen, es wird keinen Zwang zur Privatisierung öffentlicher Einrichtungen geben. Wenn diese Leitplanken nicht beachtet werden, wird TTIP keine Mehrheit in den Parlamenten finden. Was nicht passt, wird nicht passend gemacht.
Die Hector-Peterson-Schule in Berlin-Kreuzberg hatte einen fatalen Ruf. Sie wollte sich neu erfinden. Wir haben sie ein Jahr lang beobachtet. Ob es funktioniert hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Mai. Außerdem: Die SPD steckt in der Abwärtsspirale. Drei Besuche bei Menschen, die erklären, warum sie die Partei der Zukunft ist. Und: Das sächsische Freital wurde bekannt für Angriffe auf Flüchtlinge. Jetzt ist dort die syrische Band Khebez Dawle aufgetreten – gegen Rechts. Eine Reportage. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Sie sind ja gelernter Wahlkampfmanager …
… ich bin Staatssekretär …
… auf jeden Fall kampagnenerfahren. Kann man noch etwas tun, um die öffentliche Meinung zurückzuholen?
Die Debatte ist schwierig. Am Anfang hat es die Angst vor den US-Chlorhühnchen gegeben, obwohl es immer klar war und ist: Unter geltendem EU-Recht wird man die nie importieren können. Aber dann sind immer wieder neue „Chlorhühnchen“ auf die Tagesordnung gekommen.
Sind das denn nur unberechtigte Ängste?
Beim Investitionsschutz, bei den Standards, bei der regulatorischen Kooperation, bei vielen anderen Themen ist immer klar definiert worden, was geht und was nicht. Das ist in den Mandaten für die EU-Kommission niedergelegt. Trotzdem wird eine Art Hase-und-Igel-Spiel veranstaltet: Es wird viel behauptet, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass es klare rote Linien für die EU gibt.
Warum?
Weil unterstellt wird, das sind Geheimverhandlungen.
Sie sind ja auch geheim.
Geheimverhandlungen wären Verhandlungen, von denen niemand etwas weiß. Das ist nicht der Fall. Aber solche Verhandlungen finden eben nicht vor laufenden Kameras statt. Es gibt viele Befürchtungen und Sorgen und Meinungen. Es gibt einen Generalverdacht, dass die USA ihre Forderungen einseitig durchsetzen werden. Das wird nicht passieren. Es ist schwierig, das auszuräumen. Fragen zu TTIP sind ausführlich beantwortet worden – und es ist trotzdem nicht erreicht worden, Akzeptanz zu schaffen. Es geht um Vertrauen, dass die Kommission solide verhandelt. Und darum, dass die demokratische Legitimation für das Abkommen zwingend ist.
Die Transparenzfrage ist Ursprung des Misstrauens. Weil die Verhandlungen im stillen Kämmerlein stattfinden, glaubt die Öffentlichkeit an Mauschelei.
Das ist die Unterstellung. Dass Verhandlungen zwischen Regierungen aber nicht öffentlich stattfinden, ist nichts Ungewöhnliches. Stellen Sie sich mal vor, wir würden an Koalitionsverhandlungen dieselben Transparenzansprüche stellen wie an TTIP – dann würden diese nicht nur schwierig, sondern nahezu unmöglich. In Baden-Württemberg bildet sich gerade Grün-Schwarz. Wenn man ganz am Anfang die vorbereiteten Papiere der CDU-Seite und die der Grünen-Seite nebeneinandergelegt hätte, wäre man zu der Einschätzung gekommen: Diese Koalition wird nie zustande kommen. Ich stelle fest: Das Gegenteil ist der Fall.
Die Vertrauenskrise ist nachvollziehbar. Private Schiedsgerichte, vor denen Investoren von Staaten Entschädigungen verlangen können, halten Kritiker für eine Aushebelung nationaler Rechte. Sigmar Gabriel betont, ihm sei es zu verdanken, dass es diese nicht geben werde. Aus den Leaks wird klar, dass darüber nicht mal gesprochen wurde. Das erscheint zumindest unlauter.
Was ist daran unlauter? Vor einem Jahr hat niemand in der EU außer dem Bundeswirtschaftsministerium das Thema Investitionsschutz kritisch gesehen. Mittlerweile haben wir erreicht, dass unser Modell eines bilateralen Handelsgerichtshofs im Mandat der EU verankert ist. Nicht nur für TTIP, sondern für alle künftigen Handelsabkommen. Es ist mittlerweile Teil von Ceta …
… dem EU-Abkommen mit Kanada.
Das hat sich durchgesetzt, weil die Kritik an TTIP in diesem Punkt berechtigt war und ist. Es sind nun rechtsstaatliche, finanziell kalkulierbare, transparente Verfahren zwingend, die von unabhängigen Richtern geführt werden – und nicht von Anwaltskanzleien. Wenn nicht, wird die EU nicht zustimmen können.
TTIP zerreißt die SPD: Fraktionschef Oppermann sagt: „so nicht“, der Parteilinke Miersch will die Verhandlungen abbrechen, der SPD-Handelsbeauftragte des EU-Parlaments, Lange, glaubt nicht an einen Abschluss der Verhandlungen in diesem Jahr.
Das ist eine ganz andere Frage: Bei dem Stand, der heute erreicht ist, ist es völlig offen, ob es überhaupt zu einem Abkommen kommen kann. Bislang sind 17 von 25 Kapiteln erörtert worden, dazu liegen konsolidierte Texte vor. Dies sind noch keine verhandelten Texte, sondern es heißt nur, dass Angebote beider Seiten vorliegen. Also müssen noch für acht Kapitel Angebote ausgetauscht werden. Erst dann kann man bewerten, ob es überhaupt eine Chance auf Verständigung gibt.
Unwahrscheinlich bis zur letzten Verhandlungsrunde im Juli.
Nein. Bis Ende des Jahres soll laut EU und USA verhandelt werden.
Ist überhaupt klar, ob der oder die neue US-PräsidentIn das Abkommen will?
Welche Agenda die neue US-Regierung verfolgt, kann heute niemand sagen. Auf jeden Fall dauert es mindestens ein Jahr, bis die neue Administration die Prioritäten ihrer Politik definiert hat.
Warum macht man keinen Schnitt und schließt mit dem ab, was da ist?
Eindeutig nein. Alle 28 EU-Staaten wollen, wenn, ein umfassendes und in zentralen Fragen klares Abkommen. Es wird kein TTIP light geben.
Wieso eigentlich nicht?
Das ergibt keinen Sinn. Es wäre beliebig, wichtige Bereiche einfach offen zu lassen. Ein gutes Abkommen wäre das nicht.
Wieso riskieren Sie für dieses Thema den fortschreitenden Bruch Ihrer ohnehin daniederliegenden Partei?
Die SPD liegt nicht danieder. Die SPD hat bei einem Konvent und bei ihrem Bundesparteitag ein inhaltliches Anforderungsprofil definiert. Das ist die Messlatte für TTIP. Daran wird sich die SPD orientieren. Am Ende entscheiden die Mitgliedsstaaten und Parlamente.
Wie viele Leute müssen noch demonstrieren, damit die TTIP-Verhandlungen gestoppt werden?
Handelsabkommen brauchen Akzeptanz. Die gibt es bislang nicht ausreichend. Das nehme ich sehr ernst. Aber bislang gibt es gar keine Ergebnisse. Ich weiß nicht, ob TTIP am Ende Wirklichkeit wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“