piwik no script img

Maßnahmen gegen Messer-GewaltWillkür ohne echten Nutzen

Hanno Fleckenstein
Kommentar von Hanno Fleckenstein

In der von Rechten befeuerten Debatte über mit Messern verübte Straftaten setzt die Politik mal wieder auf Verbote. Das löst das Problem nicht.

Kontrolliert und konfisziert: Ein Bundespolizist zeigt ein in Berlin sichergestelltes Messer Foto: Paul Zinken/dpa

H eranwachsender erleidet mehrere Stichverletzungen in Neukölln. Messerangriff in Geflüchtetenunterkunft in Marzahn, sieben Verletzte. 34-Jähriger nach Attacke mit Messer in Neukölln verstorben. Drei Polizeimeldungen aus den vergangenen sieben Tagen, die den Schluss nahelegen: Andauernd werden in Berlin schwere Straftaten mit einem Messer verübt. Die Nachrichten zeigen aber auch: Beherrscht ein Thema wie „die Messerkriminalität“ die Schlagzeilen, steigt die Aufmerksamkeit für jeden einzelnen Fall.

Doch anders, als viele Berichte zu dem Thema glauben machen, geht in Berlin nicht täglich mindestens ein Täter wahllos mit einem Messer auf Pas­san­t*in­nen los. Die Wirklichkeit ist deutlich komplizierter – und die Lage trotzdem ernst. Höchste Zeit also, die Debatte zu versachlichen, die vor allem von der rassistischen AfD und ihren rechten Sprachrohren angeheizt wird.

In Berlin wurden im vergangenen Jahr 3.482 Straftaten mit Messern erfasst. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Anstieg von 165 Fällen, also 5 Prozent. Aber mit Zahlen kann man viel falsch machen, wie ein Blick in die Presse zeigt. Die Berliner Zeitung etwa erlaubte sich einen kleinen Zahlendreher, und, schwuppdiwupp, war die Rede von 3.842 Messerangriffen und einem sagenhaften Anstieg von mehr als 500 Fällen binnen eines Jahres. Auch Bild, B.Z., Berliner Kurier, Junge Freiheit und T-Online waren sich zu schade, selbst zu recherchieren, und übernahmen diese Zahl.

Die knapp 3.500 Fälle sollen hier nicht schöngeredet werden. Jede von Gewalt betroffene Person ist eine zu viel. Traumata und körperliche Schäden bleiben oft lange. Doch Differenzierung bedeutet nicht Relativierung.

9 von 10 Tatverdächtigen sind Männer

Im Schnitt kommt es also in Berlin jeden Tag zu rund 10 Straftaten mit einem Messer. Ein Blick in die Tiefen der Polizeistatistik verrät: Die meisten – und zwar knapp die Hälfte – sind Bedrohungen. Immerhin ein Viertel entfällt auf den Bereich gefährliche und schwere Körperverletzung. Und bei weniger als einem Prozent – 24 Fälle – handelt es sich um „Mord und Totschlag“. Dabei wurden 12 Menschen getötet. 200 der insgesamt 4.000 Betroffenen einer Messer-Straftat trugen schwere Verletzungen davon. Und zwei Drittel wurden nicht verletzt.

Es ist also kaum zu belegen, dass die öffentliche Sicherheit aufgrund einer Welle an Messerangriffen gefährdet ist. Und das lenkt den Blick auf die sozialen Hintergründe von Gewalt und Kriminalität. Auswertungen zeigen immer wieder: Oft kennen sich Täter und Opfer. Und eine Straftat mit einem Messer begehen in Berlin in fast 9 von 10 Fällen Männer.

Doch die von rechten politischen Kräften befeuerte Diskussion lenkt den Blick immer wieder auf die vermeintliche kulturelle Dimension bei Messerangriffen. Tatsächlich sind Täter mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft in der Statistik überrepräsentiert. Doch daraus lässt sich nicht ablesen, ob es Geflüchtete, Ar­beits­mi­gran­t*in­nen oder Tou­ris­t*in­nen sind, die die Taten verüben.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Und so kann die große Aufmerksamkeit für das Thema Messer zugleich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Denn eine höhere Sensibilisierung führt oft zu einer größeren Anzeigebereitschaft – was sich dann darin äußert, dass mehr Bedrohungen mit einem Messer angezeigt werden und mehr Fälle in die Statistik eingehen. Die Statistiken und die Medienberichte steigern wiederum das subjektive Bedrohungsgefühl und damit womöglich den Drang, sich zu bewaffnen – was schließlich zu einem häufigeren Einsatz von Messern bei Konflikten führen könnte.

Po­li­ti­ke­r*in­nen auf Bundes- wie auf Landesebene versuchen dem Messer-Problem mit einem altbekannten Rezept beizukommen: verbieten, verbieten, verbieten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte eine bundesweite Regelverschärfung für Messer im öffentlichen Raum in Aussicht. Bald sollen nur noch Messer mit einer Klingenlänge von bis zu 6 statt bislang 12 Zentimetern erlaubt sein. Sogenannte Springmesser, bei denen die Klinge auf Knopfdruck aus dem Griff schnellt, sollen komplett verboten werden.

Willkürliche Kontrollen

Doch können strengere Regeln für Alltagsgegenstände das soziale Problem Gewalt lösen? Natürlich nicht. Denn Verbote wirken nur, wenn sie auch kontrolliert werden. Berlins schwarz-roter Senat will das durch „Waffenverbotszonen“ möglich machen. Doch der Begriff führt in die Irre: Viele gefährliche Waffen, darunter auch einige Messertypen, sind ja sowieso verboten, und das überall. Ein ehrlicherer Name für diese Gebiete wäre wohl „willkürliche Kontrollzonen“, denn in diesen als unsicher deklarierten Bereichen darf die Polizei anlasslose Personenkontrollen durchführen.

In Berlin gibt es dafür schon sieben sogenannte kriminalitätsbelastete Orte. Ob die jetzt, weil es schöner klingt, einfach in „Waffenverbotszonen“ umbenannt werden oder in den etwaigen Zonen noch einmal verschärfte Regeln für gefährliche Gegenstände gelten sollen – das ist völlig unklar.

Klar ist dagegen, dass mit mehr Befugnissen für die Polizei einer anhaltenden Rechtsunsicherheit sowie Racial Profiling Tür und Tor geöffnet werden. Verstärkte Waffenkontrollen bringen auch eine Menge „Beifang“ mit sich, das zeigen die Auswertungen von Einsätzen der Bundespolizei an Berliner Bahnhöfen. Dabei werden Pas­san­t*in­nen auch wegen Drogenbesitz oder Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz angezeigt – was im schlimmsten Fall zu einer Abschiebung führen kann.

Die Berliner Law-and-Order-Symbolpolitik löst mal wieder kein Problem – aber verschlimmert die Situation für viele Be­woh­ne­r*in­nen dieser Stadt. Es ist höchste Zeit für eine massive Ausweitung der Gewaltpräventionsangebote an Schulen und der psychosozialen Versorgung von Menschen in akuten Krisen und Suchterkrankungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hanno Fleckenstein
Redakteur taz.berlin
Redakteur für Innenpolitik im Berlinteil. Seit 2021 bei der taz, zuerst als freier Mitarbeiter und Text-Chef in den Ressorts Inland, Wirtschaft+Umwelt, Meinung und taz.eins. Hat Politikwissenschaft und Publizistik in Berlin und Maskat (Oman) studiert.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • "Im Schnitt kommt es also in Berlin jeden Tag zu rund 10 Straftaten mit einem Messer. Ein Blick in die Tiefen der Polizeistatistik verrät: Die meisten – und zwar knapp die Hälfte – sind Bedrohungen. Immerhin ein Viertel entfällt auf den Bereich gefährliche und schwere Körperverletzung. Und bei weniger als einem Prozent – 24 Fälle – handelt es sich um „Mord und Totschlag“. Dabei wurden 12 Menschen getötet. 200 der insgesamt 4.000 Betroffenen einer Messer-Straftat trugen schwere Verletzungen davon. Und zwei Drittel wurden nicht verletzt.

    Es ist also kaum zu belegen, dass die öffentliche Sicherheit aufgrund einer Welle an Messerangriffen gefährdet ist."

    Das ist jetzt ein Witz, oder?

    Ab wie vielen Toten, Schwerverletzten und Verletzten ist denn die öffentliche Sicherheit gefährdet.

    Und sollten die Medien besser nicht über diese Taten berichten? Kann ja wohl nicht sein.

    Bei mir macht das was. Mische ich mich jetzt ein, oder kriege ich dann ein Messer in den Bauch?

    Und: Gott sei Dank nicht in England (Fehlfarben), kann aber noch kommen.

    www.euronews.com/2...tabbing-each-other

  • Es ist erneut so, dass Nancy Faser über's Ziel hinausschießt: Klingen unter 6 cm: da fallen sämtliche Schweizer Taschenmesser drunter (Klingenlänge 7 cm, die größeren Ausführungen 8,5 cm) Heißt, dass ich es in Zukunft vergessen kann, mit den Kindern am Bach Schiffchen zu schnitzen, heißt, dass auch Millionen anderer Menschen auf harmlose Dinge verzichten müssen: auf das Öffnen von Flaschen, auf das Entfernen von Zecken etc. In ihrem Aktionismus hat Faser für so was völlig den Blick verloren und macht sich so sicher keine Freunde! Ich bin sehr für Waffenverbote, aber hier geht's nicht um Waffen, sondern um in 99,9.. % harmlos genutzte Gegenstände, die auch dem Messer-Attentäter in Karlsruhe nicht getaugt hätten - deswegen hat er ein wirklich zu Recht verbotenes Messer genutzt!

  • Natürlich bin ich GEGEN das Verbot von Küchen- oder Taschenmesser, die als Werkzeug konzipiert wurden.



    Doch ich habe grundsätzlich NICHTS gegen ein Verbot von Stichwaffen. Damit scheine ich auch eine der wenigen zu sein.

    Klar, Jugendliche werden auch mit Verbot weiterhin Butterflymesser mit in die Schule nehmen. Oder auf Partys.

    Die Produktion dieser Art von Messer muss verboten werden. Sodass es auf dem Markt auch keine zu kaufen gibt, auch nicht unter der Tarnung dass diese schön aussehen. Selbstverständlich gehört es auch soziale Probleme in den Griff zu kriegen, die im Kapitalismus zugegen sind, damit zumeist marginalisierte Jugendliche auch keinen Reiz bekommen, mit Gewalt ihr Ding durchzuziehen.

    Denn seien wir doch mal ehrlich, zu welchem Zweck wurde denn ein Butterfly-Messer gebaut? Oder ähnliche Messer, die nur mit einer Hand aufklappbar sind? Zum Tomatenschneiden? Zum Teppichschneiden? Nein, zum Menschen verletzen!

  • Hallo allerseits,

    das muß man erst einmal hinbekommen: „ … anders, als viele Berichte zu dem Thema glauben machen, geht in Berlin nicht täglich mindestens ein Täter wahllos mit einem Messer auf Pas­san­t*in­nen los. … Im Schnitt kommt es ... in Berlin jeden Tag zu rund 10 Straftaten mit einem Messer. Es ist also kaum zu belegen, dass die öffentliche Sicherheit aufgrund einer Welle an Messerangriffen gefährdet ist.“

    Ich kann mich also beruhigen. Da ich keine Frau bin, wurde ich noch nie von einem Mann sexistisch beleidigt oder belästigt - die Zahlen zu toxisch-männlichen Übergriffen sind also bitte ebenso zu differenzieren wie die Zahlen zu Unfallopfern im Straßenverkehr, da ich kein Fahrrad habe und noch nie von einem Autofahrer angefahren wurde. Und da mir selbst noch nie wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, irritieren mich Berichte zur Wohnungsnot auch nicht.



    Ich kann eben differenzieren.

    Kopfschüttelnd,



    Thomas Dräger, D-67098

  • Verbote bringen sicher nichts.

    Warum laufen diese jungen Männer mit Messern in der Tasche durch die Gegend?

    Die dann deutschlandweit etwa 9000 mal pro Jahr auch zu Angriffen führen.

    Jede Stunde ein Messerangriff.

    Wer sich nicht mit der Ursache dieser Messerattacken beschäftigt, wird auch keine Lösung finden.

    Also können wir alle mit jährlichen Steigerungen dieser Zahlen rechnen.

    Was eine Menge Gewalt, Blut und Leid bedeutet.

  • "Dabei werden Pas­san­t*in­nen auch wegen Drogenbesitz oder Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz angezeigt – was im schlimmsten Fall zu einer Abschiebung führen kann."



    So sollte es auch sein!

  • Fakten sind immer richtig und wichtig. Anstattsich über den Hintergrund des Aufenthaltes (Geflüchtete, Ar­beits­mi­gran­t*in­nen oder Tou­ris­t*in­nen) Gedanken zu machen und hierdurch abzulenken, wäre es doch eher zielführend, die Staatsbürgerschaften weiter aufzuschlüsseln.

  • und warum fordert der Autor eine massive Ausweitung psychosozialer Betreuung und "Gewaltpräventionsangeboten" an Schulen, wenn die Zahlen dann doch nicht so massiv sind ... und bei denen es sich ja im Wesentlichen nur um Bedrohungen handelt.

    • @Jutta57:

      Weil der Autor die Zahlen nicht schönredet, sondern sich rationale Gedanken dazu macht, statt in irrationalen Aktionismus zu verfallen.

  • Der Autor des Artikels stößt sich an diversen



    Begrifflichkeiten.



    Schon in der Überschrift wird hingegen der Begriff



    "Willkür" falsch angewandt.



    Es ist eben genau das Gegenteil von "staatlicher Willkür", wenn Gesetze und Verordnungen im Sinne des Gemeinwohls erlassen und umgesetzt werden.



    Dass ein derartiges Gesetz mit racial profiling zu tun haben soll ist eigentlich Ausdruck von ungewolltem racial profiling durch den Autor.



    Ich habe genauso viel Angst vor kleinen Nazis mit Springmessern.



    Ein Gesetz ist außerdem das Gegenteil von Symbolpolitik, es schafft Regeln, die die Gefahr eindämmen und Handhabe für die Strafvervolgung .



    Die Tatsache, dass Menschen, in anderen Fällen mit unerlaubten Waffen Taten verübt haben, ist keins. Natürlich ist Gesetzesbruch möglich, hier geht es aber um Prävention, nämlich die Tat, durch Abnahme der Bewaffnung, im Vorfeld zu verhindern.



    Dass die derzeitige Polizeipolitik zielführend ist, zeigt sich, im Übrigen, auch an der sicherheitsbezogen sehr ruhigen Europameisterschaft .

  • Ebenso unseriös wie die Haushaltspolitik der Regierung.



    Populismus pur, heiße Luft und Wählertäuschung.

    Und mit dem Thema "Law & Order" fischt man auch ganz gerne mal am rechten Rand.

    Ich glaube die Berater-Riege des BMI muss dingend mal ersetzt werden.



    Denn soviel Fehlentscheidungen kann doch ein Mensch garnicht allein garnicht verzapfen.

  • "Doch können strengere Regeln für Alltagsgegenstände das soziale Problem Gewalt lösen? Natürlich nicht. Viele gefährliche Waffen, darunter auch einige Messertypen, sind ja sowieso verboten, und das überall. "



    Das kann man nicht oft genug schreiben und sagen.

    Unser Problem ist die Politik, die Wirklichkeit leugnet und in ideologischen Phantasien und heillosem Aktionismus Zuflucht findet. Gut ist auch Law and Order Selbstdarstellung am besten mit Sheriffstern oder Schlagstock.

    Realistisch und vernünftig, und deshalb nicht möglich, ist mehr Prävention, mehr Präsenz vor Ort, aber mehr Stellen in der Justiz.



    Die Verpflichtung Verantwortung für das eigene Tun und Unterlassen, wie im Falle Vardar - siehe taz - zu übernehmen, daraus zu lernen. Und es nicht bei Aktionismus und leerem Geschwätz, wie sonst zu belassen.

  • Ich überlege gerade, wie ich mein sauteures und sehr scharfes asiatisches Küchenmesserset vom Fachgeschäft bis nach Hause bekomme. Ich werde den Laden erst mal ein paar Tage observieren, um herumlungernde Zivilpolizisten erkennen zu können. Ich möchte wirklich nicht Teil einer von Faesers Erfolgsmeldungen sein.

    • @Mr.Brian:

      Sie müssen wohl das angesehene Fachgeschäft in der Innenstadt meiden und statt dessen einen Zwielichtigen Laden im Außenbezirk wählen, damit Sie das Messer nicht durch eine Waffenverbotszone tragen müssen.



      Je nach Ihrem Wohnort geht ja nicht mal online bestellen, sonst macht sich der Paketbote strafbar.