Martina Voss-Tecklenburg: Immer weiter performen
Ex-Bundestrainerin Voss-Tecklenburg hat erstmals über ihre psychische Erkrankung gesprochen. Ihr Fall zeigt die Gnadenlosigkeit des Leistungssports.
G ut gemeint hat es der Deutsche Fußball-Bund, als er vergangenen Sommer an Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg festhielt, auch als bekannt wurde, dass sie nach der verpatzten WM unter psychischer Erschöpfung leidet. Interimstrainer Horst Hrubesch sollte ihr den Rücken freihalten. Selbstverständlich ist das im Leistungssport keineswegs. Gut gegangen ist es trotzdem nicht. Von einem Kommunikationsdesaster war letztlich die Rede. Die Konsequenz daraus war Anfang November die Einigung zwischen DFB und Voss-Tecklenburg, den Vertrag aufzulösen.
Die Geschichte ist allerdings komplizierter. Denn eine Perspektive war bislang nicht bekannt, die der Betroffenen selbst. Die ehemalige Bundestrainerin äußerte sich am Wochenende erstmals in einem Interview mit der ZDF-Journalistin Katrin Müller-Hohenstein. Was ist nur schief gelaufen? Lange hörte man nur aus dem Munde von Hermann Tecklenburg, wie es um seine Frau bestellt ist. Gut gemeint war auch das, aber nicht gut. Das räumte Martina Voss-Tecklenburg nun freimütig ein. Ihr öffentliches Ansehen hat darunter gelitten. Es hat sie noch mehr geschwächt.
Jetzt spricht sie wieder selbst. Es benötigt eben enorm viel Kraft, um öffentlich über eigene psychische Problem reden zu können. Voss-Tecklenburg erobert sich die Erklärungshoheit über ihre eigene Geschichte zurück. Von Panikattacken und Schlaflosigkeit sei sie geplagt gewesen. Immer wieder hätte sie weinen müssen. Komplett zusammengebrochen sei sie nach der WM, berichtete die 55-Jährige. Und sie sei eben nicht in der Lage gewesen, darüber zu sprechen. Sie machte den immensen Druck spürbar, unter dem sie schon seit Jahren zu leiden hat. Häufig habe sie nicht viel mehr als drei, vier Stunden geschlafen. Es sind auch die äußeren Umstände des Leistungssports, die krank machen.
Dass sie nach ihrer Gesundschreibung im Erholungsurlaub vor bayerischen Zahnärzten eine Vortrag mit dem Titel „Formen, um zu performen. Mein Change Management im Frauenfußball“ hielt, war keine gute Idee. Dumm sei das gewesen, gestand Voss-Tecklenburg. Dies veranschaulicht aber gut, welch absurde Geschichten das Hamsterrad der Leistungsgesellschaft hervorbringt. Eine, die herausgeschleudert und nun wieder hineingeklettert ist, will anderen erzählen, wie man in diesem bella figura macht.
Nationalspielerinnen erbost
Die Nationalspielerinnen waren darüber erbost, weil sie sich von ihrer Ex-Trainerin im Stich gelassen fühlten. Die noch immer anstehende Aufarbeitung der misslungenen WM-Auftritte stand schließlich noch aus. Ihre Erwartung an die Trainerin: performen, bevor man Performance-Vorträge hält. Es ist die Gnadenlosigkeit des Leistungssports. Jeder verlangt vom anderen, was einem selbst abverlangt wird. Was auch Martina Voss-Tecklenburg nachvollziehbar findet.
Aus ihrer Sicht hätte eine bessere Kommunikation des DFB geholfen. Vor ihren Vorträgen wollte sie mit dem Verband eine Erklärung abgeben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zustande gekommen sei. Näheres dazu sollte der DFB erklären. Aber vielleicht sind das lediglich Detailfragen. Die Probleme sind grundsätzlicher Art und es spricht wenig dafür, dass sie bald besser gelöst werden.
Leistungssport tut sich schwer
Geredet wurde spätestens nach dem Suizid von Torhüter Robert Enke viel darüber, wie der Leistungssport ein menschlicheres Antlitz erhalten könnte. Und es ist noch nicht so lange her, dass Manager Max Eberl offen über seine Tränen und psychischen Probleme gesprochen hat. Seitdem er zum vielfach verachteten Konzernverein RB Leipzig wechselte und nach seiner Entlassung dort mittlerweile als Kandidat beim FC Bayern gehandelt wird, zählt er bei nicht wenigen Fußballfans zu den meistgehassten Funktionären in der Männer-Bundesliga. Die sozialen Netzwerke haben das reichlich dokumentiert.
Die Geschichte von Martina Voss-Tecklenburg erzählt so einiges darüber, wie schwer sich der Leistungssport selbst bei bestem Willen im Umgang mit Menschen tut, die nicht mehr „funktionieren“. Und wie schwer es für Menschen ist, die unbedingt wieder „funktionieren“ wollen, unbeschadet wieder zurückzukommen.
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