piwik no script img

Mann tötet Familie in Brandenburg„Übersteigerte Befürchtungen“

Nachdem seine Frau mit falschem Impfpass auffliegt, tötet ein Mann in Brandenburg seine Familie. Er stand offenbar der Querdenken-Szene nahe.

Blumen und Kerzen erinnern an die getötete Familie vor deren Wohnhaus in Senzig Foto: Patrick Pleul/dpa

BERLIN taz | Michaela Wiezorek, Bürgermeisterin von Königs Wusterhausen, ist geschockt. „Diese Tragödie lässt mich fassungslos zurück“, erklärt sie. Ihr Mitgefühl gehöre den Angehörigen und Freunden der getöteten Familie aus dem Stadteil Senzig. Für diese sei es „ein furchtbarer Verlust“.

Tatsächlich wühlt der Fall in Senzig viele Menschen auf – und er hat offenbar eine politische Komponente. Laut Ermittlern hatte in der Nacht zu Freitag ein 40-Jähriger seine drei Kinder im Alter von vier, acht und zehn Jahren und seine Frau erschossen, danach tötete er sich selbst. In einem Abschiedsbrief soll er die Tat mit einem gefälschten Impfausweis begründet haben, den er für seine Frau besorgte und der an ihrer Arbeitsstelle, der Verwaltung einer Hochschule, aufgeflogen sei. Er habe eine Verhaftung und die Wegnahme seiner Kinder befürchtet.

Das Wissenschaftsministerium Brandenburg bestätigte am Mittwoch, dass die Hochschule die Mutter wegen des gefälschten Ausweises angeschrieben hatte. Dazu sei sie auch verpflichtet und habe „alles richtig gemacht“.

Gernot Bartleon von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Cottbus sprach von „völlig übersteigerten Befürchtungen“ des Vaters, die auch Fragen nach einer psychischen Erkrankung aufwerfen. So wurde zuletzt zwar der Strafrahmen für gefälschte Impfpässe erhöht. Nun drohen dafür eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe, für einen „gewerbsmäßigen“ Handel bis zu fünf Jahre. Dem nicht Vorbestraften hätte aber wohl nur eine Geldstrafe bevorgestanden.

Offenbar in der „Querdenker“-Szene aktiv

Offenbar bewegte sich dieser zuletzt im „Querdenker“-Milieu. Ein Mann seines Namens war am 25. November der Gruppe „Freiheitsboten Königs Wusterhausen“ beigetreten. Dort hieß es nach den Todesfällen, er sei auch Mitglied der „Querdenker“-Partei Die Basis gewesen. Einige Nutzer dort schrieben die Verantwortung für die Todesfälle der Corona-Politik zu. Andere bezweifelten den Inhalt des Abschiedsbrief oder warnten vor einer Instrumentalisierung der Tat. Laut des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) war der 40-Jährige seit Juli 2021 auch in anderen Chatgruppen der Szene aktiv, etwa in der des prominenten Corona-Verharmlosers und Arztes Bodo Schiffmann. Ungeklärt ist noch die Herkunft der Schusswaffe, hier ermittelt die Staatsanwaltschaft.

In der Coronaprotestszene und auf deren Social-Media-Kanälen hatten sich zuletzt Endkampf- und Widerstandsaufrufe gehäuft. So erfolgten Gewalt- und Mordandrohungen gegen Po­li­ti­ke­r:in­nen wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). In Sachsen zogen einige „Querdenker“ bis vor das Haus von Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). In Mecklenburg-Vorpommern versuchten Demonstrierende am Montagabend, das Haus von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) aufzusuchen, wurden aber von der Polizei kurz davor gestoppt. Auch vor der Kölner Wohnung des neuen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) waren am Freitag vier Impfgegner aufgetaucht.

Internes Lagebild des Innenministeriums warnt

In einem aktuellen internen Lagebild des Bundesinnenministeriums, das der taz vorliegt, ist die Rede von einer „in Teilen aggressiven und gewaltbereiten“ öffentlichen Auseinandersetzung über die Corona-Schutzmaßnahmen. Gerade teilnehmerstarke Versammlungen hätten ein „deutlich erhöhtes Eskalationspotenzial“. Bei Einzelpersonen oder Kleinstgruppen sei davon auszugehen, „dass die Radikalisierungstendenz voranschreitet“. Auch müsse weiter mit Straftaten gegen Objekte aus dem Gesundheitssektor oder auch gegen Personen, die für die Maßnahmen verantwortlich gemacht würden, gerechnet werden.

Auch mehrere Innenminister der Länder hatten zuletzt vor einer weiteren Radikalisierung der Querdenken-Szene gewarnt, die mit einer Impfpflicht noch zunehmen dürfte. Sie forderten als Gegenmittel Schnellverfahren gegen Straftäter oder eine Klarnamenpflicht für soziale Onlinemedien. Auch die jüngste Innenministerkonferenz hatte in einer Erklärung gesetzliche Regelungen für „eine eindeutige Identifizierbarkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Internet“ eingefordert. Auch auf Messengerdiensten müsse „Hass und Hetze konsequent unterbunden und geahndet werden können“. Zudem brauche es zentrale Meldestellen für Hasskriminalität im Internet.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner, auch anonym. Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 www.telefonseelsorge.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • "Gernot Bartleon von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Cottbus sprach von „völlig übersteigerten Befürchtungen“ des Vaters, die auch Fragen nach einer psychischen Erkrankung aufwerfen."

    Leider werden hier wieder Leute behaupten, dass die Corona-Maßnahmen Leute in den Suizid treiben. Dabei hat realistisch betrachtet all das, wovor der Vater Angst hatte nie gedroht. Bei einer so banalen Tat wie dem Fälschen von Impfnachweisen hätte niemals die Wegnahme der Kinder gedroht. Leider wäre das nichtmal dann möglich gewesen, wenn man die mögliche psychische Erkrankung des Vaters erkannt hätte - obwohl man damit den Kindern das Leben gerettet hätte. Leider ist unser Staat im Bereich psychische Erkrankungen nahezu blind und lässt alles zu, solange noch kein Mord- oder Selbstmordversuch stattgefunden hat. Angehörige sind dann oft verzweifelt, wenn man einem psychisch Erkrankten keine Hilfe zukommen lassen kann, weil die Einsichtsfähigkeit wegen der Erkrankung nicht mehr gegeben ist.

    Leider kenne ich sowas aus dem familiären Umfeld: Meine ehemalige Partnerin glaubt in den Rauchmeldern in ihrer Wohnung Mikrofone entdeckt zu haben. Darüber würde sie abgehört und beauftragte des Vermieters hätten versucht die Rauchmelder nach deren Entdeckung vom Balkon zu klauen. Diese würden sich übrigens auch am Dachboden verschanzen. Der Zahnarzt habe versucht sie umzubringen. Und warum? Weil sie die Tochter von Lady Diana sei. Sie fühle sich in Deutschland nicht mehr sicher und lehnt natürlich auch die Impfung ab, weil da die DNA im Gehirn verändert werde. Leider gibt es keine Möglichkeit so jemand zum Psychiater zu zwingen, selbst wenn Kinder in Gefahr sind.

    Vermutlich ist die Schnittmenge zwischen Querdenkern und psychisch Erkrankten - insbesondere mit paranoider Komponente - besonders groß. Denn Leute, die sich Aufgrund einer paranoiden Schizophrenie verfolgt und kontrolliert fühlen, sind besonders empfänglich für die Geschichten vom "Überwachungsstaat" und der "Corona-Diktatur".

    • @propofol:

      "Leider ist unser Staat im Bereich psychische Erkrankungen nahezu blind und lässt alles zu, solange noch kein Mord- oder Selbstmordversuch stattgefunden hat."



      Es ist schon ganz gut und richtig so, dass die Hürden für eine Zwangseinweisung verhältnismäßig hoch liegen, immerhin ist das doch ein sehr schwerwiegender Eingriff und bei psychischen Erkrankungen gibt es ebenso wie bei physischen keinen Zwang sich behandeln zu lassen.



      Gleichzeitig sollte man auch nicht unterschätzen wie weit psychische Erkrankungen verbreitet sind. Allein die Jahresprävalenz unter Erwachsenen liegt bei etwa 25%, die Lebenszeitprävalenz für Depressionen ebenfalls bei 25%. Niederschwellige Zwangsmaßnahmen beträfen also potentiell schnell Millionen von Menschen.



      "selbst wenn Kinder in Gefahr sind."



      Bei einer Kindeswohlgefährdung gibt es sehr wohl Möglichkeiten einer staatlichen Intervention.



      "Vermutlich ist die Schnittmenge zwischen Querdenkern und psychisch Erkrankten [...] besonders groß."



      Also alle mal eben zwangseinweisen weil es ja nur zu ihrem Besten ist? Oder sie nur als 'arme Irre' abstempeln und damit jeden Diskurs effektiv unterbinden weil es zwischen den 'Gesunden' und den 'Geisteskranken' zwangsläufig keine Augenhöhe geben kann? Und unterhalten wir uns dann als nächstes darüber ob nicht etwa alle Wirtschaftsliberalen nicht allesamt egozentrische Narzissten sind die man besser auch kollektiv in Behandlung schicken sollte, ob Konservative nicht doch verhinderte Progressive sind die nur leider an einer Anpssungsstörung leiden oder ob man nicht allen Soziademokraten und Sozialisten ein massives Helfersyndrom diagnostizieren müsste.



      Kollektive psychiatrische Diganosen haben in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren. Nicht nur weil das ganz schlechter Stil und paternalistisch ist, sondern vor Allem auch weil es zwangsläufig kontraproduktiv ist.

    • @propofol:

      Dieser Mensch wurde nicht in den Suizid getrieben durch die Maßnahmen - aber natürlich gab es das. Leute, die psychisch krank waren und die Isolation nicht mehr ertragen haben, Leute, die ihr Lebenswerk (Unternehmen) verloren haben und diesen - natürlich falschen, aber das sagt sich so leicht - Weg gewählt haben.

    • @propofol:

      Leider zieht diese Querdenkerszene eine Menge psychisch labiler Menschen an, so manche scheinen mit der Corona-Situation überhaupt nicht klarzukommen und verlieren jetzt die Kontrolle über ihr Leben … erschreckend, weil man so etwas nie für möglich gehalten hätte, vor allem, wenn es den eigenen Bekanntenkreis oder die unmittelbare Verwandtschaft betrifft. Davon weiß ich leider auch ein Lied zu singen.



      Auf komplettes Unverständnis treffen bei mir jedoch die “geistigen Brandstifter” dieser Szene wie beispielsweise der im Artikel erwähnte Arzt Bodo Schiffmann, die ja im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte reden und handeln … und somit andere Menschen mit Kalkül ins Unglück reißen.



      In diesem geschilderten Fall ging es wohl “nur” um Urkundenfälschung …. allerdings mit der Folge, dass eine ganze Familie ausgelöscht wurde. Ich wünschte, die Schiffsmanns, Wodrags, Bhaktis, Hildmanns, Naidoos und wie sie alle heißen, möge die volle Härte des Gesetzes treffen.

  • So eine Tat einen "erweiterten Suizid" zu nennen, ist zumindest euphemistisch. Das war der Mord an einer Frau und an drei Kindern durch einen Mann. Und erst dann beging er selbst Suizid.

    • @Leser:

      So ist der erweiterte Suizid meines Wissens definiert. Es geht ja auch kaum anders.



      Und häufig gehen erweitertere Suizide in dem Sinne "schief", dass man zwar die betroffenen Angehörigen tötet, dann aber bei der Selbsttötung scheitert - trotzdem ist dann die Rede eben von versuchtem erweitertem Suizid.

    • @Leser:

      Völlig richtig.



      Erst dachte ich das sei ein dpa-Artikel, bei denen sind solche widerlichen Floskeln ja typisch.



      Es ist erstaunlich daß man selbst Journalisten (nicht-gendern hier völlig beabsichtigt) der TAZ auf solche Binsen hinweisen muß.

    • @Leser:

      da haben Sie Recht 3 oder 4 - je nach Einvernehmen der Ehefrau - Leben sind keine "Erweiterung".

      • @Dr. McSchreck:

        Jein... der englische Überbegriff ist "murder-suicide". Hat sich im Deutschen nicht etabliert, obwohl der Germanwings-Absturz (durch suizidalen Piloten) das typische Beispiel gewesen wäre. Dort wurde stattdessen der "erweiterte Selbstmord" zum gängigen Begriff, obwohl das in diesem Fall falsch war.

        Hier liegt aber tatsächlich ein ziemlich klarer Fall von "extended suicide" vor, der als Sonderform des murder-suicide dadurch unterscheidbar ist, dass die Egostörung des Täters noch tiefgreifender ist: der Tod Unbeteiligter wurde hier nicht bloß als "unvermeidbare Notwendigkeit" betrachtet wie von dem Germanwings-Piloten, sondern ihre Leben wurden vom Täter als bloße Anhängsel (extensions) seines eigenen Lebens angesehen, die ihre Existenzberechtigung einzig und allein aus dem Leben des Täters ziehen, und somit "sterben *müssen*" wenn der Täter sich umbringt.