Mall-Sterben in Berlin: Kurz vor Ladenschluss
Berlin ist Hauptstadt der Shoppingcenter. In vielen Häusern stehen Läden leer. Was heißt das für eine Stadt, der es an Platz fehlt?
G oldene Kugeln hängen in dunkelgrünen Plastiktannenbäumen, von der Decke baumeln sechszackige Sterne und lange Lichterketten. Doch selbst Menschen, die vorweihnachtlichen Shoppingtouren etwas abgewinnen können, dürften hier kaum auf ihre Kosten kommen. Nicht nur, dass die Lichterketten an diesem Donnerstagnachmittag ausgeschaltet sind und aus den Lautsprechern keine Musik erklingt: Die Mehrzahl der Geschäfte in den Potsdamer Platz Arkaden ist geschlossen.
Im Obergeschoss stapeln sich abmontierte Küchengeräte auf umgedrehten Tischen und Stühlen, ein an die Wand gelehntes Schild preist noch das asiatische Essen an, das hier bis vor Kurzem verkauft wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man dort, wo früher die US-Modekette Forever 21 über zwei Etagen Teenagermädchen mit günstiger Kleidung versorgte, durch heruntergelassene Rollgitter einen Blick auf die leer geräumten Verkaufsflächen erhaschen, geisterhaft erhellt durch die noch nicht abmontierte Leuchttafel an der stillgelegten Rolltreppe.
„See you soon @Mall of Berlin“, steht im Schaufenster eines weiteren geschlossenen Geschäfts, und über die Misere der Potsdamer Platz Arkaden ist damit schon viel gesagt: Seit 2014 nur 400 Meter vom Potsdamer Platz entfernt die Mall of Berlin eröffnete – erbaut von rumänischen Bauarbeitern, die um ihren Lohn geprellt wurden –, geht es mit den Arkaden bergab.
Der Betreiber des Centers, die ECE Projektmanagement GmbH, will sich auf Anfrage nicht zur Entwicklung der Besucherzahlen äußern. Wer sich unter den Mitarbeitern in den Geschäften umhört, bekommt aber ein eindeutiges Bild: „Das geht hier seit Jahren bergab“, sagt eine Verkäuferin in einem Modegeschäft. Eine Kellnerin in einem der Cafés im Obergeschoss sieht das ähnlich: „Seit es die Mall of Berlin gibt, ist es hier vorbei“, sagt sie. „Das ist doch auch klar, dass das nicht funktionieren kann.“
Empfohlener externer Inhalt
Ein Shoppingcenter kannibalisiert ein anderes – das allein müsste außer den Betreibern der Potsdamer Platz Arkaden kaum jemanden interessieren. Doch dahinter steht eine Entwicklung, die ganz Berlin betrifft: In einer von immer gravierenderem Platzmangel betroffenen Stadt stehen in vielen Einkaufszentren Flächen leer.
Das hat, natürlich, mit dem grundsätzlichen Trend zu tun, dass immer mehr Waren online statt in Geschäften erworben werden. Die Einkaufscenter sind davon stark betroffen, weil das besonders für die Waren gilt, die hier hauptsächlich angeboten werden: Mode, Elektronikartikel, Schuhe, Bücher.
Weniger Geschäfte, mehr Freizeitangebote
Helfen soll, was als „Eventisierung“ der Einkaufstour beschrieben wird: Mehr Veranstaltungen, mehr Unterhaltung, Shopping als Erlebnis. Auch die Potsdamer Platz Arkaden sollen im nächsten Jahr komplett umgebaut werden und im Jahr 2022 als „Erlebniswelt“ wiedereröffnen. Was sich dahinter verbirgt? Weniger Geschäfte, dafür mehr Freizeitangebote und mehr Restaurants. Bis Ende Januar sollen fast alle Geschäfte schließen, damit die Umbauarbeiten beginnen können, die auf zwei Jahre angelegt sind und laut Betreiber einen „zweistelligen Millionenbetrag“ kosten werden.
Dass die Arkaden einen Neustart versuchen, sei grundsätzlich nachvollziehbar, findet Cordelia Polinna. Die 44-jährige geborene Berlinerin hat an der TU Berlin Stadt- und Regionalplanung studiert und ist nun Mit-Geschäftsführerin des Stadtplanungsbüro Urban Catalyst mit Sitz in der Glogauer Straße in Kruezberg. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit strategischen Fragen der Stadtentwicklung und hat zuletzt an einer Studie über den Wandel im Zürcher Einzelhandel mitgearbeitet.
Polinna ist sich sicher: Der Trend, dass immer mehr des täglichen Versorgungsbedarfs im Internet erledigt wird und Einkaufen im Laden dafür umso mehr zu einem Erlebnis werden soll, wird anhalten. „Da will man keine schweren Sachen mehr nach Hause schleppen, sondern was Schönes essen und noch ins Kino gehen“, sagt sie.
Genau diesem Anspruch versuchen die Shoppingcenter, durch Umbauten und eine veränderte Schwerpunktsetzung gerecht zu werden. Auch das erst 2007 eröffnete Alexa wurde zum zehnten Geburtstag bereits mit einer ähnlichen Strategie erneuert: Mehr Restaurants sowie Geschäfte, in denen Onlinehändler ihre Produkte präsentieren.
So soll auch die internetaffine Kundschaft in die Center gelockt werden. Das neue Management der 2018 eröffneten East Side Mall an der Warschauer Straße – der vorherige Chef musste gehen, nachdem auffiel, dass dem Center die Verbindung zur Warschauer Brücke fehlte – versucht seit dem Sommer, mit Konzerten und anderen Veranstaltungen Publikum anzuziehen.
Die Center-Blase
Aber reichen diese Maßnahmen wirklich, um die Kundschaft zurück in die Einkaufszentren zu bringen? Oder hat Berlin schlicht zu viele Center, oft auch auf zu engem Raum? Könnte es in der Stadt gar ein Mallsterben geben wie in den USA, wo Schätzungen zufolge bereits ein Drittel der Einkaufstempel schließen musste?
Expert:innen wie Cordelia Polinna jedenfalls glauben, dass es in Berlin schlicht zu viele Zentren gibt. „Da wurde zuviel gebaut, da ist eine riesige Blase entstanden“, sagt sie. Die neuen, schicken Einkaufszentren wie die Mall of Berlin liefen zwar noch recht gut, insgesamt aber sei ein „gnadenloser Verdrängungswettkampf“ entstanden.
Tatsächlich gibt es in keiner anderen deutschen Stadt so viele Shoppingcenter wie in Berlin. Wie viele es genau sind, ist gar nicht so leicht zu sagen. Zur Eröffnung der East Side Mall 2018 war in vielen Medien von „Berlins 69. Shoppingcenter“ zu lesen, der Senat sprach zur gleichen Zeit allerdings von berlinweit 73 Einkaufszentren, die er als „Konzentration von Einzelhandelsbetrieben mit einheitlichem Erscheinungsbild und zentralem Management“ definiert. Eine zentrale Erfassung gibt es nicht, zuständig sind die einzelnen Bezirke
Die taz hat alle Bezirke nach ihren Einkaufszentren gefragt und kommt insgesamt auf eine Zahl von 79. Die Bandbreite reicht von kleinen Ladenpassagen mit gerade einmal 2.000 Quadratmetern Verkaufsfläche bis zu den großen Shoppingmalls, in denen sich die Geschäfte auf mehreren Etagen über Zehntausende Quadratmeter erstrecken.
Schon in den 1990er-Jahren, als in Ostberlin ein Shoppingcenter nach dem anderen entstand, wurden Befürchtungen laut, die vorhandene Kaufkraft könnte für derart viele Zentren einfach nicht ausrechnen. Die Krise des stationären Einzelhandels hat das Problem heute vervielfacht.
Der Leerstand betrifft selbst Center, die erst in den letzten Jahren gebaut wurden, wie etwa das Schultheiß Quartier in Moabit: Als das Einkaufscenter im Sommer 2018 eröffnete, versprach Investor Harald Huth, der auch hinter der Mall of Berlin steht, für die noch unvermieteten Flächen würden bald Betreiber gefunden werden.
Aus Geschäften werden Büros
Heute ist klar, dass aus diesem Versprechen nichts wurde. Rund 20 Geschäfte stehen leer im Schultheiß Quartier, das nun, nicht einmal anderthalb Jahre nach der Eröffnung, bereits umgebaut werden soll: Im Obergeschoss sollen aus den Geschäften jetzt Büroflächen werden.
Die sind in Berlin nämlich Mangelware: Die Leerstandsquote bei Büroflächen ist in Berlin auf einen historisch niedrigen Wert von 1,5 Prozent gesunken. Dass die Vermietung von Büros lukrativer sein könnte als die von Einzelhandelsflächen, haben viele Investoren mittlerweile erkannt. So empfiehlt etwa auch die Berliner Sparkasse in einem 2019 veröffentlichten Marktbericht unter der Überschrift „Der Berliner Handel im Wandel“ Einkaufscenter zumindest teilweise zu Büroflächen umzubauen.
Dieser Weg geht beispielsweise auch das Forum Steglitz: 1970 als eins der ersten Shoppingcenter Berlins eröffnet, standen auch hier zuletzt viele Flächen leer – immerhin konkurrieren auf der Steglitzer Schlossstraße gleich vier Shoppingmalls auf einem Kilometer um Kunden. 10.000 Quadratmeter ehemalige Einzelhandelsfläche sollen jetzt Büros werden, auch Coworking-Flächen sind geplant.
Noch mehr Malls
Mehr Gastronomie, mehr Events oder gleich der Umbau zu Büroflächen: In dem Versuch, einem Berliner Mallsterben zuvor zu kommen, rüsten viele Einkaufscenter um. Doch es ist paradox: Obwohl der Niedergang des stationären Einzelhandels bereits seit Jahren zu beobachten ist, wurden mit der East Side Mall und dem Schultheiß Quartier auch im vergangenen Jahr noch neue Center eröffnet.
Und immer noch werden neue Malls gebaut: Für 2020 ist die Fertigstellung des neuen Tegel-Centers in Reinickendorf geplant: Inklusive der ebenfalls dort geplanten neuen Fußgängerzone sollen hier 50.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche entstehen, das Bauvolumen beträgt 250 Millionen Euro. Auch hier steht der Millionär Harald Huth dahinter, der gern als „König der Berliner Shoppingmalls“ bezeichnet wird. Die Hallen am Borsigturm, ein etabliertes Einkaufscenter mit 115 Geschäften, liegen 700 Meter entfernt.
Grassierender Leerstand einerseits, weiterhin neue Zentren andererseits: Wäre es nicht an der Zeit für ein berlinweites Shoppingcenter-Moratorium?
Das geht gar nicht, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Das Bundesrecht sehe vor, dass Einkaufszentren in Kerngebieten möglich sind. Ein Genehmigungsverbot für die ganze Stadt zu erteilen, sei also nicht möglich. Dort, wo vorhandene Bebauungspläne ein Kerngebiet ausweisen, das groß genug ist, kann auch ein Einkaufscenter gebaut werden – die konkrete Genehmigung im Einzelfall ist Sache der Bezirke.
Das Steuerungsinstrument des Senats ist der im März fertiggestellte Stadtentwicklungsplan Zentren, der das gesamtstädtische Konzept für den Einzelhandel festschreibt. Dieser benennt immerhin „Herausforderungen für die städtebauliche Integration von Einkaufszentren“ und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung hin zu „Dead Malls“ in anderen Ländern.
Neue Einkaufscenter, so heißt es im Stadtentwicklungsplan Zentren, müssten sich in die bestehenden Zentren integrieren – dazu gehöre auch, die Verkaufsfläche zu begrenzen oder die Center so zu bauen, dass sie sich nicht nur nach innen, sondern auch nach außen öffnen. Es müsse vermieden werden, „dass die Ströme von Passanten und Passantinnen in innere Passagen umgelenkt und dadurch vorhandene Einkaufsbereiche geschwächt werden“, heißt es beispielsweise.
Nur: Um den Bau eines neuen Einkaufcenters genehmigt zu bekommen, versichern Investoren selbstverständlich, solcherlei Anforderungen zu erfüllen.
Und offenbar glaubt ihnen die Politik noch allzu oft, dass ihre Versprechen tatsächlich wahr werden: Stephan von Dassel, grüner Bezirksbürgermeister von Mitte, schwärmte bei der Eröffnung des Schultheiß Quartiers, das neue Center bedeute „eine deutliche Attraktivitätssteigerung für den gesamten Bezirk, für den Ortsteil insbesondere“. Frank Balzer, CDU-Bürgermeister von Reinickendorf, ist sich sicher, dass das neue Tegel-Center nicht nur für die „Versorgung der Bevölkerung“ wichtig sei, sondern auch „Besucher und Kunden aus anderen Bezirken und aus dem Umland anziehen“ werde.
Das Geld hinter den Centern
Hinter dem Bau und Betrieb von Shoppingcentern steht Geld, viel Geld. Nahezu alle Zentren in Berlin sind in der Hand großer, international agierender Konzerne. Hinter der ECE Projektmanagement GmbH, die nicht nur die Potsdamer Platz Arkaden betreibt, sondern auch das Gesundbrunnen-Center, die Hallen am Borsigturm, die Ring-Center und weitere Malls, steht der Otto-Konzern, die ECE ist Einkaufszentren-Marktführer in Europa.
Die Arcaden in Neukölln, an der Schönhauser Allee und in der Wilmersdorfer Straße gehören wie auch die Gropiuspassagen, noch knapp vor der Mall of Berlin das größte Einkaufszentrum Berlins, dem weltweit agierenden Investment-Unternehmen Unibail-Rodamco-Westfield, das aus dem Zusammenschluss eines französischen, eines australischen und eines niederländischen Konzerns entstand.
„Das sind Unternehmen, die an den lokalen Auswirkungen ihrer Investitionen überhaupt nicht interessiert sind“, sagt Katalin Gennburg. Gennburg sitzt für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus und ist in ihrer Fraktion Sprecherin für Stadtentwicklung. „Wir müssen dringend aufhören, diesen steuervermeidenden Konsumketten den roten Teppich auszurollen.“
Immerhin: Wie auch im Rest von Deutschland ist der große Center-Boom auch in Berlin vorbei, es wird zwar immer noch neu gebaut, aber weniger als früher. In manchen Bezirken ist auch schlicht kein Platz mehr für neue Zentren. So ist sich beispielsweise Ephraim Gothe (SPD), Baustadtrat in Mitte, sicher: In seinem Bezirk würden keine neuen Shoppingcenter mehr gebaut. „Die strategischen Standorte, an denen das in Frage kommt, sind alle schon besetzt“, sagt Gothe.
Bleibt die Frage, was mit den bestehenden Zentren passieren soll, wenn dort trotz größerer „Food Courts“, mehr Veranstaltungen und architektonischer Veränderungen die Besucher:innen ausbleiben. Katalin Gennburg hat schon im vergangenen Jahr eine „Shoppingcenter-Rückbauprämie“ gefordert. „Wir können uns diese krasse Platzverschwendung in Berlin schon lange nicht mehr leisten“, sagt sie – Shoppingcenter seien weder stadtentwicklungs- noch wirtschafts- und steuerpolitisch das Richtige für die Stadt.
Cordelia Polinna findet, der öffentlichen Hand dürfe keine Abwrackprämie aufgebürdet werden, schließlich habe die Stadt auch von den Gewinnen der Center wenig gehabt. „Es müsste bei Leerstand eher eine Verpflichtung zum Rückbau auf Kosten der Eigentümer geben.“
Denn die Malls umzubauen, ist gar nicht so einfach: „Sie sind nicht besonders flexibel oder robust“, sagt Polinna. Oft gebe es eine große Raumtiefe und wenig Belichtung. Das sei schließlich architektonisch der Sinn der Shopping Malls: „Sie sollen die Leute hineinsaugen, und am besten sollen die dann gar nicht mehr mitkriegen, dass die Sonne schon untergegangen ist.“ Diese Gebäude so zu öffnen, dass ein attraktiver Teil Stadt draus wird, brauche „gigantische Umbauten“.
Wenn schon die Planung neuer Shoppingcenter nicht ausgesetzt wird, ist der Abriss der bestehenden wohl erst recht unrealistisch. Nichtsdestotrotz: Es geht, zumindest theoretisch, um eine Menge Platz. Rechnet man allein die Verkaufsfläche aller Berliner Shoppingcenter zusammen, kommt man auf rund 150 Hektar. Vielleicht fällt Berlin angesichts der wachsenden Zahl von Kindergärten und Handwerksbetrieben, Kleingewerbetreibenden oder Künstlern, die alle verzweifelt auf der Suche nach Platz sind, ja doch noch ein anderer Umgang mit sterbenden Malls als die Umwandlung in Bürogebäude ein.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott