Mall of Berlin und die Wanderarbeiter: „Ausbeutung eingeplant“

Rumänische Arbeiter wurden beim Bau der Mall of Berlin um ihren Lohn geprellt. Monika Fijarczyk über Folgen des Urteils des Bundesarbeitsgerichts.

Beim Bundesarbeitsgericht auf Beton gebissen Foto: Gerhard Leber

taz: Frau Fijarczyk, Sie beraten ausländische Arbeitnehmer, die in Deutschland ausgebeutet werden. Was sagen Sie zum Urteil in Sachen Mall of Berlin?

Monika Fijarczyk: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sehen wir kritisch, insbesondere in Bezug auf seine praktischen Folgen. Weder der Gesetzwortlaut noch die Gesetzesbegründung sehen vor, dass Bauherren generell von der Haftung für nicht gezahlte Löhne ausgenommen sind. Durch die Einschränkung der Generalunternehmerhaftung wird der Arbeitnehmerschutz geschwächt.

Sind Zustände wie beim Bau der Mall of Berlin aus Ihrer Sicht ein Einzelfall?

Wir kennen mehrere Großprojekte in Berlin mit ähnlichen Handlungsstrukturen, auch die Firmennamen wiederholen sich. Die Arbeitnehmer können ihre Forderungen gegen niemanden richten, weil der direkte Auftraggeber verschwunden ist oder insolvent. Die einzige Firma, die zu identifizieren ist, ist der Bauherr. Man muss klar sehen, dass die Baufirmen auch deshalb insolvent werden, weil die Aufträge von vornherein unwirtschaftlich geplant sind. Die Ausbeutung der Arbeiter ist im Voraus eingeplant.

Monika Fijarczyk ist Juristin, Referentin und Leiterin des Arbeitsrechtsteams im gewerkschaftsnahen „Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit BEMA“.

Das Beratungszentrum BeraterInnen des BEMA unterstützen eingewanderte Menschen und mobile Arbeitnehmer*innen dabei, ihre Arbeits- und Sozialrechte wahrzunehmen. Infos: bema.berlin

Der Fall Am Mittwoch entschied das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz, dass der Bauherr der Mall of Berlin nicht für den Lohn haftet, den Subunternehmer rumänischen Arbeitern vorenthalten hatten. Subunternehmer und Generalunternehmer waren zuvor insolvent gegangen bzw. nicht auffindbar. (mah)

Sie haben tatsächlich den Eindruck, das hat System?

Ich bin seit 10 Jahren bei unserem Beratungsprojekt und kann bestätigen: Das ist eine Masche. Als ich damals angefangen habe, wurde gerade noch am Flughafen gebaut und es war auch dort ein Standard, dass nacheinander alle Bau­unternehmen insolvent gegangen sind. Es kam sogar vor, dass bei den Arbeitnehmern von vornherein damit geworben wurde, dass die Firma zwar kein Geld habe, sie zu bezahlen, aber sie ja dann sicheres Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit bekommen würden.

Welches Ausmaß hat die Ausbeutung auf Berliner Baustellen, mit welchen Geschichten kommen die Menschen zu Ihnen?

Wir beraten im Jahr mehrere Hunderte Personen, die ausgebeutet werden. Ein Großteil davon arbeitet in der Baubranche. Es sind Menschen aus Rumänien, Bulgarien, Polen, die für zwei oder drei Monate nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten. Häufig bekommen sie weder den versprochenen Lohn, noch werden Sozialabgaben gezahlt. Es kommt auch immer wieder vor, dass der Arbeitsschutz nicht beachtet wird. Da arbeiten auf der gleichen Baustelle die deutschen Arbeitnehmer in voller Ausrüstung, und die lettischen Arbeiter bekommen nicht einmal Arbeitshandschuhe. Die Verletzungsgefahr ist entsprechend hoch. Dazu kommt noch, dass die ausländischen Arbeiter häufig sehr lange arbeiten – 12 und mehr Stunden am Tag. Das ist natürlich nicht zulässig. Der vereinbarte Lohn liegt oft unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Und selbst, wenn die Arbeiter einen ordentlichen Vertrag haben, landen sie durch die vielen Überstunden bei 5 bis 6 Euro die Stunde.

Was können Sie als Beratungsstelle gegen diese Ausbeutung tun?

Im ersten Schritt unterstützen wir die Arbeitnehmer dabei, Nachweise für ihre Ansprüche zu sammeln. Dann versuchen wir, den direkten Arbeitgeber zu kontaktieren. Das ist ja häufig nicht möglich, die Arbeitnehmer kennen oft nur den Vermittler, der sie auf die Baustelle gebracht hat. Also kontaktieren wir weitere Subunternehmer, den Generalunternehmer und auch die Bauherren. Weil wir eben die Auffassung vertreten, dass diese auch haften. Wir versuchen, mit den Firmen zu verhandeln, und können meistens erreichen, dass die Arbeitnehmer zumindest einen Teil von dem bekommen, was ihnen zusteht. Sonst informieren wir auch die Aufsichtsbehörden.

Begegnen Ihnen Fälle von Ausbeutung auch bei kleineren Bauvorhaben, etwa einer Baugruppe, die nur ein Wohnhaus für sich baut?

Ja, immer wieder. Vor zwei Jahren hatten wir auch den Fall einer kleinen Kirchengemeinde, die ein Haus für sich bauen ließ. Die beauftragte Baufirma hat eine Briefkastenfirma in Polen gegründet, die dann Arbeiter aus Polen hergebracht hat. Sie waren nicht sozialversichert und wurden auch nicht bezahlt. Für uns war klar, das war keine Betrugsabsicht des Auftrag­gebers. Aber er hat das billigste aller Angebote gewählt und er hat keine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Subunternehmen verlangt, aus der hervorgeht, dass die Arbeitnehmer sozialversichert sind.

Sie sehen also jeden Bauherrn in der Pflicht, etwas ­gegen Ausbeutung zu tun?

Unbedingt. Jeder Auftrag­geber hat die Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, was auf seiner Baustelle passiert. Er kann Lohnabrechnungen beim Subunternehmen einsehen und die Bestätigungen der Arbeitnehmer fordern, dass sie den Lohn erhalten haben. Er kann sogar einen Teil des Werklohns einbehalten unter der Voraussetzung, dass alles ordentlich abgewickelt wird.

Haben Sie Sorge, dass das aktuelle Urteil Tür und Tor öffnet für weitere Ausbeutung?

Leider befürchte ich, dass sich viele Firmen durch das Urteil in ihrem Vorgehen bestätigt fühlen. Insbesondere bei Großbauprojekten wird es für einzelne Arbeitnehmer schwieriger, Lohnansprüche durchzusetzen.

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