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Mafia in Deutschland„Die Unachtsamkeit wird teuer“

Deutschland verkennt sein akutes Problem mit der Mafia, sagt der italienische Soziologe Nando dalla Chiesa. Um die Mafia zu bekämpfen, fehle es an juristischen Mitteln.

„Deutschland heute ist wie die Lombardei im Norditalien der 80er Jahre.“ Bild: kallejipp/photocase
Interview von Giuseppe Pitronaci

taz: Herr dalla Chiesa, welches ist das größte Problem, das Deutschland derzeit mit der Mafia hat?

Nando dalla Chiesa: Das fehlende Bewusstsein darüber, dass es dieses Problem gibt. Deutschland heute ist wie die Lombardei im Norditalien der 80er Jahre. Man bestritt die Mafia: Mailand sei nicht Palermo. Die Mafia begann damals, die Lombardei zu erobern.

Macht Deutschland es der Mafia zu einfach?

Ja. Die Unachtsamkeit bei diesem Thema wird teuer bezahlt. Und nicht nur mit Justiz und Ordnungskräften bekämpft man die Mafia – auch die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle.

Welche Mittel fehlen hier?

Zwei politisch-juristische Mittel wären besonders wichtig: der Straftatbestand, Mitglied einer Mafia-Organisation zu sein, und die Möglichkeit, Mafia-Besitz zu konfiszieren. Deutschland könnte dabei von den Erfahrungen Italiens profitieren, wo man die besten Mittel im Kampf gegen die Mafia entwickelt hat. Italien ist Vorreiter bei der Mafia, und Italien ist Vorreiter beim Kampf gegen die Mafia.

Im Interview: Nando dalla Chiesa

leitet an der Universität Mailand den Fachbereich Soziologie der organisierten Kriminalität. Er nimmt in Berlin an einer Konferenz des Vereins „Mafia, nein danke“ teil.

In diesem Kampf werden in Italien zum Beispiel Telefone abgehört. Was halten Sie von solchen Mitteln?

Das Abhören von Telefonaten ist außerordentlich wichtig. Auch die Kronzeugenregelungen sind notwendig. Telefonate abhören ist nicht schön in einer Demokratie. Aber hier geht es um Organisationen, die die Demokratie mit Gewalt angreifen. Dagegen muss sie sich wehren. Die Gerichte müssen natürlich einbezogen sein. Und bestimmte Mittel darf die Polizei nicht eigenmächtig anwenden.

Für die Linke in Deutschland sind das heikle Themen. Es steht der Wunsch, die Mafia zu bekämpfen, gegen die Angst, Freiheitsrechte zu verletzen. Ist das in Italien anders?

Das war auch in Italien so. Erst nach den Morden an dem Politiker Pio La Torre und an meinen Vater, dem Carabinieri-General Carlo Alberto dalla Chiesa, hat man in Italien den Straftatbestand der Mafia-Mitgliedschaft geschaffen. Vorher hieß es, in einer Demokratie kann es das nicht geben, strafrechtliche Verantwortung müsse persönlich sein. Als in Italien der Maxi-Prozess stattfand, hatte ich ein Treffen mit Intellektuellen in Bremen. Ihr Vorwurf: Es ist Faschismus, mehr als 400 Personen auf einmal vor Gericht zu stellen. Für uns aber war es die Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus der Mafia.

Welche internationale Mafia-Organisation ist in Deutschland am stärksten?

Die ’Ndrangheta aus Kalabrien ist die stärkste Mafia-Organisation Europas. Es ist ihre Natur, die Gesellschaft zu beherrschen.

Wie tut sie das?

Durch ihre starken Netzwerke, durch persönliche Beziehungen. Es ist ihre Spezialität, Kontakte zu knüpfen zu Politik, Ordnungskräften, Banken. Erst ist man in der Gastronomie tätig, dann bei öffentlichen Bauaufträgen, dann immer mehr in der Politik. In der Lombardei vor zwanzig Jahren fand man die ’Ndrangheta kaum in Politik und öffentlicher Verwaltung. Jetzt kann man die Fälle nicht mehr zählen. Man hat Zeit verloren, weil man dachte, das Problem existiert nicht. Aber die Mafia besteht aus Profis. Sie finden eine Gesellschaft vor, die schläft.

Macht dieNdrangheta gerade diesen Schritt in Deutschland: von den kleineren Geschäften zur großen Politik und in die Wirtschaft?

Sie fängt an bei der örtlichen Verwaltung. Auf Bundesebene ist sie, glaube ich, noch nicht angelangt.

An welcher Stelle sehen Sie Deutschland innerhalb Europas, was die Mafia betrifft?

Deutschland ist nach Italien am meisten bedroht von der Mafia. Gefolgt von Spanien.

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7 Kommentare

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  • G
    Gast

    mmmh Kampf gegen die Mafia wäre ja auch irgendwie rechts und würde nur Vorurteile schüren

  • S
    soweitsogut

    Herr Chiesa scheint sich nur bedingt mit dem deutschen Recht auszukennen. Beihilfe, Anstiftung, bandenmäßige Begehung (als Qualifikationsmerkmal) usw. ermöglichen auch Personen zur Rechenschaft zu ziehen, die eher Randfiguren sind bzw. die Taten nicht selbst begehen.

     

    Weiterhin ermöglicht die StPO eine Einziehung von Vermögen, dass aus Straftaten stammt.

     

    Es gibt also bereits die geforderten Mittel. Wie sie eingesetzt werden und wie viel Personal zur Verfügung steht sind wohl die drängenderen Fragen.

     

    Die Frage sollte lauten, wo setzt unsere Gesellschaft die Prioritäten bei der Verbrechensbekämpfung.

     

    Meines Erachtens sollte mehr auf Umwelt und Wirtschaftskriminalität geachtet werden.

  • Benötigen wir tatsächlich einen Straftatbestand der Mafia-Mitgliedschaft? Gibt es nicht schon das mit der bandenmäßig organisierten Kriminalität. Da dürfte doch die Mafia mit reinfallen, oder etwa nicht.

  • L
    Lowandorder

    Es ist - glaube ich 20 Jahre her,

     

    in einem Artikel plus Interview

    (FR/Die Zeit?)

    über eine Fahrt durch Mannheim oder ähnliche Stadt im Süddeutschen eines deutschen Ermittlers mit einem italienischem

    Mafia-Spezialisten.

     

    The same old story -

     

    der Italiener zeigt die Geschäfte, die Lokale etc -

    in denen sich in Wahrheit nichts bewegt, die der Geldwäsche, der reinen Logistik etc dienen -

    (und gegen die man nichts machen zu können vermeint)

     

    und woran man sie erkennen kann;

    es ging um das immer häufiger festzustellende Parken von in Italien ins Visier geratener

    Mafiosi, Geldwäsche;

    das berühmte Mafia-Wasser

    (um direkte Schutzgelderpressung zu umgehen) etc

     

    Geändert hat sich scheint´s nichts - außer zum Schlechten.

     

    ps. damit korrespondiert eine der letzten Untersuchungen, wonach von ab den 50ern in ´schland erkennbaren großen Gruppen -

    zu aller Überraschung - die Italiener nach Bildung, Berufsausbildung etc deutlich schlechter integriert sind.

  • Können kommen. Wir haben Hartz IV, gemessen an der Zusammenbruchsfähigkeit der BRD als Wirtschaftsfaktor ist das eine Befreiungsfront.

  • TM
    tobias märz

    Es gibt noch eine dritten Mangel, den z.B. Italien nicht hat: die Unabhängigkeit der Staatsanwälte. Während es dort immer wieder zu Anklagen, Verurteilungen und tatsächlichen Haftantritten von Politikern - auch Ex-Ministern - kommt, bleiben in der BRD so gut wie alle Straftäter ab einer gewissen Prominenz ungeschoren. Ein Staatsanwalt unterliegt in der Bundesrepublik dem mehr oder weniger direkten Einfluss von Legislative wie Exekutive und ist auch formal dem Justizministerium des jeweiligen Bundeslandes unterstellt - und weisungsgebunden. Deshalb werden deutsche Staatsanwälte immer wieder gerne als Organe der Staatsregierung missbraucht, v.a. in Ermittlungsverfahren gegen Repräsentanten eben jener Regierungen. Dies ist ein grober Webfehler im deutschen Recht und mit der europäischen Demokratie unvereinbar.

    S.a. http://www.taz.de/!103187/ (Oktober 2012)

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Wer kein Mafiosi ist, ist sowieso nur ein Opfer.