Männerbünde ohne Einsicht: Frauen wollen rein
Männer unter sich: Das linksliberale Bremen hält an Traditionen wie der Eiswette fest. Geht das nicht subtiler, Patriarchat?

Gerade hat die Nachricht, dass Bremens Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne) als Frau beim traditionellen „Eiswettfest“ unerwünscht ist, für Empörung gesorgt. Der Herrenklub wolle den „Gendergaga“ nicht mitmachen, erklärte Eiswettpräsident Patrick Wendisch. Und seine Wortwahl ist, das muss man ihm lassen, wirklich aufschlussreich.
Natürlich könnte man besonnen sein und einen Anachronisten wie Wendisch einfach labern lassen. Doch das verkennt, dass in diesen Runden echte Politik gemacht, Geschäfte angebahnt und Seilschaften geknüpft werden. Männer unter sich – wie noch viel zu oft in weiten Teilen der Führungsetagen.
Interessant ist aber auch die Abarbeitung an einem noch recht frischen Begriff: In der Weise, wie der Eiswettpräsident über „Gender“ spricht, verdichtet sich exemplarisch das ganze – und leider wieder akuter werdende – Kampffeld: Solche Typen benutzen den Begriff als Motor für einen Backlash.
Aufklärung trifft Holzköpfigkeit
Hier trifft Aufklärung auf Holzköpfigkeit. Dabei ist der Genderbegriff elementar. Das englische Wort steht für das soziale Geschlecht – im Unterschied zum biologischen Geschlecht (englisch: „sex“), für eine bestimmte Denktradition in der Geisteswissenschaft und unterstreicht oberflächlich die mittlerweile eigentlich triviale Erkenntnis, dass unser Verständnis von Körper, Geschlecht und Sexualität mehr gesellschaftlich konstruiert als biologisch vorbestimmt ist.
Der Kampf gegen das Fach „Genderstudies“ an den Universitäten und, noch grundlegender, gegen „Gender-Mainstreaming“ als Strategie für mehr Geschlechtergerechtigkeit, wird international von der Neuen Rechten und in Deutschland besonders von der AfD massiv geführt. In Ungarn trägt das schon Früchte: Regierungschef Orbán ließ die Geschlechterforschung im Oktober 2018 aus den Universitäten verbannen. Die Anti-Gender-Bewegung, so beschrieb es die ungarische Professorin Andrea Pető im Interview mit der taz, sei dabei nicht nur Ableger eines jahrhundertealten Antifeminismus, sondern ein grundlegend neues Phänomen: ein Angriff auf den Liberalismus und damit indirekt auf die Demokratie.“
Viel schlimmer als die Instrumentalisierung des Begriffs ist deshalb die Tatsache, dass nicht nur Typen wie Regierungschef Orbán im weit nach rechts gerückten Ungarn, sondern auch Männer wie der Eiswettpräsident im liberalen Bremen mit ihrer Praxis durchkommen – ohne sich komplett zu disqualifizieren. Hat die Reproduktion der männlichen Herrschaft heute nicht subtiler zu sein, um überhaupt noch zu bestehen?
Traurige Wahrheit
Die traurige Wahrheit ist, dass es mit der Emanzipation nicht so weit her ist wie gehofft. In der Debatte darum, wer über den Körper der Frau zu entscheiden hat, finden am heutigen Samstag bundesweit Demonstrationen statt, darunter auch in vielen norddeutschen Städten, um allein dafür zu protestieren, dass es ÄrztInnen erlaubt sein soll, über Schwangerschaftsabbrüche nur zu informieren.
Auch sozial und ökonomisch lässt sich festhalten: Selbst in einem entwickelten Industriestaat wie der Bundesrepublik liegen Frauen heute im Durchschnitt noch deutlich unter der Bezahlung von Männern und sind in Führungspositionen unterrepräsentiert.
Ermüdende Diskussion
An dieser Stelle landet die Diskussion meist bei der Quote. Dabei ist die Debatte wahnsinnig ermüdend. Für mich als Frau sogar ein echtes Ärgernis. Doch sollte es uns davon abhalten, für Gleichberechtigung zu streiten? Schon Simone de Beauvoir konstatierte 1949,in ihrem Buch „Das andere Geschlecht“ zu dieser Frage: „Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben. Das Thema ist ärgerlich, besonders für die Frauen; außerdem ist es nicht neu. Im Streit um den Feminismus ist schon viel Tinte geflossen, zurzeit ist er fast beendet“.
Es sollte de Beauvoir nicht abhalten und auch uns nicht. Dafür sitzt die männliche Herrschaft sowohl strukturell als auch personell immer noch zu fest im Sattel.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?