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Machtmissbrauch am TheaterKann es sich verändern?

Eine Publikation untersucht die Strukturprobleme an deutschen Schauspielhäusern. Dabei geht es auch um Solidarität mit Kolleg:innen.

Das Theatertreffen eröffnete ein Livestream; auch die Debatte um Machtstrukturen fand virtuell statt Foto: picture alliance/dpa/Berliner Festspiele/Diana Pfammatter

Wenn es um Macht und Theater geht, dann sehr oft unter dem Vorzeichen „Machtmissbrauch“. Dazu haben in diesem Frühjahr die Geschichten beigetragen wie die über den Interimsintendanten der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, der nach Sexismus-Vorwürfen zurück treten musste, die Aufregung am Schauspielhaus Düsseldorf nach Rassismus-Vorwürfen und zuletzt die Debatte über den Führungsstil von Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater in Berlin.

Um die Macht am Theater und die Frage nach der Veränderbarkeit seiner Strukturen geht es in einer Publikation, „Theater und Macht. Beobachtungen am Übergang“, die von der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de herausgegeben worden ist.

Die Frage nach der Veränderbarkeit beschäftigte auch zwei digitale Gesprächsrunden, die im Rahmen des Berliner Theatertreffens am Wochenende stattfanden. Macht eben nicht nur im Kontext von Missbrauch zu sehen, sondern nach Ideen für eine gute Leitung zu suchen, war hier ebenso wie in der Publikation das Anliegen.

Wie krass die Verhältnisse am Theater sein können, spießt in „Theater und Macht“ ein satirischer Text von Leonie Adam auf, der von einer Zeit an einer Schauspielschule in fiktiver Form erzählt. Weil 24 Stunden lang geprobt wird, schlafen die Studierenden, auch wenn es verboten ist, gleich im Bühnenbild.

Der Band

„Theater und Macht. Beobachtungen am Übergang“. Hg. von der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de, 180 Seiten, kann kostenlos herunter­geladen werden.

Das Theater frisst dich mit Haut und Haaren

Das Motto, „was uns nicht umbringt, macht uns stärker“, haben sich einige eintätowieren lassen. Zur Anregung des „Denkflusses der renommiertesten Regisseure Deutschlands“ laufen die meisten Schau­spie­le­r:in­nen nur noch in Reizunterwäsche herum. Das Theater frisst dich eben mit Haut und Haaren; wer sich dieser Ideologie nicht unterwerfen wolle, haben hier eben nichts zu suchen, ist der Subtext, den die Bildungseinrichtung so suggeriert.

Diese schwarze Skizze ist eine Ausnahme in der Publikation. In den meisten Texten und Interviews geht es um Analyse der Strukturen und Instrumente der Veränderung. Sie werden gesucht, seit die #MeToo-Debatte auch die deutschen Theater erreichte. Der Deutsche Bühnenverein erstellte 2018 einen Verhaltenskodex zur Prävention gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch.

Damals war Ulrich Khuon noch Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin nahm er an einem Panel des Thea­ter­treffens teil, „Practice what you preach“, zu dem die In­ten­dan­t:in­nen oder Leitungsteams der zehn Produktionen, die für das Theatertreffen ausgewählt wurden, eingeladen waren. Der Kodex ist eine Selbstverpflichtung der Theater, eine Referenzgröße, auf die sich jeder beziehen kann.

Vor der #MeToo-Debatte, beschreibt Khuon, log man sich in die eigene Tasche, täuschte sich über die eigene Fairness. Auch jetzt reiche es nicht, den Kodex einfach auszuhängen. Sondern das müsse kommunikativ begleitet werden, die Umsetzung in den unterschiedlichsten Arbeitsprozessen geübt werden. Die Ansprüche formuliert zu haben sei erst ein Anfang. Und ein Blick von außen als Kontrolle sei vonnöten.

Die freie Szene teilt die Verantwortung häufiger

Das betrifft vor allem die großen Apparate, Theater mit 300 bis 500 Mitarbeitenden. Weil zum Theatertreffen aber auch Produktionen aus der sogenannten freien Szene eingeladen sind, mit ganz anders zugeschnittenen Strukturen, saß auch Anna Donderer, Künstlerische Produktionsleiterin vom Rat & Tat Kulturbüro aus München, auf dem Panel.

Es sind, sicher nicht zufällig, oft Frauen, die als freie Produktionsleiterinnen, nicht gut bezahlt, im Theater arbeiten, sich um Organisation, Finanzierung und Spielorte kümmern. Von den Künstlern engagiert, sind sie strukturell oft mehr mit ihnen auf einer Augenhöhe als in den Staatstheatern. Und mit ihnen verantwortlich für das Ergebnis. Das Teilen von Verantwortung ist damit in der freien Szene oft größer.

Über Modelle von Mitgestaltung, Machtteilung und Mitbestimmung an Theater ging ein zweites Panel des Theatertreffens, das die Dramaturgin Anna Volkland mit einem Vortrag einleitete, der die Mitbestimmungsmodelle der späten 1960er Jahre befragte und unter anderem ihre Elemente auf Nutzbarkeit heute abklopfte. Die Schaubühne Berlin und das Schauspiel Frankfurt gehörten zu den bekanntesten Bühnen der Veränderung.

Schon vor 50 Jahren war die Macht der Intendanten in Verruf geraten, damals vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung. Dazu gehörte die Idee, dass bessere Arbeitsbedingungen auch notwendig für eine Verbesserung des Ausdrucks seien. Beide Projekte blieben aber Inseln in einem anders strukturieren System.

Solidarität mit den freien Kol­le­g:in­nen

Zum Gespräch darüber eingeladen waren auch zwei Schauspielerinnen, Carolin Haupt und Linda Pöppel, die das EnsembleBündnisBerlin vertraten. Dieses Netzwerk hat sich im Januar 2021 gegründet, aus angestellten Ensembles heraus, um Solidarität mit den vielen nichtangestellten Künst­le­r:in­nen einzufordern, die nur als Gäste an den Thea­tern arbeiten, sozial und wirtschaftlich auf wackligen Füßen stehen, und für die die Coronahilfen nicht griffen.

Das EnsembleBündnisBerlin verlangt zum Beispiel von der Kulturpolitik eine gesetzliche Verbesserung dieser prekären Arbeitsverhältnisse. Auf dem Panel erzählte Linda Pöppel, wie neu es sich anfühle und wie viel Mut es brauche, eine Sprecherposition für einen Berufsstand einzunehmen, der die Vereinzelung lebt. Sie müssten als Schau­spie­le­r:in­nen lernen, sich sichtbar zu machen und einzubringen.

Die Angst, das Gewohnte zu verlassen, ist mit der Coronasituation und dem Stillstand an vielen Theatern eher gewachsen. Der Wunsch, Strukturen zu verändern, könne aber nur umgesetzt werden, wenn viele ihn tragen.

Auf die konkreten Erschütterungen an den Theatern in Berlin und Düsseldorf ging in den Gesprächsrunden niemand direkt ein. Die Diskussion über Personen und Skandale, die laut geführt werde, sei nicht der beste Weg, die strukturellen Probleme zu bearbeiten, meinte Khuon. Dennoch waren sich die meisten einig, dass das, was als Fehlverhalten gerade aufploppt, die Notwendigkeit der Prozesse des Umlernens bestätigte.

Suche nach Veränderung

Eingeladen zum Gespräch über „How to: Power“ war auch Julia Wissert, die mitten in der Coronazeit Intendantin in Dortmund wurde. Auf der Suche nach Veränderung, nach Auflösung von Machtasymmetrien, gehe es nicht um ein neues Leitungsmodell, Doppelspitze oder Mitbestimmung, betonte sie, sondern darum, die unterschiedlichsten Möglichkeiten zuzulassen und zu schauen, was funktioniert, was ist übertragbar; schon weil jedes Theater eine andere Geschichte habe.

Wie die Publikation „Theater und Macht“ erzeugten auch die Gespräche im Rahmen des Theatertreffens ein Bild, dass das Problembewusstsein an vielen Theatern in den letzten Jahren gewachsen ist. Und damit die Suche danach, vom Teil des Problems zum Teil der Lösung zu werden, auf den Weg gebracht wurde, zumindest in kleinen Schritten.

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2 Kommentare

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  • Zitat: „In den meisten Texten und Interviews geht es um Analyse der Strukturen und Instrumente der Veränderung.“

    Das mag ein Anfang sein, ist aber längst nicht genug. Und ziemlich erstaunlich ist es obendrein. Denn wo, wenn nicht am Theater, müsste klar sein, dass Strukturen und Instrumente nichts sind ohne das Individuum, das sich ihrer bedient?

    „Es ist die Psyche, Dummkopf“, möchte man den Theater-Retter*innen zurufen. „Vergiss die Menschen nicht vor lauter Stolz auf deine Theorie!“ Was einen Menschen nach der Macht greifen lässt, war, ist und bleibt entscheidend. Im Theater, aber auch überall sonst.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Rassismusdebatte an Theatern - nicht von außen - sondern aus den Theatern heraus.

    www.ardmediathek.d...tZWJhZjYxNjU1MWMw/

    1.. Daniel Barenboim, West-Eastern Divan Orchestra im Pierre Boulez-Saal,



    Wenn gelebte selbstverständliche Internationalität auf die Rassismusdebatte trifft.



    (Auch Daniel Barenboim wurde innerhalb der lfd. Debatte angegriffen)

    2. Simone Dede Ayivi, Regiesseurin Sophiensäle:



    Zitat: " Der Hintergrund der Theaterdebatte ist der Druck von außen einen Job im Theater zu bekommen."

    3..Wilfried Schulz Intendant - Düsseldorfer Schauspielhaus --



    zur Debatte um Strukturveränderung : Er hat eine Firma beauftragt die Strukturen am Schauspielhaus zu untersuchen - weil er gern ein unabhängiges Urteil von außen haben möchte.

    4.. Darstellung der Probleme aus der Sicht einer Schauspielerin vom Gorki ehemaligen Darstellerin.

    "Schon vor 50 Jahren war die Macht der Intendanten in Verruf geraten, damals vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung."

    Ein Gespräch mit der Schaubühne hätte geholfen.



    Nicht die Intendanten standen im Focus der Debatte - sondern die Gleichberechtigung im Theater. Gescheitert ist das an der Unmöglichkeit jeden Mitarbeiter gleichberechtigt zu beteiligen: Kunst macht, wenn jemand den Job ernst nimmt, sehr viel Arbeit - und setzt in allen Bereichen Qualifikation voraus. Der Anspruch war, das jeder Beteiligte von Beginn auch an den Leseproben beteiligt ist - um aus der Diskussion die Umsetzung des Stückes auf die Bühne zu erarbeiten.

    Abgesehen davon das diese Veranstaltungen ziemlich schnell "bröckelten" - weil unfokussiert & "ausufernt" - wurde schnell deutlich, das der einzelne spezialisierte Mitarbeiter seine eigene Arbeit nicht mehr schaffen würde, wenn jeder an jedem Prozess beteiligt sein würde.







    Deswegen hat sich sehr schnell das Prinzip der Teambildung entwickelt.