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Machtkampf im britischen UnterhausNo-Deal-Gegner erzwingen Abstimmung

Das Parlament hat den Weg für ein Gesetz frei gemacht, das einen No-Deal-Brexit verhindern soll. Stimmen die Abgeordneten dafür, will Johnson Neuwahlen beantragen.

In Bedrängnis: Johnson hatte am Dienstag seine hauchdünne Mehrheit im Unterhaus eingebüßt Foto: ap

London dpa | Der britische Premierminister Boris Johnson will eine Neuwahl beantragen, wenn ihm die Abgeordneten im Parlament den Weg zu einem No-Deal-Brexit per Gesetz versperren. Das kündigte er am späten Dienstagabend nach seiner Niederlage gegen Gegner seines Brexit-Kurses an. „Ich will eigentlich keine Wahl, aber wenn die Abgeordneten für eine weitere sinnlose Verzögerung des Brexits stimmen, wäre das der einzige Ausweg“, sagte Johnson.

Das Parlament hatte am Dienstag gegen den Willen der Regierung den Weg für ein Gesetzgebungsverfahren frei gemacht, mit dem ein EU-Austritt-Großbritanniens ohne Abkommen am 31. Oktober verhindert werden soll. Der Entwurf soll schon am Mittwoch durch das Unterhaus gebracht werden, damit er so schnell wie möglich dem Oberhaus vorgelegt werden kann. Sollten auch die Lords zustimmen, kann der Entwurf Gesetz werden.

Das geplante Gesetz sieht vor, dass Johnson eine Verschiebung des EU-Austritts beantragen muss, sollte bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert sein. Der Antrag müsste dann von den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten bewilligt werden.

Johnson will jedoch unter „keinen Umständen“ eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen. Er hofft daher auf eine Neuwahl. Eine Abstimmung über seinen Antrag darauf könnte schon am Mittwochabend erfolgen. Doch Johnson braucht dafür eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus. Er ist daher auf die Opposition angewiesen. Labour-Chef Jeremy Corbyn will sich darauf aber erst einlassen, wenn das Gesetz gegen den ungeregelten EU-Austritt verabschiedet ist. „Wenn das Gesetz zum Stopp des No Deal in Kraft getreten ist, werden wir einer Parlamentswahl zustimmen, damit die Menschen über die Zukunft unseres Landes entscheiden können“, twitterte Corbyn.

Abgeordneter Lee erregt mit Fraktionswechsel Aufsehen

Eine Neuwahl ist eigentlich ohnehin unumgänglich. Johnson hatte am Dienstag seine hauchdünne Mehrheit eingebüßt. 21 Rebellen aus Johnsons Tory-Partei, die gegen die Regierung gestimmt hatten, wurden aus der Fraktion ausgeschlossen. Darunter der ehemalige Schatzkanzler Philip Hammond und Alterspräsident Ken Clarke. Sie sollen nun bei der nächsten Parlamentswahl nicht mehr für die Konservativen antreten dürfen.

Die Regierung hatte die harte Vorgehensweise gegen Abweichler bereits angekündigt. Manch einer der Rebellen soll sich dadurch erst recht ermutigt gefühlt haben, dem Regierungschef die Stirn zu bieten. Noch während der Premierminister am Rednerpult stand, hatte der konservative Abgeordnete Phillip Lee am Dienstag aus Protest gegen Johnsons Brexit-Politik demonstrativ die Regierungsfraktion verlassen und nahm zwischen den Oppositionsabgeordneten Platz.

Zu Wut und Empörung hatte auch die Entscheidung Johnsons geführt, das Parlament noch vor dem Brexit-Datum für mehrere Wochen zu suspendieren. Gegen diesen Schritt wurde in gleich mehreren Gerichten im Land Klage eingereicht. Es wurde erwartet, dass das oberste schottische Gericht in Edinburgh noch am Mittwoch eine Entscheidung fällt. Am Donnerstag sollte der Fall vor dem High Court in London verhandelt werden. Ein letztinstanzliches Urteil dürfte aber am Ende der Supreme Court fällen.

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5 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Das Vereinigte Königreich versinkt in einem Paradoxon.

    Es waren die Verfechter des Brexits, die sich 2016 als Verteidiger der parlamentarischen Souveränität ausgaben und entschlossen waren, die Vormachtstellung und Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber den angeblichen Eingriffen Brüssels erneut zu bekräftigen.

    Doch Brexiteers bekämpfen das Parlament: Zuerst wird das Parlament für fünf Wochen suspendiert. Dann werden Abgeordnete aus ihrer Partei ausgeschlossen, auch solche mit jahrzehntelangem erfolgreichem Dienst in Regierungsämtern.

    Dies ist nicht der einzige revolutionäre Umbruch, der im Gange ist.

    Eine Säuberung erschüttert derzeit die Tories, bei der zwei ehemalige Kanzler und ein Mann, der vor einigen Wochen Kandidat für die Führung war, aus der Tory Partei heraus geschmissen wurde - ist ein unglaubliches Ereignis für die konservative Partei.

    Es verändert seine Form und wird von Johnson unter einem anderen Namen in die Brexit-Partei Englands umgestaltet - nämlich in eine super-nationalistische, rechtsradikal - extremistische und populistische Partei der knallharten Rechten.

    Alles klar wie das Drehbuch der extremistischen Rechtsradikalpopulisten auch in der Bundesrepublik aussieht -- und warum die politischen Terroristen der afd nun jämmerlich herumheulen weil sie niemand in die konservative Partei der Bundesrepublik lässt?

  • Mein Gott, die Eton-Zöglinge wollen den Manchester-Kapitalismus. Sie oben und der Pöbel soll sie versorgen. Wie halt in den von Johnson beschworenen goldenen Zeiten.

  • Manchmal habe ich die Idee, dass Johnson vielleicht doch ein kluger und verantwortungsvoller Politiker sein könnte. Dass er den Brexit vielleicht wirklich für notwendig hält, die Absage jedenfalls für das noch schlimmere Übel in Form einer jahrzehntelangen Spaltung und Lähmung. Dass er erkannt hat, dass die politische Klasse zu feige, gespalten, egoistisch und verantwortungslos ist um irgendeine Entscheidung zu erreichen. Dass sein Putsch ein notwendiger Weg ist, dass Parlament von sich selber zu befreien. Aber das ist nur so eine Idee.

    • @Benedikt Bräutigam:

      'Dass sein Putsch ein notwendiger Weg ist, dass Parlament von sich selber zu befreien. '



      Hört sich an, wie eine Amtseinführungs rede von Hitler.



      Sie sollten sih mal grundlegend mit Demokrati, machtteilung und Kompromissfindungen auseinander setzen.

  • Auch ohne umfänglich Bescheid zu wissen: 1. "gepeitscht " scheint angemessen, ist es unter den martialischen Bedingungen, die BoJo vorgibt, aber nicht. 2. "weitere sinnlose Verzögerung" ist unkorrekt um nicht zu sagen : "gelogen". Es will keinen "no deal". Das ist etwas komplett Anderes!