Lübecker Unternehmer Winfried Stöcker: Bizarres Weltbild
Winfried Stöcker hat sich einen Namen als Rassist und Sexist gemacht. Am Wochenende ließ er selbst gemachten Impfstoff verspritzen, bis die Polizei kam.
Schon im März 2020, als das Coronavirus erst wenige Wochen alt war, verkündet Stöcker, er habe den allerersten Impfstoff weltweit entwickelt, und testete das „Lübeck-Vakzin“ medienwirksam an sich selbst. Diesen Sommer ließ er in Görlitz 376 MitarbeiterInnen eines Kaufhauses impfen, das er dort besitzt. Das sei für Ärzte „völlig legal“, kommentierte Stöcker. Die Staatsanwaltschaft sieht das ein wenig anders und ermittelt gegen ihn wegen einer Straftat gegen das Arzneimittelgesetz.
Stöcker versteht sich selbst als Kämpfer für die gute Sache. Sein Impfstoff enthalte weder Vektorviren noch Corona-RNS, sondern basiere auf Proteinen, habe keine Nebenwirkungen und wirke fünf Jahre lang, sagt er.
Viele der Freiwilligen, die sich mit dem nicht zugelassenen Präparat impfen lassen wollen, kommen aus Stöckers Fan-Kreis. Auf seiner Homepage bietet er neben mit Blumen und Vögeln bemalten Eiern und Rezepten für Quittenmarmelade eine Anleitung an, mit der ÄrztInnen selbst Impfstoffe herstellen können. Das skurrile Arrangement hält BesucherInnen nicht davon ab, dort begeisterte Kommentare zu hinterlassen.
Dass er mit seinen Positionen auch aneckt, störte den Professor nie besonders. Im August 2020 belagerten KlimaschützerInnen den Regionalflughafen und protestierten gegen Kurzstreckenflüge. Stöcker vereinbarte erst ein Gespräch, überlegte es sich dann aber doch anders. In seinem Wagen mit Chauffeur und getönten Scheiben spielte er ein Katz- und Maus-Spiel mit den Demonstrierenden, bevor er mit heulendem Motor das Flughafengelände verließ.
Zweifelhafte Berühmtheit erlangte Stöcker 2014, als er in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vor der „Islamisierung Deutschlands“ warnte. Er wolle Asylsuchende „am liebsten zurück in ihre Heimat schicken“. In Äußerungen beharrte er auf dem N-Wort. Als Bürgerschaft und Universität in Lübeck sich von ihm distanzierten, entzog er der Uni regelmäßige Spenden in Höhe von jährlich einer Million Euro.
Besonders provokant war sein Lösungsvorschlag für die Flüchtlingsfrage: „Zeugt viele Kinder, dass wir dem mutwillig herbeigeführten, sinnlosen Ansturm unberechtigter Asylanten etwas entgegensetzen können“, empfahl er in seiner Weihnachtsansprache 2017 der Belegschaft der Lübecker Labordiagnostik-Firma „Euroimmun“. Deren Chef war er bis 2019.
Die rassistischen Äußerungen sind nur ein Teil seines bizarren Weltbilds. So sollten diese Kinder nicht irgendwie gezeugt werden – der Aufruf war Stöckers Beitrag zur #MeToo-Debatte. Er sieht in „angeblichem“ Machtmissbrauch nichts Verwerfliches, erzählt von einem Kollegen „in führender Stellung“, der erst mit einer Praktikantin und dann mit einer Werkstudentin Familien gegründet habe. In seinen Augen tragen die Frauen selbst die Verantwortung für Übergriffe: „Die Mädchen könnten zurückhaltender gekleidet und weniger provozierend zum Casting gehen, dass die armen Regisseure auf dem Pfad der Tugend bleiben.“
Einen Rat gibt er ihnen noch mit: „Glaubt niemandem, außer mir.“ So ähnlich argumentiert er nun auch in Bezug auf seinen Impfstoff. Seit er sich einen schlohweißen Bart hat wachsen lassen, sieht Stöcker seriöser und weniger hart aus – Typ Landarzt. An Selbstvertrauen mangelte es ihm noch nie. Er will sein Vakzin nun im eigenen Labor zulassen, um es danach im Ausland zu vertreiben. Schließlich sei der Lübecker Impfstoff von allen, die es gibt, „der beste“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid