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Protest gegen Inlandsflüge ab LübeckTransparente auf der Rollbahn

Mehrere Umweltgruppen protestieren auf dem Gelände des Flughafens Lübeck gegen die Wiederaufnahme von Linienflügen.

Musikalisch Untermalt: Aktion gegen Flüge von Lübeck Foto: Friederike Grabitz

Lübeck taz | Es ist noch dunkel, als eine Gruppe von 25 Aktivisten das Camp verlässt. Hektisch, verhuscht, ohne Frühstück und mit Leitern und Decken unterm Arm rennen sie über die dunkle Straße, wo Straßenlaternen gelbes Licht auf die Straße gießen. Der Asphalt ist über Nacht abgekühlt, sogar die Grillen sind verstummt, die den ganzen gestrigen Tag das Protestcamp beschallt haben.

Die Aktivisten laufen auf der Schnellstraße, die zwischen der Weide, auf der sie übernachtet haben, und dem Lübecker Flughafen verläuft. Sie sollen auf das Rollfeld gelangen, bevor um halb sieben der erste Flieger hier abhebt – der erste seit vier Jahren, nach München. Protestierende aus dem ganzen Bundesgebiet sind gekommen, um das zu verhindern.

Viertel nach acht hat der Flieger noch nicht abgehoben. Eine Gruppe Aktivisten hat es geschafft, auf das Rollfeld zu gelangen und ihr Transparent auszubreiten: „Keine Linienflüge ab Lübeck – Kurzstreckenflüge nur für Insekten!“, steht darauf. Es ist das Motto der Gruppe Extinction Rebellion (XR), mit dem sie seit Monaten gegen die Wiedereröffnung des Lokalflughafens demonstriert.

Sie findet, dass die Strecken nach München und Stuttgart, die von hier aus angeflogen werden, gut und umweltfreundlicher mit der Bahn erreichbar sind. Drei Aktivisten haben sich sogar als Passagiere ausgegeben und gelangen unbehelligt bis an die Maschine, aber dann werden sie gestoppt. Polizeibeamte, die mit der Aktion gerechnet haben, nehmen den Aktivisten die Transparente ab, sie kommen in Gewahrsam.

Keine Linienflüge aus Lübeck – Kurzstreckenflüge nur für Insekten

Transparent von Extinction Rebellion

Vor dem Flughafengebäude wird währenddessen weiter demonstriert. Inzwischen sind auch andere Gruppen dazugekommen, teilweise mit einer Fahrraddemo aus der Innenstadt, die eine Fahrradstunde entfernt ist. „Es ist toll, wie viele Gruppen hier zusammen gekommen sind“, sagt Jonna Schulz-Ehlbeck von der Lübecker Extinction Rebellion-Gruppe. Ergänzend zu den Aktionen von Extinction Rebellion haben Fridays for Future am Mittag zwei Demos am Flughafen und in der Innenstadt organisiert.

Auf dem Airport-Gelände skandieren derweil Aktivisten von Greenpeace gemeinsam mit Fridays for Future, den Omas for Future und Parents for Future: „Lübeck nach Stuttgart – war ne schöne Zugfahrt“, und empfangen eine Maschine, die am frühen Nachmittag landet, mit lauten Buhrufen. Inzwischen sind etwa 200 Demonstrierende auf dem Gelände und zeitgleich etwa 50 vor dem Rathaus.

Flugzeuge sehen sie hier nur wenige: Elf Inlandsflüge in der Woche werden ab heute wieder von hier angeboten, dazu Verbindungen nach England, Griechenland und Kroatien. Aber es ist eine große Veränderung: Seit 2016 hat es keine Linienflüge aus Lübeck gegeben.

Streit um den Flughafen im Süden der Stadt gab es oft – praktisch immer, wenn wieder eine Übernahme durch einen Investor anstand. 2012 zerbrach sogar die rot-rot-grüne Koalition an der Übernahmefrage. Es gab einen Bürgerentscheid über den Fortbestand, in dem die Lübecker sich für die Flüge aus ihrer Stadt entschieden, und kurz darauf, 2014, eine Insolvenz.

Der damalige Besitzer war Monate zuvor auf mysteriöse Weise verschwunden. So waren manche Lübecker froh, als 2016 erstmals seit Langem wieder ein Lübecker den Airport kaufte, allerdings einer, der in der Stadt wegen sexistischer und rassistischer Äußerungen umstritten ist: der Pharma-Unternehmer Winfried Stöcker.

Eigentlich war am Montag auch ein Gespräch mit ihm vereinbart, zu dem er aber nicht erscheint. Als er mit seiner schwarzen Limousine den Parkplatz verlassen will, rennen die Demonstranten zur Ausfahrt und blockieren sie, aber er geht aufs Gas, wendet und fährt kurzerhand auf der anderen Seite vom Grundstück.

Stöcker ist eine Reizfigur. Vor allem aber sei der Flughafen nicht wirtschaftlich, argumentieren Fridays for Future: Seit seinem Bestehen 1950 habe er die Stadt 65,8 Millionen Euro gekostet – obwohl er in privater Hand ist. In den vergangenen Tagen hatte es eine Diskussion zwischen Aktivisten und den Betreibern um die ökologischen Argumente gehen Kurzstreckenflüge gegeben, in der diese argumentiert hatten, die Bahn verbrauche für ihre Trassen ja viel mehr Flächen als der Flugverkehr. „Umweltschutz muss man sich leisten können“, steht darin.

Ein XR-Aktivist und Mitorganisator der Aktionen, der nur bei seinem Vornamen Peter genannt werden will, resümiert: „Friedlicher Protest kann viel bewirken.“ Für ihn war die Veranstaltung schon deshalb ein Erfolg, „weil wir Teilnehmer aus fünf Bundesländern hier hatten“. Er glaubt, dass die Protesttage in Lübeck der Auftakt für eine bundesweite Bewegung gegen Inlandsflüge waren.

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