Löws Neustart mit der Fußball-Nationalelf: Die Suche nach der goldenen Mitte
Bundestrainer Joachim Löw erklärt die Neuausrichtung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft: Er will sich auf alte Erfolgszeiten zurückbesinnen.
Die Analyse der verpatzten Weltmeisterschaft in Russland oder des „Debakels“, wie Löw sagte, wurde vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen in alle deutschen Wohnzimmer übertragen und hatte fast schon Seminarcharakter. Löw ließ die letzten acht Jahre seines Wirkens Revue passieren. Man habe sich intern in den letzten Wochen „die Mühe gemacht“, die letzten drei Weltmeisterschaften zu analysieren und dabei auch Daten zu vergleichen. Zur Veranschaulichung der Ergebnisse wurden die Zahlen via Projektor an die Wand geworfen.
Kurz gefasst, will das DFB-Team strategisch wieder ausbalancierter und emotional leidenschaftlicher spielen, um auf die Erfolgsspur zurückzukommen. Bei der WM 2010, dozierte Löw, sei die deutsche Elf von einer starken Defensive geprägt gewesen und mit erfolgreichem Konterfußball bis ins Halbfinale gezogen. Die Weiterentwicklung zu mehr Ballbesitzfußball habe zum Titelgewinn 2014 später in Brasilien geführt. Die Daten der letzten acht Jahre, konstatierte Löw, haben gezeigt: „2014 lagen wir in der goldenen Mitte.“
Sein größter Fehler sei bei dem WM-Turnier in diesem Sommer die Einschätzung gewesen, mit noch mehr Ballbesitz durch die Vorrunde kommen zu können, um danach die Strategie etwas zu modifizieren. „Das war fast schon arrogant. Ich wollte das auf die Spitze treiben, noch mehr perfektionieren“, geißelte sich Joachim Löw selbst. Er hätte auf mehr Stabilität achten sollen.
Mehr Feuer entfachen
Aus den detaillierten Studien hat Löw nun mit Blick nach vorn folgenden Schluss gezogen: Das deutsche Nationalteam muss sich wieder zurück zur goldenen Mitte bewegen, wieder schneller werden im Passspiel, wieder flexibler auftreten und weniger ins Risiko gehen.
Als zweiten bedeutsamen Erkenntnisgewinn hob der Bundestrainer hervor, dass der Enthusiasmus vergleichsweise abgenommen haben. Immerhin habe man „eine kleine Flamme“ gehabt. Nun will man im emotionalen Bereich wieder mehr Feuer entfachen.
Das überfällige Statement zum Rücktritt von Mesut Özil fiel dagegen recht schmal aus. Etwas pikiert hob Löw hervor, dass Özil ihn vor und nach seiner Entscheidung nie kontaktiert habe, wie das ansonsten üblich sei, und auch seine Versuche, via Telefon und SMS mit ihm ins Gespräch zu kommen, seien bislang erfolglos geblieben. Ansonsten distanzierte sich der Bundestrainer, wie das bereits Manuel Neuer, Thomas Müller und Toni Kroos taten, von dem Vorwurf, es gebe im deutschen Nationalteam Rassismus. Einen solchen Vorwurf hatte Özil allerdings nie erhoben.
Weiter mit Bierhoff
Sowohl Löw als auch Oliver Bierhoff verwiesen auf die guten Fundamente. „Wir haben 14 Jahre lang eine Erfolgsgeschichte geschrieben“, sagte Bierhoff. Aber auch er kündigte Veränderungen an. Die Kommunikation mit den Spielern soll künftig verstärkt werden. Man wolle sich wieder mehr auf die eigenen Werte wie „Respekt, Identität und Professionalität“ konzentrieren, für die Fans wieder nahbarer werden. Mehr öffentliche Trainingseinheiten sind bereits im Oktober in Leipzig und Berlin vorgesehen. Der Mitarbeiterstab soll künftig um fast ein Dutzend verschlankt werden. Und der umstrittene Markenbegriff „Die Mannschaft“ solle im Gespräch „mit verschiedenen Stakeholdern“ auf den Prüfstand gestellt werden.
Mit seinem Wunsch, „wieder zu mehr Sachlichkeit zu finden“, offenbarte Bierhoff aber auch, dass ihm die massive Kritik der letzten Wochen sehr zugesetzt hat.
Bundestrainer Joachim Löw machte deutlich, dass die erfahrenen Spieler ein „wichtiges Fundament für den Neubeginn“ seien. Erstmals dabei beim ersten Pflichtspiel in der Nations League gegen Frankreich am 6. September in München werden Thilo Kehrer, Nico Schulz und Kai Havertz sein. Und Löw versicherte, gleich nach dem ersten Analysegespräch mit Bierhoff hätten beide festgestellt, „dass wir weiterhin auch nach 14 Jahren, die große Motivation, Energie, Kraft […] und auch Begeisterung haben, das, was wir in Russland verbockt haben, wieder auf die Beine zu stellen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich