Lkw-Fahrer kämpfen um Geld: Ganz hinten in der Lieferkette
Auf einer Raststätte im hessischen Gräfenhausen streiken erneut Lkw-Fahrer um ihren Lohn. Ihr polnischer Arbeitgeber scheint auf Eskalation zu setzen.
Mazur, das steht für Łukasz Mazur, einen polnischen Spediteur mit mehreren Unternehmen, denen die blauen Lkws gehören. Die Fahrer aus Usbekistan, Kasachstan, Georgien und Tadschikistan werfen ihm vor, teils für mehrere Monate keinen Lohn gezahlt zu haben. Darum haben sie sich zu einem wilden Streik entschlossen.
Da ist zum Beispiel Dilchod Khalilov, ein Fahrer aus Usbekistan, der französischen Wein geladen hat. Ganze sieben Monatsgehälter schulde ihm Mazur, erzählt er der taz. Das sind rund 14.700 Euro. Sein ebenfalls usbekischer Kollege Adil Mirzaev sagt, er warte auf 7.800 Euro Lohn. Er wirkt erschöpft nach zehn Tagen Warten an der Raststätte und sagt dennoch: „Wir wollen unser Recht. Deswegen sind wir hierhergekommen.“ Khalilov ergänzt: „Wir bleiben, bis wir unser Geld haben. Wir haben nur ein Leben.“
Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität, die im ständigen Austausch mit den Fahrern steht und sie über ihre Rechte aufklärt, sagt: Diese hohen Lohnforderungen sind sogar die Regel. „Die meisten Fahrer warten auf 3.000 bis 12.000 Euro“, sagt sie. Viel Geld.
Beim ersten Rastplatz-Streik rückte ein Schlägertrupp an
Zwar stehen in Gräfenhausen nur Fahrer von Mazur, doch wie ihnen geht es auch vielen Lkw-Fahrern anderer Speditionen. Auftraggeber sind oft multinationale Konzerne in Westeuropa. Die vergeben Transportaufträge an große Speditionen, die oft nicht einmal selbst Fahrer haben, sondern die Aufträge wieder an Subunternehmen vergeben. Am Ende der Kette steht ein Fahrer, der oft scheinselbstständig beschäftigt ist. Laut Beratungsstelle Faire Mobilität bekommen die Fahrer sowieso schon wenig Geld und müssen dann auch noch die Kosten fürs Parken oder die Benutzung von Toiletten und Duschen auf Rastplätzen selbst zahlen. Krankheitszeiten werden oft als unbezahlter Urlaub verbucht, bei Kündigung wird der letzte Lohn einbehalten.
Ein Problem nicht nur für die Fahrer, sondern auch für ihre Familien. Die lassen die Fahrer oft über Wochen und Monate zurück und schicken Geld nach Hause. So auch Gela Chkhobadle, dessen Frau und drei minderjährige Kinder in Georgien leben. Er sei Alleinverdiener und habe einen Kredit aufgenommen, um den Lohnausfall zu kompensieren, erzählt der Anfang 40-Jährige. Auf knapp 7.000 Euro wartet er noch. „Der Kredit braucht sich schnell auf.“
Schon im März und April streikten hier in Gräfenhausen über sechs Wochen lang rund 60 Fahrer desselben Unternehmens. Auch sie warfen Mazur vor, den Lohn nicht zu zahlen. Zwischenzeitlich rückte ein Schlägertrupp an, bedrohte die Streikenden. Inhaber Łukasz Mazur bestritt damals alle Vorwürfe und zahlte schließlich doch: 300.000 Euro für die 60 Fahrer. 300.000 erstrittene Euro – die südhessische Raststätte Gräfenhausen ist für viele der Lkw-Fahrer deswegen zum Symbol der Hoffnung geworden.
„Mazur hat gesagt, er macht seine Firma zu einem besseren Unternehmen. Aber er hat sein Wort nicht gehalten, im Gegenteil“, sagt Gela Chkhobadle. „Für Mazur arbeite ich nie wieder“, sagt Adil Mirzaev klar und kreuzt energisch die Hände vor der Brust.
Drei bis vier Quadratmeter Privatssphäre
Der Fachkräftemangel trifft auch die Transportbranche. Allein in Deutschland fehlen 45.000 bis 80.000 Berufskraftfahrer. Viele der Streikenden in Gräfenhausen könnten sich ihren Arbeitgeber im Prinzip aussuchen, haben auch Angebote anderer Speditionen. Nur sind die Arbeitsbedingungen dort wahrscheinlich auch nicht besser. Dazu ist es für Nicht-EU-Bürger:innen schwierig, einen Job zu bekommen, ihre Erfahrungen werden oft formell nicht anerkannt.
In Gräfenhausen gewährt ein Fahrer, der Georgier Kakha Tughushi, einen Blick in sein Fahrerhaus: Drei bis vier Quadratmeter, das ist alles, was es an Privatsphäre im Lkw gibt. Auf dem Armaturenbrett stehen ein Deo, ein Paar Schuhe und Aftershave-Balsam. Hinter den Sitzen liegt eine schmale Matratze. Das Bett ist ordentlich gemacht, sogar mit Überdecke für die am Rand hervorlugende Herzchenbettwäsche.
Für den Streik bleibt ihm wenig anderes übrig, als hier zu nächtigen. Eigentlich dürfen Fahrer das nach EU-Recht gar nicht, es gilt ein „Kabinenschlafverbot“. Die Übernachtung außerhalb des Wagens müsste das Unternehmen zahlen. Tut Mazur aber wohl nicht, wie die Streikenden berichten. „Wir müssen das Hotel vom eigenen Lohn zahlen“, sagt einer. Andernfalls drohten Strafen.
Dazu kommen sehr lange Arbeitstage, 10 bis 14 Stunden täglich, erzählen die Männer. Zu Hause waren sie alle seit Monaten nicht. „Meine Familie sehe ich nur über Videotelefonie“, sagt Tughushi und guckt gen Himmel. Für dieses wochenlange Leben im Fahrzeug ohne Familie und Freunde, dafür bekommen sie nach eigenen Angaben 1.800 bis 3.000 Euro im Monat. Oder eben nicht.
Mazur sah sich bisher immer in Recht
Anfangs sah es dieses Mal besser aus für die Fahrer, sagt Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität. „Vor etwa zwei Wochen, als die ersten paar Fahrer wiederkamen, hat das Unternehmen eingelenkt und direkt einige Forderungen beglichen.“ Etwa zehn Männer hätten Geld bekommen. „Es sah erst so aus, als wolle man dieses Mal den Imageschaden kleinhalten.“
Doch dann kamen mehr und mehr Fahrer. Und in der vergangenen Woche ließ sich Mazur dann schon auf keine Verhandlungen mehr ein, sagt Weirich. Wie es weitergeht? Unklar. Immerhin haben die Fahrer einen potenziell machtvollen Hebel für Verhandlungen: die Lkws, teils mit, teils ohne Ladung. An Bord: Maschinen, Wasser, Bier oder eben französischer Wein.
Was Mazur zu den neuen Vorwürfen sagt? Eine Anfrage der taz zu den Vorwürfen lässt die Firma unbeantwortet. Der Unternehmer erklärte aber in der Vergangenheit immer wieder über Stellungnahmen, dass seine Firma nicht gegen geltendes Recht verstoße.
Doch wie glaubhaft ist das? „Das Mobilitätspaket der EU soll genau solche Zustände verhindern“, sagt die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff der taz. Die EU-Kommission müsse dringend überprüfen, ob das Gesetz auch in Polen ausreichend in nationales Recht umgesetzt wurde, dort, wo Mazurs Unternehmen sitzt. „Und zur Not Vertragsstrafen gegen Polen einleiten.“ Bischoff kritisiert zudem fehlende Kontrollen. Dafür sei unter anderem die Europäische Arbeitsbehörde (ELA) zuständig, doch ihr fehlten ausreichende Ressourcen.
Auch der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke spricht sich für eine wirksame Durchsetzung des bestehenden EU-Rechts und ein stärkeres Mandat für die ELA aus. Der taz sagt er: „Wir treffen in Gräfenhausen auf kriminelle Energie. Entsprechend muss auch die Antwort der Behörden ausfallen. Unternehmer wie Mazur müssen viel schneller ihre Lizenz verlieren.“
Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen, war in der vergangenen Woche selbst vor Ort. Der taz sagt er: „Nur Mazur selbst kann zur Deeskalation der Situation beitragen, indem die Lkw-Fahrer ihre ausstehenden Gelder erhalten.“
Wie wirksam ist das Lieferkettengesetz?
Doch statt Deeskalation setzt Mazur auf das Gegenteil: Wie die Staatsanwaltschaft Darmstadt der taz bestätigt, hat das Unternehmen Strafanzeige gegen die Fahrer gestellt – wegen Erpressung. „Ob und inwieweit die erhobenen Vorwürfe zutreffen, ist Gegenstand der Ermittlungen.“ Rudolph sagt dazu: „Das ist eine bodenlose Frechheit. Das ist der Versuch, die Opfer zu Tätern zu machen.“ Statt sich mit den Problemen in seinem Geschäftsmodell zu beschäftigen und die Fahrer angemessen zu bezahlen, versuche Mazur, die Streikenden in Gräfenhausen nun zu kriminalisieren.
Der DGB sieht auch deutsche Auftraggeber in der Verantwortung, für menschenwürdige Einkommens- und Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette zu sorgen. Nach jahrelangen Verhandlungen trat das Lieferkettengesetz Anfang des Jahres in Kraft. Deutsche Unternehmen müssen seitdem für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten – vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt – sorgen. Das gilt auch für Firmen, die ihre Waren von Speditionen transportieren lassen, die wiederum Subunternehmen beauftragen.
Funktioniert das Gesetz? „Noch kann man nicht sehen, welche Wirkung es entfaltet“, sagt Anna Weirich. Im April hatte Mazur letztlich gezahlt, weil ein Auftraggeber mit Vertragsstrafen gedroht hatte. Das aber habe nichts mit der Sorgfaltspflicht zu tun gehabt, sagt Weirich. „Dem ging es um Geld und darum, seine Ware zu bekommen. Sorgfalt wäre, wenn der Auftraggeber von vornherein sicherstellen würde, dass die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette gut sind.“
Das wäre das Ideal. In der Praxis fordert das Gesetz zwar auch präventive Maßnahmen, vor allem aber regelt es den Umgang mit Hinweisen zu Verstößen. Diese nimmt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle entgegen, das auch Strafen für die Unternehmen auferlegen kann. Auch auf EU-Ebene soll ein solches Gesetz eingeführt werden.
Trotz allem ist die Stimmung in Gräfenhausen am Montagmittag gut. Die Fahrer sitzen auf ihren Ladeflächen und auf öffentlichen Bänken. Manche haben Fahrräder dabei, mit denen sie ein paar Meter radeln. Für die Unterstützung durch DGB und Co sind sie dankbar. Von ihrem Ziel wollen sie sich nicht abbringen lassen: „Wir werden erst gehen, wenn wir unser Geld bekommen“, sagen alle. Einige reden aber auch schon von Hungerstreik, sollte Mazur nicht einlenken.
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