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Literaturnobelpreis 2020Auf der Suche nach Weltanspruch

Louise Glück ist eine Nobelpreisträgerin, an deren Rang als Lyrikerin keine Zweifel bestehen. Doch womöglich ist genau das ein Problem.

Preisträgerin Louise Glück: Jetzt schlagartig bekannter Foto: Webb Chappell

Berlin taz | Auf Deutsch gibt es nur zwei Gedichtbände von Louise Glück, der Nobelpreisträgerin für Literatur 2020, und auch die kann man nur noch antiquarisch erwerben: 2007 ist bei Luchterhand „Averno“ erschienen, 2008 „Wilde Iris“, übersetzt von Ulrike Draesner.

Glück gewann dafür bereits 1992 einen Pulitzer-Preis. Die Verleihung des bekanntesten amerikanischen Literaturpreises zeigt: Auch wenn es deutschen Leser*innen so vorkommen muss, ist Glück kein Geheimtipp. Im Gegenteil: In den USA gehört Glück zu den großen Namen.

Ihr Verlag, Farrar, Strauß and Giroux, sagt über Glück in einem Werbetext für seinen 2017 erschienen Essayband „American Originality“: „seit fünfzig Jahren ist sie eine überragende Gestalt der amerikanischen Literatur“. Das halbe Jahrhundert ist etwas übertrieben, aber für die letzten dreißig Jahre gilt die Aussage. Louise Glück hat in ihrer Karriere fast alle großen US-amerikanischen Auszeichnungen und Preise für Lyrik erhalten. Von 2003 bis 2004 war sie die United States Poet Laureate.

2012, ein Jahr vor ihrem 70. Geburtstag, hat ihr Verlag sie mit einem Sammelband gefeiert. Ein 630 Seiten starker Klotz von einem Buch, in dem Glücks Entwicklung vom 1968 erschienen ersten Gedichtband „Firstborn“ bis zur 2009 veröffentlichten Pastorale „A Village Life“ nachverfolgt werden kann. Ihr aktuellstes Werk, „American Originality. Essays on Poetry“ ist 2017 erschienen, ihr letzter Lyrikband „Faithful and Virtuous Night“ 2014.

Wenig Begeisterung im Buchhandel

Beim pandemiegebeutelten Buchhandel löst die Verleihung des Literaturnobelpreises an Louise Glück höchstwahrscheinlich wenig Begeisterung aus: Lyrik, kaum erhältlich, dazu auch noch unkontrovers. Schließlich wird sich um die Auszeichnung Glücks kaum so eine hitzige Auseinandersetzung entwickeln wie um Preisträger wie Peter Handke oder Bob Dylan.

Vielleicht haben sich die Mitglieder der Königlich Schwedischen Akademie für Literatur auch deswegen für Louise Glück entschieden: weg von den politischen Kontroversen, weg von Autor*innen, die sich als öffentliche Person ins Handgemenge mit der aktuellen politischen Wirklichkeit begeben. Überhaupt weg aus der Realität, in der auch die Hallen der schwedischen Literatur-Akademie als Jagdgrund sexueller Belästiger und Schauplatz dubioser Deals unter Größen des schwedischen Kulturbetriebs enthüllt worden sind.

Stattdessen endlich zurück zur reinen Literatur, in eine Welt, die sich zwischen eleganter, strenger Form, antiker Mythologie und der metaphysischen Naturanschauung amerikanischer Transzendentalisten bewegt. Zumindest klingt die offizielle Preisbegründung so: „für ihre unverwehselbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht“.

Ausgezeichnet wird eine Lyrikerin, die eine Welt erschafft, in der die Kraft der Sprache bescheidene Blumen wie das Schneeglöckchen in ein Wesen verwandelt, das von den Toten wiederkehrt – und davon erzählt: „Ich rechnete nicht damit zu überleben, / die Erde drückte mich nieder. Ich rechnete nicht damit, / wieder zu erwachen“. (Aus dem Band „Wilde Iris“). Und in der das Leben auf dem Land klingt, als seien wir Zeitgenoss*innen von Hesiod und William Carlos Williams. „Um geboren zu werden, schließt dein Körper einen Pakt mit dem Tod, / und ab diesem Moment, versucht er lediglich zu betrügen“ (Aus: „A Village Life“).

Am Zeitpunkt der Wahl lässt sich zweifeln

Unter ästhetischen Gesichtspunkten lässt sich an der Vergabe des Preises wenig kritisieren. Mit Louise Glück wird eine Lyrikerin ausgezeichnet, an deren Rang als Au­torin von Weltliteratur nicht zu zweifeln ist. Woran sich sehr wohl zweifeln lässt, ist der Zeitpunkt ihrer Wahl. Auch wenn man den Impuls verstehen kann, sich aus der surrealen, absurden Gegenwart von 2020 in die „strenge Schönheit“ universeller Werte zurückzuziehen, ist diese Gegenwelt schon wieder weiß, westlich, englischsprachig.

Immerhin vertreten durch eine Frau, deren Lyrik man lange vorwarf, zu bekenntnishaft, zu persönlich, zu partikular – kurz: zu weiblich zu sein. Aber der Preis geht eben auch an eine Schriftstellerin, die sich, wenn auch kritisch, auf ein sehr amerikanisches Konzept von Literatur bezieht.

Ein Konzept, dessen Weiß-Sein die Poetin als Problem deutlich benennt: „Wir sind, bekanntermaßen, eine Nation aus entkommenen Sträflingen, jüngeren Söhnen, verfolgten Minderheiten und Opportunisten. Dieser Ruhm ist lokal und rassistisch beschränkt: Es ist der Mythos des weißen Amerikas von sich selbst. Ganz offensichtlich beschreibt es weder die Erfahrung der ursprünglichen Bewohner Amerikas noch die der schwarzen Amerikaner.“ (Aus: „American Originality“).

Warum den Mitglieder der Akademie auf der Suche nach Literatur mit universellem Anspruch dann doch wieder nur Autor*in­nen einfallen, die ihnen selbst so ähnlich sehen, bleibt ein Ärgernis – bei aller Freude über die Auszeichnung für Louise Glück.

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14 Kommentare

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  • "Immerhin vertreten durch eine Frau, deren Lyrik man lange vorwarf, zu bekenntnishaft, zu persönlich, zu partikular – kurz: zu weiblich zu sein. Aber der Preis geht eben auch an eine Schriftstellerin, die sich, wenn auch kritisch, auf ein sehr amerikanisches Konzept von Literatur bezieht.

    Ein Konzept, dessen Weiß-Sein die Poetin als Problem deutlich benennt: „Wir sind, bekanntermaßen, eine Nation aus entkommenen Sträflingen, jüngeren Söhnen, verfolgten Minderheiten und Opportunisten. Dieser Ruhm ist lokal und rassistisch beschränkt: Es ist der Mythos des weißen Amerikas von sich selbst. Ganz offensichtlich beschreibt es weder die Erfahrung der ursprünglichen Bewohner Amerikas noch die der schwarzen Amerikaner.“ (Aus: „American Originality“).

    Warum den Mitglieder der Akademie auf der Suche nach Literatur mit universellem Anspruch dann doch wieder nur Autor*in­nen einfallen, die ihnen selbst so ähnlich sehen, bleibt ein Ärgernis – bei aller Freude über die Auszeichnung für Louise Glück."

    Das verstehe wer will. Da wird ein Zitat ausgewählt, in der die Preisträgerin explizit politisch wird, im gleichen Atemzug aber erscheint das Zitat in einer Wertung der Preisträgerin, die durch dieses Zitat widerlegt wird. Erklär du es mir, TAZ. Auch Gottfried Benn hat eine Menge Scheisse gedichtet. Er hat aber auch ein paar Mal tief ins Fleisch geschnitten. Das ist er Preis von Lyrik. Wenn eine handvoll Gedichte übrigbleiben, hat es sich doch gelohnt.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Warum sollten Louise Glücks Texte nix mit Realität zu tun haben. Weil's Lyrik ist?

    Und das der Buchhandel darüber nicht begeistert ist - wen schert das schon. Mich interessiert auch die Haltung der hiesigen Verwerter (hierzulande wird ja schon länger eher "verwertet" als "verlegt") eher nicht.

    Also - Gratulation an Louise Glück!!

  • Na, über literarische Qualität läßt sich streiten. - Hier noch ein Fragment aus dem Buch mit dem sprechenden Titel: "Wilde Iris" "depressiv ja, aber doch leidenschaftlich/ dem lebendigen Baum zugetan, mein Körper/ sogar in den gespaltenen Stamm geschmiegt, beinah friedvoll, im Abendregen/ beinah fähig zu fühlen,/ wie Saft schäumt und steigt." ....

    Uiiii Kitschalarm! .

    • @Berrybell:

      Haben Sie sich jemals "dem lebendigen Baum zugetan"??



      Ich empfinde diese Zeilen als einfache Beschreibung einer konkreten Erfahrung. Es ist - zur Glück - keine abgehobene, deshalb für jeden gleiche Poesie. Und übrigens nah am native American, dem Bewohner von turtle island, der mir die anderen Wesen dieses Planeten nahebrachte.



      Geschmiegt an einen Baum, deprimiert von Schmutz und Lärm der Metropole, habe ich seine Saft und Kraft ähnlich empfunden, aber auch nur "beinahe".



      Kitsch scheint mir keine Kategorie für das zu sein, was ich gerade von ihr und über sie lese.



      Ihr Gedicht "wild iris" beginnt z.B. so:



      "At the end of my suffering there was a door,



      hear me out, that which you call death I remember".

  • Die Wahl ist natürlich feige, aber dafür kann die Auserkorene überhaupt nichts. Auch nicht dafür, dass es sich hier um eine verzweifelt unpolitische Wahl handelt. Und natürlich schon gar nicht dafür, dass eine solche Entscheidung dann doch politisch ist. Natürlich müssen aber auch unpolitische Autoren für den Literatur- Nobelpreis weiterhin in Betracht kommen und natürlich auch Autoren, die den Mitgliedern der Akademie "ähnlich" sind. Mit der impliziten Forderung nach mehr Würdigung von Autoren, die zu Minderheiten gehören, werden hier zudem die Möglichkeiten von Literatur verengt. Natürlich hat beides hat seinen Sinn: die Betroffenheit von Opfern und die Selbstkritik von Tätern oder blinden Mehrheiten. Das hier gebrachte Zitat von Glück lässt eigentlich keinen Zweifel an ihrer Fähigkeit und ihrem Willen zur Selbstreflexion und genau darum geht es in der Literatur.

  • "Auf der Suche nach Weltanspruch"

    ... ist allen die taz.

  • Zitat: „Warum den Mitglieder der Akademie auf der Suche nach Literatur mit universellem Anspruch dann doch wieder nur Autor*in­nen einfallen, die ihnen selbst so ähnlich sehen, bleibt ein Ärgernis“

    Was‘n das für‘n Deutsch? „Warum?“ ist eine Frage, kein „Ärgernis“. Ein Ärgernis kann höchstens sein, dass die Frage einmal mehr unbeantwortet bleibt.

    Menschen erkennt nur, was sie schon kennen, heißt es. Da scheint was dran zu sein. Daran, dass die Akademie-Mitglieder auch nur Menschen sind, dürfte jedenfalls kein Zweifel bestehen. Und dass die meisten Menschen angesichts unsicherer Zeiten gerne auf Nummer sicher gehen, ist ebenfalls Konsens, wenn ich nicht irre. Wir alle kennen das Phänomen aus eigener Erfahrung. Auch, wenn wir uns selbst gerne ganz ausklammern bei der Betrachtung des Regelfalls.

    Ja, es mag ärgerlich sein, dass Leute, die Preise verleihen dürfen, damit indirekt sich selber auszeichnen. Erstaunlich ist das allerdings nicht. Die Frage nach dem „Warum?“ kann sich jeder, der halbwegs ehrlich mit sich selber ist, plausibel beantworten. Müssen muss das aber niemand. Wer nicht will, der kann es lassen. Gezwungen wird jedenfalls niemand zur Ehrlichkeit. Von wem auch?

  • Sorry, liebe Frau Dongowski, hier wurde schlicht literarische Qualität ausgezeichnet. Gut so. Darum sollte es beim Literaturnobelpreis gehen. Nicht darum, welche Begeisterung dies beim deutschen Verlagswesen oder bei irgendwelchen ideologischen Blasen auslöst.

    • @Hans aus Jena:

      Wahr gesprochen! Wird nur keine(r) lesen. Das Leiden des Schneeglöckchens an der spätwinterlichen Last seines Namensgebers rührt wahrscheinlich trotz Literaturnobelpreis nicht die Herzen eines Massenpublikums. Wäre auch zu profan. Aber feinziselierter Distinktionsgewinn für die Eingeweihten ist zu erhoffen. Was voll in Ordnung geht. Weil Literatur so schön nutzlos sein darf.



      Trotzdem würde ich mich über jährliche Preisträger des Karl Kraus Preises noch mehr freuen. Aber nach Gremliza verleiht den keiner mehr. Schade.

      taz.de/Gremliza-Ic...ile2=1599264000000

    • @Hans aus Jena:

      Ihre persönliche ideologische Blase scheint das Happyland zu sein, das Tupoka Ogette in ihrem sehr lesenswerten Buch "Exit Racism" beschreibt. Give it a try! Ihr Argument ist soo 20. Jahrhundert!

      • @Lurkus:

        Nö, mein Argument beruht aus der aufklärerischen Philosophie Ende des 18.Jhd. Wenn dann bitte schön "soo 18. Jahrhundert."

    • @Hans aus Jena:

      Sie wollen damit doch aber bitte jetzt nicht andeuten, dass es auf der großen weiten Welt einfach keine nicht englischsprachigen, nicht weißen Autor*innen gibt, die Weltliteratur schreiben?

      • @Fezi:

        Dass es dir gibt, heißt aber doch nicht, das weiße und englischsprachige Autoren. Icht ausgezeichnet werden können. Auch das wäre übrigens Ausgrenzung aufgrund der Herkunft.

        • @Ruediger:

          Hat das jemand gefordert?



          Nachdem die letzten Jahrzehnte die weißen, englischsprachigen und auch männlichen Autor*innen deutlich öfter ausgezeichnet wurden, als jedwede andere Angehörige der schreibenden Zunft, wäre eine Variation hin zu mehr Vielfalt vielleicht auch kein Fehler.