piwik no script img

Linksparteitag in ChemnitzÜberwiegend harmonisch

Auf ihrem Parteitag geht es der Linkspartei vor allem um Selbstvergewisserung. Doch nicht bei allen Themen herrscht untereinander eitel Sonnenschein.

Es gelingt der Parteiführung, die internen Differenzen beim Thema Gaza mit der Verständigung auf einen gemeinsamen Antrag zu überbrücken Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Chemnitz taz | Weißer Rauch steigt auf, rotes Licht flackert und der Bass wabert durch die Messehalle Chemnitz. Rapper Flaiz aus Görlitz ruft „Alerta, alerta“. Was wie eine Mischung aus Papstwahl und Antifa-Demo klingt, ist der Beginn des Bundesparteitags der Linken am Freitagnachmittag. „Die Linke ist zurück“, ruft die Bundestagsfraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek in ihrer Aufttaktrede strahlend in den Saal. „Wir haben das geschafft, woran fast niemand mehr geglaubt hat.“ Es sei „so ein verdammt gutes Gefühl, endlich mal wieder gewonnen zu haben“. Die rund 540 Delegierten jubeln.

Für zwei Tage hat sich die Linkspartei im früheren Karl-Marx-Stadt versammelt, um ihre Wiederauferstehung zu feiern. Der Parteitagstermin war schon im vergangenen Jahr festgelegt worden, als die Linke noch glaubte, sich einer Bundestagswahl im September entgegenzittern zu müssen. Nun ist alles anders gekommen: Die Partei hat bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar mit 8,8 Prozent ein spektakuläres Comeback geschafft. Und statt der ursprünglich geplanten Bundestagswahlprogrammdiskussion steht jetzt Selbstvergewisserung auf der Tagesordnung.

„Die Hoffnung organisieren“, lautet das Parteitagsmotto. „Wir sind zurück, und die sollen sich warm anziehen“, sagt die Co-Parteivorsitzende Ines Schwerdtner in Richtung der schwarz-roten Koalition von Friedrich Merz. Die Linke verstehe sich als „die soziale Opposition“ im Bundestag. „Wir haben in diesem Wahlkampf wirklich unendlich viel gewonnen: an Vertrauen, an Glaubwürdigkeit und an Schlagkraft“, so Schwerdtner, die nach Reichinnek spricht.

Jetzt stehe ihre Partei vor einer großen Aufgabe. „Unser Weg zu einer organisierenden Klassenpartei hat gerade erst begonnen“, sagt Schwerdtner. Dazu zähle, die Linke zu einer Partei weiterzuentwickeln, „die wie eine Art Universität für alle ist“. Sie solle eine Partei werden, in der „erfahrene Ge­nos­s:in­nen den Schatz ihres Wissens weitergeben können“ und „viele junge Menschen, die zu uns gekommen sind, eine Perspektive auf eine andere, eine solidarische Gesellschaft entwickeln“.

Seit dem Abgang von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang befindet sich die Linkspartei in einem Transformationsprozess. Noch Ende 2023 mit rund 50.000 Mitgliedern auf einem historischen Tiefstand, zählt sie inzwischen mehr als 112.000 Mitglieder. Sie ist jünger und weiblicher geworden. Zwar legte sie in allen Landesverbänden zu, besonders jedoch im Westen. So verfügt die Linke laut einer für den Parteitag erstellten Erhebung nun über etwa 69.000 Mitglieder in West- und gut 43.000 in Ostdeutschland. Aber wie fragil ist der gegenwärtige Aufschwung? Das ist die große Frage, die viele Delegierte wie auch Parteiführung umtreibt.

Schwerdtner plädiert für eine „neue Parteikultur“

Eine Lehre aus der vergangenen langen Krisenzeit ist, den klassischen linken Hang zur Selbstzerfleischung zu überwinden. Wenn sie von „revolutionärer Freundlichkeit“ spreche, meine sie das ernst, sagt Schwerdtner. Ihr sei es „wichtig, dass wir eine neue Parteikultur entwickeln“. Es gehe „nicht darum, keine Fehler zu machen oder nicht mehr zu streiten, es geht darum, eine Kultur zu entwickeln, die uns nicht mehr zerreißt“. Denn nur eine Partei, die untereinander solidarisch ist, könne glaubhaft vermitteln, für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen.

In der Praxis ist das nicht ganz so einfach. Zwar gibt es in Chemnitz keine hitzköpfigen oder gar verletzenden Diskussionsschlachten, wie so häufig auf früheren Parteitagen. Aber das hat seinen Preis. Denn erfolgreich hat sich die Parteiführung bereits im Vorfeld darum bemüht, unterschiedliche, auch sich widersprechende Vorstellungen mittels etlicher Kompromissformulierungen und einiger Wortakrobatik unter einen Hut zu bringen.

Beim mit großer Mehrheit beschlossenen Leitantrag funktioniert das ganz gut: Von 211 Änderungsanträge bleiben mit einigem diplomatischen Geschick nur ein paar wenige übrig. Aber hier gab es auch keinen grundsätzlichen Streit. Von denen bekommt nur ein einziger Änderungsantrag eine Mehrheit: Rausgestrichen aus dem Leitantrag wird nur die ambitionierte Zielstellung, innerhalb von vier Jahren auf 150.000 Mitglieder anwachsen zu wollen.

Das Problem, möglichst alles unter einen Hut bringen zu wollen, zeigt sich jedoch am Freitagabend, als auf der Tagesordnung ein Thema steht, das ursprünglich identitätsstiftend für die Linke war: die Friedenspolitik. Was bedeutet es angesichts einer komplizierter gewordenen Weltlage heute noch, sich als „Friedenspartei“ zu verstehen? Darüber gehen die Auffassungen weit auseinander. Trotzdem ist es dem Parteivorstand gelungen, aus vier divergierenden Anträgen einen einzigen mit dem Titel „Ohne Wenn und Aber: Sage Nein zu Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit!“ zu machen.

„Gerade jetzt braucht es eine klare und eindeutige Haltung“, heißt es darin. Doch genau daran fehlt es, weil es keine gemeinsame Einschätzung gibt, ob und welche Gefahr vom russischen Imperialismus ausgeht. Also wird sich darum herumgedrückt. Stattdessen heißt es nur: „Mit der Behauptung, Russland könne bald Nato-Territorium angreifen, werden bewusst Ängste geschürt.“

Es wird nicht einmal benannt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Auch die Forderung nach einem russischen Rückzug fehlt, stattdessen wird nur beklagt, dass die EU keinerlei diplomatische Initiativen ergriffen habe, „um den Krieg zu beenden und wieder zu einer eigenständigen Entspannungspolitik in Europa zu gelangen“.

„Also bitte Leute, kommt doch mal auf den Boden der Tatsachen“

Kritiklos passiert der Antrag den Parteitag nicht. Von „Realitätsverweigerung“ spricht die Wiesbadener Stadträtin Brigitte Forßbohm in der halbstündigen Diskussion über den Antrag. Sie finde „es schon ein ziemliches Kunststück, es fertigzubringen, sich für Frieden auszusprechen, und dabei den schlimmsten Krieg, der in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in der Ukraine stattfindet, so zu verharmlosen“. Russland setze auf einen militärischen Sieg über die Ukraine und demonstriere Desinteresse an diplomatischen Lösungen. „Also bitte Leute, kommt doch mal auf den Boden der Tatsachen“, fordert sie.

Er wisse, dass in dem Antrag „Sätze drinstehen, die nicht von dem ganzen Parteitag geteilt werden“, räumt Parteivorstandsmitglied Wulf Gallert ein. Doch bei aller Kritik werbe er für die Annahme, weil es wichtig sei, „eine ganz klare Alternative zur militaristischen Debatte in der Bundesrepublik“ zu formulieren. Mit einer breiten Mehrheit folgen ihm Delegierten, auch des lieben innerparteilichen Friedens Wille. Beendet ist die Diskussion damit jedoch nicht.

Am Samstagnachmittag wird es noch mal spannend. Die linksjugend.solid und der Studierendenverband Die Linke.SDS fordern den Rücktritt der linken Mi­nis­te­r:in­nen und Se­na­to­r:in­nen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, die im Bundesrat für das milliardenschwere Finanzpaket von Schwarz-Rot gestimmt haben. „Wer so abstimmt, zerstört die Geschlossenheit der Partei“, kritisiert ein Antragssteller. Parteichefin Ines Schwerdnter zeigt Verständnis für den Unmut, bittet aber darum, an Einzelnen kein Exempel zu statuieren. „Wir haben ein verbindliches Verfahren beschlossen, dass es nie wieder passieren kann, dass Landesregierungen anders abstimmen als wir im Bundestag“, sagt sie. Der Antrag wird nur knapp abgelehnt, mit 219 zu 192 Stimmen.

Heftige Diskussionen über Anträge zum Gaza-Krieg

Heftige Diskussionen hatte es hinter den Kulissen über mehrere Anträge zum Gaza-Krieg gegeben. Auch hier gelingt der Parteiführung, die internen Differenzen mit der Verständigung auf einen gemeinsamen Antrag zu überbrücken. Er trägt den Titel „Vertreibung und Hungersnot in Gaza stoppen“ und fordert, die militärische Unterstützung Israels sofort zu beenden. Parteichef Jan van Aken verkündet selbst am Mikrofon die Verständigung und wirbt um Zustimmung. Die jüngsten Beschlüsse des israelischen Sicherheitskabinetts liefen auf eine Vertreibung der Bevölkerung hinaus. Mit sehr großer Mehrheit wird der Antrag angenommen

Ein weiterer Antrag fordert, sich die Antisemitismus-Definition der „Jerusalemer Erklärung“ zu eigen zu machen, die 2020 von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und An­ti­se­mi­tis­mus­ex­pe­rt*in­nen erstellt wurde. Diesmal plädiert van Aken dafür, den Antrag abzulehnen. „Das ist eine wissenschaftliche Debatte“, die Partei solle ihr nicht vorgreifen. Doch das Argument verfängt nicht.

„Das ist keine akademische Frage, sondern eine konkrete Frage für viele, die davon betroffen sind“, kontert die Europa-Abgeordnete Özlem Alev Demirel. Denn mit dem Antisemitismus-Vorwurf würden Kri­ti­ke­r:in­nen der israelischen Regierung mundtot gemacht. Mit 213 zu 181 wird den Antrag angenommen. Eine Niederlage für die Parteispitze, die es aber mit Fassung trägt.

Bundesgeschäftsführer Jannis Ehling beendet den Tag versöhnlich und bedankt sich für die gute Atmosphäre auf dem Parteitag. Am Ende seiner Rede erklingt die „Internationale“. Alle Delegierten stehen auf und stimmen die alte Hymne der Arbeiterbewegung an. Etliche recken die Faust. Als die Musik nach der ersten Strophe endet, singen immer noch viele weiter bis zur dritten Strophe und der Sonne, die ohne Unterlass scheint. Es ist ein wenig wie nach einem Film, wenn der Abspann läuft. Damit ist der Parteitag beendet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

32 Kommentare

 / 
  • "Von „Realitätsverweigerung“ spricht die Wiesbadener Stadträtin Brigitte Forßbohm in der halbstündigen Diskussion über den Antrag."

    Linkspartei halt. Da hat sch nichts geändert.

  • Das alte Problem der LINKEn bleibt bestehen. Wer niemanden auf die Zehen treten möchtet findet am Ende keinen sicheren Stand.

  • Die LInke darf sich nicht in Lager spalten lassen, auch wenn es wichtig inhaltliche Themen sind, muss sie als Partei einheitlich bleiben. Sonst verschwindet sie in kurzer Zeit. Die Mitglieder, ja, sehr schön, aber die müssen stringent eingebunden werden, müssen konstruktiv mitarbeiten. Sonst bleiben sie eine Weile und gehen dann. Die LInke hat im Westen selten wirklich Milieus, meist nur in Städten wie Berlin, Hamburg, Köln, wo sich an einigen Punkten wirklich ein Milieu für die Partei bildet, oft genug gibt es kein Milieus, oft genug wären es Brennpunkt-Siedlungen, wo viele gar nicht wählen dürfen, einige schon aufgegeben haben, kurz: die Arbeit für die Linke ist nicht / ist nie leicht. Dafür könnte Merz ihr weiter Auftrieb geben, der passt fast zu gut in die programmatische Erzählung der Linken rein.

  • Auf der großen Bühne (lokalpolitik nicht einbezogen) haben der letzte und der neue Papst mehr für den Sozialismus und den Humanismus getan als die Linken in den letzten 15 Jahren.

    Traurig, bitter und bizarr aber leider wahr.

    Ich geh dann wohl mal zur Messe, Genossen ...

  • Es gäbe so viel zu tun gegen den Rechtsruck in der Republik - deshalb hat Reichinneks Rede so gezündet, deshalb hat sie einen Nerv getroffen. Die Etablierung des neuen Faschismus zu bekämpfen und auch den Neoliberalismus, das wäre die Aufgabe einer Linken. Stattdessen präsentiert man sich nur wenige Wochen nach dem legendären Deklassieren des BSW so, als wäre Wagenknecht samt ihrer gruseligen Entourage nie ausgetreten.

    Das Absurde ist, dass diese sich erneut formierende Melange aus Appeasement gegenüber putinschen Imperialismus und vor allem der Duldung von offenem Antisemitismus allen Ernstes für sich reklamiert, als antifaschistisch durchzugehen. Größtvorstellbarer Treppenwitz deutscher Geschichte nach 1945.

    Antifa kann von nun an nur noch bedeuten, diese Partei zu bekämpfen, die erfolgstrunken der Versuchung nicht widerstehen kann, im antisemitischen Sumpf nach Stimmen zu fischen. Sie ist, Andrej Holm hat das so schonungslos wie korrekt formuliert, spätestens mit diesem Parteitag und ihrer Absage an die IHRA zur Feindin von Emanzipation geworden. Und brandgefährlich. Links ist diese Partei nur noch dem Namen nach.

  • Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie der Bundestag aussähe, wenn die Linke da nicht mehr als Opposition vertreten wäre.

    Als einzige Hoffnungsträger in der rechts-konservativ-grün-liberalen Soße erfüllen sie schonmal eine wichtige Funktion.

    Es ist verständlich, dass manch eine*r sich wünscht, dass die Linke sich wie zu Wagenknechts Zeiten durch interne Machtkämpfe selbst schwächt.



    Vorausgesetzt dass es keine faulen Kompromisse sind - muss jede demokratische Partei auch intern kompromissfähig sein, wenn sie langfristig überleben und mitgestalten will.

  • Die Wiesbadener Stadträtin Frau Brigitte Forßbohm scheint einen klaren Sinn für die Realität zu haben und unterwirft sich nicht dem immer noch bei vielen Linken vorhandenen prorussischen Gedankengut. Zudem ist es wesentlich angenehmer ihr zuzuhören als Frau Reichinnek.

  • Die Linke ist einfach unwählbar.

    • @Marcelo:

      Fehlt nur noch der Vorwurf, die Linke arbeite durch ihr Agieren direkt der AfD zu.

      • @Grusel:

        Da braucht man gar keinen Vorwurf konstruieren. In ihrer kritiklosen Haltung und ihrem Anbiedern an PutinRussland unterscheidet sich die Linke keinen Millimeter von der AFD! Eine Chance verpasst im Hier und jetzt anzukommen - ein rückwärtsgewandter Parteitag!

  • »Es wird nicht einmal benannt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Auch die Forderung nach einem russischen Rückzug fehlt, stattdessen wird nur beklagt, dass die EU keinerlei diplomatische Initiativen ergriffen habe, „um den Krieg zu beenden und wieder zu einer eigenständigen Entspannungspolitik in Europa zu gelangen“.«

    Chance verspielt.

  • "Es wird nicht einmal benannt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Auch die Forderung nach einem russischen Rückzug fehlt, stattdessen wird nur beklagt, dass die EU keinerlei diplomatische Initiativen ergriffen habe..."



    Brigitte Forßbohm fasst es richtig zusammen: Realitätsverweigerung, und das auf ganzer Linie. Die Haltung der Linken zum Überfall Russlands auf die Ukraine ist an Zynismus nicht zu überbieten, mehr Wagenknecht geht ja fast nicht mehr. Gruselig!

  • Das war mir dann doch ein bisserl viel Harmoniesosse, wie sich dieser Linken-Parteitag in der Öffentlichkeit präsentiert hat.



    Eine neue Parteikultur - worin ich Ines Schwerdtner grundsätzlich zustimme und die ich auch für dringend geboten halte, allein um die vielen neuen, jungen Mitglieder zu halten (die sind nämlich ganz schnell wieder weg, wenn’s weiter so zugeht wie zu Sahras Zeiten) - ermächtigt einen Parteivorstand doch nicht, strittige Debatten vom Tisch zu wischen und offensichtliche Widersprüche per Leitantrag zuzukleistern.



    Dann wäre es auch keine neue Parteikultur, sondern dass, was Linken-Kritiker immer wieder betonen: SED-Nachfolgepartei.



    In Sachen Ukraine-Positionierung habe ich deutlich mehr erwartet … was heißt mehr, etwas anderes als das halbseidene Wischiwaschi, das die russische Aggression nicht einmal erwähnt.



    Und in Sachen Antisemitismus war die Performance besonders schlecht: man kann eine wissenschaftliche Arbeitsdefinition nicht per Beschluss zur Parteilinie erklären - ja, wo sind wir hier denn! Was für die IHRA-Definition absolut nicht geht - und wogegen ich hier in der Kommune immer angestunken habe - gilt in gleichem Maße natürlich für die JDA.

    • @Abdurchdiemitte:

      Entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht Recht.

      Was ist an der Abwendung von der IHRA hin zur JDA zu kritisieren? Ist es nicht ein Schritt weg vom Reaktionären und hin zum Progressiven? Damit wäre es denn linken Gedanken treu.

      Mit Wissenschaft hat es sich wahrlich wenig zutun! Damit wird Politik gemacht. Es ist politisch.

      (Wie auch in Artikel richtig beschrieben wird und es aus dem Disput zwischen Herrn Van Aken und Frau Demirel richtigerweise hervorgeht, ist die IHRA ein tool Kritiken und Aktion zu unterdrücken.)

      Von daher kann ich Ihre Empörung nicht so richtig nachvollziehen...

      • @Thomas Müller:

        Danke für Ihre Nachfrage, denn sie gibt mir Gelegenheit, meine Position in diesem Diskurs IHRA vs. JDA noch einmal darzulegen.



        Zwar muss ich einräumen, dass sowohl die IHRA-Antisemitismus-Definition als auch die „Jerusalemer Erklärung“ längst zum Spielball der politischen Auseinandersetzung geworden sind - wenn ich es recht verstanden habe, waren sie von ihren Verfassern dazu gedacht, als konkrete (didaktische) Handreichungen zu dienen, das Phänomen Antisemitismus zu erklären. Zudem wendet sich die JDA gegen den politisch-lobbyistische motivierten Versuch, jegliche Israelkritik als antisemitisch zu denunzieren - das zu tun war zwar nicht die ursprüngliche Absicht der IHRA, aber diese Stossrichtung ist in den Diskursen (sowie deren regierungsamtlichen politischen Umsetzung) hierzulande (und in den USA) leider deutlich zu erkennen.



        Dennoch: van Aken ist mit seinem zugegeben etwas lahmen Widerspruch recht zu geben, dass dieser Diskurs besser im Bereich des Wissenschaftlichen bleiben sollte - dass eine Mehrheit der Parteitagsdelegierten ihn zum Gegenstand ideologischer Auseindersetzung erhoben hat - eindeutig GEGEN die IHRA positioniert - macht die Sache keinen Deut besser.

        • @Abdurchdiemitte:

          Besten Dank für die schlüssige Erklärung!



          Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich mich dieser Perspektive selbst anschließe, empfinde sie jedoch als konsistente und konsequente Haltung.

      • @Thomas Müller:

        Ganz im Gegenteil. Die Hinwendung zur Jerusalemer Erklärung ist reaktionär, ermöglicht sie doch, sich dem sekundären und israelbezogenen Antisemtismus hinzugeben und mit dem Verweis auf eben diese Erklärung jedweden Antisemtismus weit von sich zu weisen. "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!" wird so ideologisch unterfüttert und es wächst zusammen, was zusammen gehört.

        • @BrendanB:

          Guten Morgen. Auch der "Antisemitismus-Vorwurf" ist aus spieltheoretischer Sicht nichts als ein Tool. Mit Wahrheit hat es meist (leider) wenig zutun - es gilt eher darum Wirkung zu entfalten und ungewünschte Positionen aus seinem Feld abzudrängen.

        • @BrendanB:

          Auch hier wieder: der Vorwurf der Hinwendung der Linkspartei zu israelbezogenem, sekundärem Antisemitismus per JDA ist erklärungsbedürftig.



          Im Zweifelsfall sind Sie es doch, der den Nachweis erbringen muss, was an einer (israel)kritischen Verurteilung des Krieges in Gaza antisemitisch sein soll - selbst die Auslassung der Rolle der Hamas in diesem Konflikt ist es nicht, so falsch und ärgerlich das auch sein mag.



          Und die Analyse der israelischen Besatzungspolitik im WJL als apartheid-ähnliche Struktur kann möglicherweise Ihren Widerspruch provozieren, antisemitisch ist sie damit jedoch per se nicht.

          • @Abdurchdiemitte:

            Warum (israel)kritische Verurteilung des Krieges in Gaza? Warum nicht (palästina-hamas) kritische Verurteilung des Krieges in Gaza?

            Es geht eben nicht nur um eine Verurteilung direkter Formulierungen wie "Die Juden sind unser Unglück." als antisemitisch.

            Es geht auch um Umschreibungen, Codierungen, das Setzen von Narrativen, falschen Kontextualisierungen, doppelte Maststäbe, Auslassungen - das ganze Arsenal antisemitischer Propaganda, dem mit der Jerusalemer Erklärung Tür und Tor geöffnet wird.

            • @BrendanB:

              Also, weder soll mit der JDA dem Antisemitismus Tür und Tor geöffnet werden, noch hatte die IHRA ursprünglich die Absicht, für einen McCarthyismus zu fungieren, der zur Jagd auf alles Israelkritische bläst.



              Da wollen wir die Kirche doch schön im Dorf lassen.



              Das Problem ist die (ideologische) Vereinnahmung solcher Erklärungen - die nichts weiter als Vorschläge/Thesen zum Erkennen und Verstehen des Phänomens Antisemitismus bieten können (die IHRA spricht nicht umsonst von einer ARBEITSDEFINITION) - als Glaubenssätze bzw. als Instrument der Denunziation politisch missliebiger Meinungen. Die Waffe des Antisemitismus-Vorwurfs ist da schon ein denkbar scharfes Schwert, das auch gut begründet sein will.



              Genau diese heraufziehende Gefahr wurde beispielsweise von den 100 jüdischen Intellektuellen und Künstlern beschrieben, die sich im letzten Jahr in einem offenen Brief gegen die Antisemitismus-Resolution des Bundestages gewandt haben.

  • 'Die Linke' ist zurück und das ist - in einem Deutschland wo die Rechten immer mehr zunehmen und jetzt sogar schon ein ehemaliger BlackRock-Lobbyist Kanzler geworden ist, der nur für Reiche Politik macht und die Armen im Dreck liegen lassen will - eine sehr gute Nachricht.

    *Auf dem Bundesparteitag der Partei 'Die Linke' 2025 in Chemnitz spricht Ines Schwerdtner über soziale Gerechtigkeit, Solidarität und eine klare Haltung gegenüber Ausgrenzung und rechter Hetze. In ihrer Rede betont sie, wie wichtig es ist, sich schützend vor Menschen zu stellen, die auf der Flucht sind oder Hilfe benötigen. Sie ruft zu einem solidarischen Miteinander auf – gegen Spaltung, Ausgrenzung und soziale Kälte.*

    ***Ines Schwerdtner - 'Die Linke'*** www.youtube.com/watch?v=_d0CKiuE6MM

  • „Doch nicht bei allen Themen herrscht untereinander eitel Sonnenschein.“ War das zu erwarten? Sollte das eigentlich so sein? Ansonsten: Party auf einem Parteitag… schnarch! Auf der Bühne vortanzen und große Umarmung, peinlicher als eine misslungene Prunksitzung in der 5. Jahreszeit . . .

  • Wenn da nicht dieser gruselige Antisemitismus wäre, wäre das alles einfach nur kitschig.

    Eine Klassenpartei wollen sie werden.



    Das ist ja mal ganz was neues. Und wie man weiß, ein historisch extrem erfolgreiches Modell.

    Und was will diese Klassenpartei?

    Natürlich den Kapitalismus abschaffen.



    Da wäre dann nur die Frage, Modell Trotzki, also weltweit oder, Modell Stalin, nur in einem Land?

    So viel Einfalt war schon lange nicht mehr.

    • @Jim Hawkins:

      Ich hab’s auch nicht verstanden, weshalb eine Mehrheit der Linken auf dem Parteitag die „Jerusalemer Erklärung“ zur offiziellen Parteilinie machen wollte. Wenn ich hier stets gegen die IHRA-Definition gewettert habe - konkret: gegen die Unmöglichkeit, eine Definition aus dem wissenschaftlichen Diskurs zum Bestandteil einer (sowieso schon umstrittenen und zweifelhaften) Staatsräson machen zu wollen -, gilt das natürlich für die JDA genau so.



      Selbstverständlich kann man den israelischen Krieg in Gaza verurteilen, ja sogar einen Genozid an der dortigen Bevölkerung unterstellen (das letzte Wort darüber spricht allerdings der IStGH) … antisemitisch ist eine solche Positionierung allerdings nur, wenn tatsächliche antisemitische Motive dahinterstehen. Antisemitismus einfach so unterzuschieben gilt also nicht!



      Glücklicherweise ist die Antisemitismusforschung mit ihren interdisziplinären Ansätzen heute sehr gut darin, solche antisemitischen Denkfiguren zu identifizieren, so dass Spekulationen und Denunziationen eigentlich ausgeschlossen werden oder eindeutig dem ideologisch-politischen Schlachtfeld zugewiesen werden können.

      • @Abdurchdiemitte:

        "antisemitisch ist eine solche Positionierung allerdings nur, wenn tatsächliche antisemitische Motive dahinterstehen."

        Ne, so einfach ist das nicht. Dann reicht es ja aus, gegen Juden zu hetzen und im selben Atemzug zu behaupten, man habe nichts gegen Juden, die Motivation sei eine ganz andere.

        Antisemtismus kann immer nur von außen als solcher benannt werden. Ob "untergeschoben" oder "zutreffend" liegt dann wieder im Auge des Betrachters.

        • @BrendanB:

          Hetze gegen Juden ist selbstredend klar antisemitisch motiviert - die Kritik an der Politik des Staates Israel ist es erst einmal nicht per se, sondern das antisemitische Motiv muss schon nachgewiesen werden. Zuweilen ist das der Fall - von mir übrigens nicht bestritten -, etwas krude wird der Verdacht allerdings, wenn selbst Juden, die sich kritisch mit Israel oder dem Zionismus auseinandersetzen, in letzter Konsequenz des Antisemitismus bezichtigt werden. Und z.B., wie Omri Boehm, von Gedenkveranstaltungen wieder ausgeladen werden, weil sie in dieser Hinsicht möglicherweise Unbequemes zu sagen haben.



          Ich habe in einem anderen Kommentar schon ausgeführt, dass es eigentlich nicht so schwierig sein kann, Antisemitismus von (von berechtigter, teils auch unberechtigter) „Israelkritik“ zu unterscheiden - wer das nicht kann oder will, dem unterstelle ich mal ideologische oder lobbyistische Motive.



          Ich halte mich da lieber an die interdisziplinäre Antisemitismus- und Vorurteilsforschung.

          • @Abdurchdiemitte:

            Omri Boehm wurde ausgeladen, weil er sich gegen Israel als jüdischen Staat ausspricht. Und eine Konsequenz aus der Judenverfolgung ist die Existenz dieses Staates - nie wieder von der Gnade der Nichtjuden abhängig sein.

            • @Kai Ayadi:

              Zwei Punkte dazu: 1. ein jüdischer Staat, der von der militärischen Unterstützung nicht-jüdischer westlicher Staaten abhängig ist - damit er nicht von seinen feindlich gesonnen arabischen Nachbarn verschlungen wird, so wird argumentiert -, was ist der wohl?



              2. mit etwa 20% nicht-jüdischen Staatsbürgern kann man Israel als „jüdischen“ Staat (im Sinne der zionistisch-revisionistischen Ideologie der Siedlernationalisten) bezeichnen? Nicht umsonst hat es seinerzeit (2018) in der Knesset nur eine knappe Mehrheit für das Nationalstaatsgesetz gegeben - die Kritikpunkte daran sind bekannt:



              www.swp-berlin.org...tionalstaatsgesetz



              Omri Boehms Idee von der „Republik Haifa“ mag zwar als utopisch erscheinen, den gesellschaftlichen Realitäten in der Region - und damit einer friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes - kommt sie gewiss näher als der zionistische Entwurf.



              Wollen Sie Boehms Vorstellungen etwa als anti-jüdisch diskreditieren? Zionismuskritisch ja, antizionistisch möglicherweise, aber keineswegs anti-jüdisch oder gar antisemitisch.

              • @Abdurchdiemitte:

                Habe ich anti-jüdisch geschrieben? Man muss sich einfach die Konsequenzen von Omri Boehms Entwurf vergegenwärtigen - er ist entweder eine unrealistische Utopie oder würde massiv neues Unrecht schaffen.



                Zu Ihren beiden Punkten:



                1. Ein imperialistischer Brückenkopf im Nahen Osten, oder was wollen Sie insinuieren? Viele arabische Nachbarn haben mittlerweile kein Problem mehr mit Israel. Die größte Bedrohung geht vom Iran und seinen Proxys aus sowie einer zunehmenden Delegitimation Israels in der westlichen Welt, wozu Omri Boehm seinen, wenn auch bescheidenen Teil beiträgt.



                2. Das Nationalitätsstaatsgesetz hat Nicht-Juden keineswegs zu "Staatsbürgern 2. Klasse" gemacht. Es geht und ging (auch den revisionistischen) Zionisten niemals um ein "araberfreies" Israel, sondern eine jüdische Bevölkerungsmehrheit. Das mag in Ländern, wo die "eigene Bevölkerung" eine stolze und breite Mehrheit hat, befremdlich sein. Viele jüdische Menschen haben andere Konsequenzen gezogen. Das Spannungsverhältnis zwischen kollektiv und individuell war auch den Zionisten bekannt und würde auch in einer "Republik Haifa" nicht einfach verschwinden.

            • @Kai Ayadi:

              Das Völkerrecht ist die Konsequenz, was gebrochen wird, um die Majorität und Herrschaft einer Gruppe über die anderen Menschen zu gewährleisten. Inzwischen versuchen die Siedler die Armenier aus ihrem Viertel zu vertreiben.

              • @Moritz Pierwoss:

                Zur Ergänzung, Sie meinen diese Vorgänge um das Armenierviertel in Jerusalem:



                qantara.de/artikel...res-erbes%E2%80%9C



                www.domradio.de/ar...tenen-pachtvertrag



                Die zweite verlinkte Quelle liest sich allerdings etwas anders als die erste: während der Quantara-Artikel vom armenischen Widerstand gegen die Übergriffe jüdischer Siedler berichtet, stellt der zweite Beitrag die dubiosen Spekulationsgeschäfte des armenischen Patriarchen mit einem australisch-jüdischen Investor in den Mittelpunkt, also Ausverkauf der armenischen Interessen durch die eigene Kirchenleitung.



                Verschiedene Lesarten ein und desselben Konflikts sollten einen schon stutzig machen - die israelische Realität ist halt komplexer als hierzulande oft angenommen.



                Aber im Grundsatz stimme ich Ihnen zu: sollte sich die israelische Rechte mit ihren Vorstellungen von Eretz Israel weiter durchsetzen, werden sie langfristig mit der Vertreibung der Palästinenser aus Gaza und dem WJL nicht aufhören - ihnen geht es perspektivisch um die Durchsetzung eines ethnisch reinen Gross-Israels.