Linken-OB René Wilke über seine Partei: „Mangelnde Kompromissbereitschaft“
René Wilke ist Linken-Politiker und OB von Frankfurt (Oder). Soll man mit seiner Partei nach der Bundestagswahl regieren? Er rät den anderen davon ab.
taz: Herr Wilke, Sie sind Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), haben das Amt als Politiker der Linkspartei gewinnen können. Befinden Sie sich jetzt auch im Wahlkampf?
René Wilke: Nein, gar nicht.
Spielt der Bundestagswahlkampf für Sie keine Rolle?
Doch schon. Aber nicht als Wahlkampf. Vor einigen Tagen hatte ich zum Beispiel Gespräche mit drei Bundestagskandidaten, die jeweils auf mich zugekommen waren, um sich über kommunalpolitische Perspektiven bei mir zu informieren.
Das ist insofern irritierend, als Olaf Scholz zu seiner Zeit als Bürgermeister von Hamburg sehr wohl für seine Partei in Bundestagswahlkämpfen unterwegs war.
Was soll ich dazu sagen? Ich könnte sagen, dass die Fülle der Aufgaben in meinem Amt mir keine Zeit lässt und ich andere Prioritäten habe. Das ist so. Aber wahr ist auch, dass ich als Oberbürgermeister von Frankfurt die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten habe. Auch deshalb mache ich keinen Bundestagswahlkampf für eine Partei – das würde in meiner Stadt Wunden erzeugen.
Sie sind Mitglied der Linken, verstehen sich jedoch nicht als kämpfender Teil Ihrer Partei?
Mir geht es nicht um die Mitgliedschaft an sich, sondern um das Wertegefüge, das mich zu ihr geführt hat. Das leitet mich noch immer. Aber das taktische Parteiinteresse kann für mich keine Rolle spielen.
Sind Sie mit Ihrer Bundespartei im Wahlkampf zufrieden?
Nein. Es fällt mir schwer, mich mit dem Bundestagswahlkampf und so manchen Debatten zu identifizieren.
Aber mit Ihrem Landesverband oder etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow – mit ihnen sind Sie einverstanden?
Ja. Da ist meine Identifikation deutlich größer. Übrigens auch mit meinem Kreisverband und einzelnen Akteuren auf Bundesebene. Susanne Hennig-Wellsow beispielsweise.
ist Linken-Politiker und seit 2018 Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Zuvor saß er als Abgeordneter im brandenburgischen Landtag.
Woher rührt denn Ihre Unzufriedenheit?
Als jemand, der politisch sehr praktisch an Veränderung orientiert ist, fällt mir insbesondere das politische Gerede auf, das mir nicht geeignet scheint, im Alltagspraktischen konkret etwas für unsere Wähler und Wählerinnen zum Besseren zu ändern. Vom Spielfeldrand zu kommentieren und von sich selbst zu glauben, man könnte alles besser, finde ich nicht sonderlich erstrebenswert. Konkrete Gestaltungsverantwortung sollten wir übernehmen wollen. Und den Beweis antreten, dass es besser geht.
Aber das Sofortprogramm Ihrer Partei, ist das nichts?
Ja, schon. Ein kluger Schachzug. Aber insgesamt wirkt es doch sehr aus der Not geboren, diesbezüglich etwas vorzeigen zu müssen. Da steckt ja keine kontinuierlich erarbeitete, langfristige Überlegung drin. Und das merken die Menschen doch.
Was sehen Sie in Ihrer Partei, die an einer Regierung teilhaben möchte?
Ganz ehrlich? Ich könnte es keiner anderen Partei empfehlen, mit meiner Partei nach der Bundestagswahl zu koalieren. Es gibt viel zu viele innere Gräben in der Partei – man ist sich für die konkrete Verantwortungsübernahme viel zu uneins – selbst in der einfacheren Rolle als Opposition. Das ist keine gute Basis für notwendige Verlässlichkeit.
Welche wäre denn eine?
Und da sind wir beim eigentlichen Punkt. Und der ist eine demokratische Haltungsfrage: Ich sehe mangelnde Kompromissbereitschaft. In einer Demokratie hat man natürlich eine politische Position. Aber man muss sich immer klarmachen, dass die eigene Sicht nur eine von vielen ist. Die andere Seite könnte auch recht haben.
Wirklich?
Man darf sich nicht so überhöhen. Niemand hat allein die Weisheit mit Löffeln gefressen. Man muss immer den Mut haben, die eigene Position in den kritischen, insbesondere auch selbstkritischen Diskurs zu geben. Bei uns gibt es noch viele, die sich im Besitz der reinen Lehre wähnen. Und das ist auch ein gesellschaftliches Problem. Es gibt ein zunehmendes Schwarz-Weiß-Denken. Wer eine andere Auffassung hat, ist heute sehr schnell ein Gegner oder Feind anstatt jemand mit einer anderen Auffassung, der ich womöglich sogar mit Neugierde begegnen könnte.
Hätten Sie im Bundestag der Entscheidung für ein Bundeswehrmandat in Afghanistan zugestimmt – aus humanitären Gründen? Die meisten aus Ihrer Fraktion enthielten sich, manche stimmten zu, andere stimmten mit Nein.
Ich hätte dem Mandat zugestimmt. Hinweise auf schlechte Beschlüsse zu Afghanistan in der Vergangenheit sind für mich als wesentliche Begründung gegen einen humanitären Einsatz nicht überzeugend gewesen.
Hadern Sie generell mit dem außenpolitischen Kurs Ihrer Partei, auch den von manchen ausgebrachten Sympathiebekundungen für Wladimir Putin oder den venezolanischen Staatschef Nicolás Maduro?
Ja, dieses Feld steht konträr zu den Werten, die mir wichtig sind. Friedliche Politik, Demokratie und Menschenrechte sollten nicht unterschiedlichen Maßstäben unterliegen. Das erscheint mir weder konsistent noch glaubwürdig.
Sie haben vor einigen Jahren für eine Wiedervereinigung von SPD und Linkspartei plädiert. Tun Sie das immer noch?
Perspektivisch: Ja. Denn worin liegen die Entwicklungsoptionen? Meine Partei kann entweder an Gestaltungswillen gewinnen und kompromissfähig werden. Oder sie tut das nicht und führt ein Dasein am Rande der Marginalisierung.
Die SPD kann entweder zurück zu modernen, sozialdemokratischen Werten mit Anschlussfähigkeit in die Mitte finden oder mit der CDU um die größere politische Beliebigkeit konkurrieren. Das ist meine Denkweise. Auch nur eine von vielen.
Aber diesem Gedanken folgend wären zwei Parteien, die für soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Werte des solidarischen Miteinanders einstehen, dann eher abwegig. Von einer stärkeren Partei hätten die Menschen mehr.
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