Linke über Medizinforschungsgesetz: „Wer hat da was genau versprochen?“
Der Bundestag beschließt ein Gesetz für mehr Pharmaforschung. Es sei auf einen US-Konzern geradezu zugeschnitten, sagt die Linkenpolitikerin Kathrin Vogler.
taz: Frau Vogler, das Medizinforschungsgesetz wird in diesen Stunden im Bundestag beschlossen und soll die Pharma-Forschung in Deutschland erleichtern. Warum ist es bei Kritiker*innen als „Lex Lilly“, also Lilly-Gesetz, verschrien?
Kathrin Vogler: Dieses Gesetz hat einen Abschnitt, der offenbar ganz speziell auf die Bedürfnisse des Pharmagiganten Eli Lilly zugeschnitten worden ist. Die Vermutung liegt nahe, dass sie den als Belohnung dafür bekommen haben, dass sie in Rheinland-Pfalz ein neues Werk errichten.
sitzt seit Herbst 2009 für die Linkspartei im Deutschen Bundestag.
Worum genau geht es?
Bisher sind die Erstattungspreise, die die Unternehmen für neue patentgeschützte Medikamente mit den gesetzlichen Krankenversicherungen aushandeln, öffentlich zugänglich. Das neue Gesetz gibt Unternehmen die Möglichkeit, diese Preise geheim zu halten.
Und was hat das Unternehmen Eli Lilly davon?
Eli Lilly ist ein Pharmariese aus den USA mit einem besonderen Schwerpunkt in der Herstellung von Medikamenten für Diabetes. Hier in Deutschland vertreibt Eli Lilly auch die sogenannte Abnehmspritze gegen Fettleibigkeit, die von den Krankenkassen nicht bezahlt wird. Nun will Eli Lilly den gleichen Wirkstoff mit einem neuen Medikament gegen Diabetes in Deutschland auf den Markt bringen. Das würde dann von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt – und das vermutlich zu einem deutlich günstigeren Preis. Und natürlich will Eli Lilly vermeiden, dass diejenigen, die diese sehr teure Abnehmspritze privat bezahlen müssen, den genauen Preis für das Diabetesmedikament kennen.
Wie kommen Sie darauf, dass Eli Lilly größeren Einfluss auf die Gesetzgebung genommen hätte?
Im April war Spatenstich für das neue Lilly-Werk in Alzey und da hat Bundeskanzler Olaf Scholz wörtlich gesagt: „Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun. Ich erinnere mich an unser Telefonat, lieber Dave Ricks (Geschäftsführer von Eli Lilly, Anm. d. Redaktion), und daran, wie viele Gespräche Sie auch mit dem Wirtschafts- und dem Gesundheitsminister und mit der Wissenschaftsministerin geführt haben, um die Weichen für diese Investition zu stellen.“
Da wird man als Oppositionspolitikerin natürlich hellhörig, und fragt sich, wer hat da diesem Unternehmen was genau versprochen dafür, damit sie diese Investition tätigen? Wir haben uns jetzt von der Bundesregierung berichten lassen, wer mit Unternehmensvertretern von Eli Lilly im Vorfeld des Medizinforschungsgesetzes genau über diesen Punkt gesprochen haben.
Und?
Da zeigt sich ein sehr deutliches Bild. Bis November 2023 gab es laut Bundesregierung sechs Termine. Seitdem noch einmal sieben Termine, bei fast allen ging es um die Geheimpreise. Die Gespräche waren offensichtlich Chefsache: Das Bundeskanzleramt war immer beteiligt, daneben auch Wirtschaftsminister Robert Habeck und Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger. So versteht man auch den Sinneswandel von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Der da wäre?
Noch 2016 hat Lauterbach gesagt, eine solche Intransparenz wäre eine große Gefahr für die Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung. Offensichtlich haben Gespräche auf allerhöchster Ebene dazu geführt, dass er sich wider besseres Wissen nicht dagegen wehren konnte, in seinem Gesetzentwurf diese Geschichte durchzusetzen.
Wie üblich sind solche Vorgänge in der gesundheitspolitischen Gesetzgebung?
Die Regierung beruft sich darauf, dass es ein üblicher Vorgang ist, dass sich Vertreter*innen der Bundesregierung mit Vertreter*innen von Unternehmen und Unternehmensverbänden austauschen. Das ist tatsächlich so, und das würde ich auch gar nicht kritisieren, weil man natürlich immer gucken muss: Wie geht es den Unternehmen und mit welchen Problemen sind sie konfrontiert. Aber was hier im Vorfeld mit Lilly gemacht wurde, das ist schon ein sehr beachtlicher Aufwand an Terminen und Gesprächen.
Die Bundesregierung hat auch angegeben, dass sie gar nicht alle Telefonate und Gespräche und E-Mail-Wechsel zentral erfasst hat. Sodass wir wahrscheinlich nur das zu sehen kriegen, was die Bundesregierung nicht geheim halten darf: die Gespräche der höchsten Ebene, aber nicht die Einflussnahme auf die Ebenen darunter.
Dass Sie als Linke hier kritisch sind, verwundert nicht. Gibt es noch andere kritische Stimmen?
Es sind fast alle Akteure im Gesundheitswesen dagegen: die gesetzlichen Krankenversicherungen, die einen enormen Anstieg der Arzneimittelpreise befürchten. Die privaten Krankenversicherungen, die ebenfalls befürchten, dass die Listenpreise für die Arzneimittel, die sie bezahlen müssen, nach oben gehen und für die die Umsetzung ein bürokratischer Albtraum ist.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, die Apotheken und Krankenhäuser sind dagegen. Der Großhandel fürchtet eine Riesenbürokratie und zusätzliche Kosten. Selbst die großen Pharmaverbände haben das überhaupt nicht mehr auf ihrem Forderungszettel gehabt, weil die Regelung nur einzelnen Unternehmen nützt.
Die Bundesregierung selbst argumentiert, dass durch diese vertraulichen Preisabsprachen niedrigere Preise möglich wären. Es gibt jetzt auch einen verbindlichen Preisabschlag von 9 Prozent, wenn Pharmafirmen die Möglichkeit geheimer Erstattungsbeträge nutzen.
Dass die Geheimhaltung der Preise für Unternehmen ein Anreiz sein könnte, bei den Preisverhandlungen nochmal deutlich runterzugehen, das halte ich wirklich für ein Gerücht. Denn ein Rabatt auf einen Mondpreis ist immer noch ein Mondpreis. Natürlich werden die gesetzlichen Rabatte, die in letzter Minute Einzug ins Gesetz gefunden haben, von den Unternehmen zuvor eingepreist.
Die Bundesregierung beruft sich auch darauf, dass solche vertraulichen Preisregelungen in Europa gang und gäbe seien.
Dazu muss man aber wissen, dass sich viele Gesundheitssysteme in Europa bei ihren Preisverhandlungen daran orientieren, was die deutschen Krankenkassen für Medikamente bezahlen. Das heißt, gleichzeitig ist diese Geheimhaltung zum Schutz des Pharmastandorts Deutschland ein Instrument, das wahrscheinlich Medikamente in den ärmeren EU-Ländern eher teurer macht, als sie jetzt eh schon sind. Das ist insgesamt auch eine zutiefst antieuropäische Regelung.
Offensichtlich war die Kritik insofern wirksam, als dass die Möglichkeit der vertraulichen Preisvereinbarungen nun noch rasch auf vier Jahre begrenzt wurde.
Bei solchen Befristungen hat man immer das Folgeproblem, dass die Unternehmen, die diese Regelung nutzen wollen, besonders schnell und aggressiv ihre neuen Medikamente in den Markt bringen, um innerhalb der Frist möglichst viel Marktdurchdringung zu erreichen. Wenn erst einmal eine Million Patient*innen auf ein neues Diabetes-Medikament eingestellt ist, dann kriegen Sie das nicht mehr zurückgedreht.
Was halten Sie denn ganz grundsätzlich vom Medizinforschungsgesetz?
Es ist auch schönes dabei, das muss ich sagen. Dass es jetzt neue Regeln für Studien für Kindermedikamente gibt, war zum Beispiel überfällig. Es gibt viel zu wenig Arzneimittel für Kinder, die neu entwickelt werden. Aber insgesamt sticht für uns heraus, dass hier Wirtschaftsförderung auf Kosten der gesetzlich Versicherten betrieben wird. Das ist wirklich ein Novum und überschattet dieses Gesetz.
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