Medikamente zum Abnehmen: Der Hype um die Spritze

Das Diabetesmedikament Ozempic gilt als Wundermittel zum Abnehmen. Wenn es sich durchsetzt, gewinnt vor allem das Unternehmen dahinter.

Werbetafeln in der New Yorker Subway, auf denen Menschen sich die Abnehmspritze setzen

Werbung für die schnelle Spritze zum Abnehmen in New York Foto: Foto: RO

BERLIN taz | Stellen Sie sich vor, es gäbe ein Medikament, mit dem Dicksein einfach weggespritzt werden könnte. Auf einmal wären alle schlank. Diskriminierung dicker Menschen und anstrengende Diäten wären abgeschafft. Alle würden essen, worauf sie Lust haben, Sport würde nur noch aus Spaß an der Freude betrieben. Wer in so einer Welt noch dick wäre, hätte sich selbst dazu entschieden und müsste eben mit den Konsequenzen leben.

Seitdem die Abnehmspritzen Ozempic und Wegovy in den vergangenen Jahren enorme mediale Aufmerksamkeit bekommen haben und vor allem unter US-amerikanischen Promis immer beliebter geworden sind, stellt sich manch eine_r so die Zukunft vor. Als gehörten dicke Menschen zu den großen Gewinner_innen der Spritzen – dabei sind Gewinn und Verlust ganz anders verteilt.

Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

Eigentlich handelt es sich bei Ozempic und Wegovy um Diabetesmedikamente. Sie haben jedoch eine Nebenwirkung, die sich für den dänischen Hersteller Novo Nordisk als Sechser im Lotto herausstellte: Sie drosseln das Hungergefühl und werden nun als Abnehmspritzen gehandelt. In der Berichterstattung wird der Stoff als „Game Changer“ bezeichnet. Auf Tiktok häufen sich Erfahrungsberichte. Diabetespatient_innen dagegen beklagen Lieferengpässe. Der Hype ist längst nicht mehr aufzuhalten.

Er sieht kritisch auf die Entwicklung

Oliver Mann leitet das Adipositaszentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Sogenannte Abnehmspritzen werden auch dort immer gefragter. Er steht der Entwicklung kritisch gegenüber: „Die Bezeichnung ‚Game Changer‘ ist zu diesem Zeitpunkt noch absoluter Quatsch.“ Zwar hat die medikamentöse Adipositastherapie eine lange Geschichte und war, bis Ozempic auftauchte, erfolglos. Nur ein Bruchteil der Patient_innen jedoch komme für die Behandlung infrage.

„Wir haben häufig Patienten, die 250 Kilo wiegen. Bei einem so hohen Gewicht können wir schon von vornherein sagen, dass die Spritzen nichts bringen.“ Denn die Macht des Medikaments sei beschränkt. Abgenommen werden könnten damit höchstens 20 Kilo, so Mann, weshalb es sich nicht für stark übergewichtige Menschen eigne. Andere litten unter schweren Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

Zudem müsse man sich bewusst machen, dass das Medikament nach aktuellem Stand nicht absetzbar sei. Denn dann könne es wieder zur Gewichtszunahme kommen. Auch Langzeitdaten gibt es noch keine. „Man sieht, dass die ersten Prominenten, die den Boom mit ausgelöst haben, schon wieder zunehmen“, sagt Mann.

Das wertvollste Unternehmen Europas

Novo Nordisk ist währenddessen zum wertvollsten Unternehmen Europas gewachsen. Im weltweiten Ranking liegt der Pharmakonzern auf Platz 14. Mann merkt das in seinen Sprechstunden. „Völlig ungeeignete Menschen fragen das Medikament an, um ein paar Kilo zu verlieren“, sagt er. „Wir behandeln aber nicht das Gewicht an sich, wir behandeln die begleitenden Nebenerkrankungen, die todbringend und auf Dauer lebensverkürzend sind.“

Außerdem seien es oft arme Menschen, die an Adipositas erkrankten. Aber das Bild von Ozempic oder Wegovy als schnelle Abnehmlösung ignoriert, dass die Ursachen dafür nicht mit Spritzen lösbar sind. Denn abgesehen von den medizinischen Probleme, die mit den Medikamenten einhergehen, gibt es auch gesellschaftliche.

Arme Menschen werden medizinisch schlechter versorgt, können sich gesundes Essen seltener leisten und haben aufgrund von mehreren Jobs oft weniger Zeit, dieses zuzubereiten. Auch Schichtarbeit, die schlecht für den Stoffwechsel ist, verrichten eher ärmere Menschen. All das kann zu Übergewicht führen.

Diskriminierung von Dicken

Übergewichtige Menschen seien in vielen Lebensbereichen stark benachteiligt, sagt die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner. Körperliche Schmerzen etwa würden oft nicht ernst genommen. „Einer dicken Person kann es passieren, mit starken Bauchschmerzen und dem ärztlichen Rat, 20 Kilo abzunehmen, nach Hause geschickt zu werden – obwohl sie eigentlich an einer Blinddarmentzündung erkrankt ist.“

Auch auf dem Arbeitsmarkt werden dicke Menschen diskriminiert, seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und bekommen zudem ein niedrigeres Gehalt. All diese Nachteile können wiederum in Armut resultieren.

Und diesem Kreislauf sollen nun die Spritzen ein Ende setzen? Das wird kaum funktionieren. Denn Wegovy, das ausschließlich für die Behandlung von Adipositas zugelassen ist, kostet im Monat etwa 300 Euro. Zudem verberge sich ein strukturelles Problem hinter dem Hype, sagt Lechner: Der sei nur ein weiteres Symptom dafür, dass die Gesellschaft zutiefst dickenfeindlich sei.

Lechner fordert, dass die mediale Verbreitung und Werbung, zum Beispiel durch Influencer_innen, eingedämmt werden müsse. Zudem brauche es ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund von Körpergewicht verbietet. „Man kann strukturelle Dickenfeindlichkeit nicht wegspritzen.“

Gesellschaftliche Ideale

Lechner hält die Abnehmspritzen für einen Trend. Trends suggerieren, dass es ein neues, anstrebenswertes Ideal gibt. In den frühen 2000ern waren das noch recht magere Körper: Kate Moss prägte den heroin chic, ein großer Hintern war eine Beleidigung, und die Cover der Boulevard-Presse bildeten die Speckröllchen von Stars ab. Später dann, noch bis vor einem Jahr ungefähr, waren Kurven gefragt. Besonders Operationen wie die durch die Kardashians bekannt gewordenen Brazilian Butt Lifts wurden populär.

Jetzt schwingt das Pendel erneut in die andere Richtung. Buccal Fat Removals – die Entfernung des Fetts aus den Wangen – liegen heute im Trend. Passend dazu die Abnehmspritzen. Das müsse innerhalb der kapitalistischen Logik so sein, sagt Lechner. Sonst gäbe es schließlich nichts zu verkaufen. „Dieselben Schönheitschirurg_innen, die Hintern und Brüste vergrößert haben, verkleinern sie jetzt.“ Nicht nur Dienstleistungen wie OPs, auch diverse Produkte finden so wieder Platz auf dem Markt.

Novo Nordisk profitiert von diesen Trends und betreibt zudem Werbung. Obwohl hierzulande direkte Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente verboten ist, schaltet das Unternehmen beispielsweise auf Instagram Anzeigen, die allgemeine Informationen zu Übergewicht enthalten. Zudem wird vermutet, dass der Pharmakonzern Einfluss auf die Ärzt_innenschaft nimmt. An die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) hat Novo Nordisk im vergangenen Jahr 145.000 Euro gespendet.

Dessen Leiter Jens Aberle hat sich in den Medien fast ausschließlich positiv über Abnehmspritzen geäußert und in der Bild-Zeitung einen Gastbeitrag darüber geschrieben. Oliver Mann, der ebenfalls DAG-Mitglied und außerdem Aberles Kollege am UKE ist, fordert: „Solche Spenden müssen unbedingt unabhängig überprüft werden.“ Andererseits ginge ohne Geld in der Medizin, wo wenig investiert und Forschung teuer ist, nun mal nichts. Trotzdem warnt er: „Immer wenn Geld im Spiel ist, gibt es Interessen. Und diese Interessen stimmen nicht immer mit denen des Patienten überein.“

Werbung verbieten?

Sollte es irgendwann Studien mit Langzeitdaten geben, die belegen, dass Ozempic oder Wegovy auch gegen gefährliche Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Arthrose oder Herzinfarkte dauerhaft wirken, würden die Medikamente wohl von der Krankenkasse gedeckt, antizipiert Mann.

„Dann würden neben der langfristigen Kontrolle der Nebenerkrankungen auch die damit einhergehenden immer weiter steigenden Behandlungskosten ‚behandelt‘.“ Bis dahin fordert auch er, jegliche Art von Werbung für die Spritzen zu verbieten und diese mit Vorsicht zu verschreiben. „Gerade werden sie verschrieben wie Kaugummi. Und deshalb entstehen Lieferengpässe.“

Verlierer dieses Booms sind nicht nur Diabetespatient_innen, die auf das Medikament angewiesen sind, sondern auch dicke Menschen. Gibt es nicht genügend Aufklärung, um die Spritzen kritisch zu betrachten, könnten Übergewichtige künftig noch mehr unter Stigmatisierung leiden.

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