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Letzter Balkan-Besuch der KanzlerinWehmütiger Abschied ins Ungewisse

Die Perspektive des Westbalkans und die Ambitionen auf die EU drohen nach der Ära Merkel aus dem Blick zu geraten.

Hier noch in Belgrad: Angela Merkel auf dem Balkan Foto: Oliver Bunic/afp

Sarajevo taz | Mit gemischten Gefühlen schauen viele Menschen auf dem Balkan auf das Ende der Ära Angela Merkel. Denn die Bundeskanzlerin wurde in diesen letzten Jahrzehnten so etwas wie ein Anker für doch noch etwas Stabilität und Hoffnung angesehen. Was ohne sie wird, ist unklar, und damit wächst Unsicherheit vor allem bei jenen, die unter dem Krieg vor 30 Jahren am meisten gelitten haben.

Die Stimmung in der Bevölkerung bei ihrem aktuellen Besuch spiegelt sich in dem von den Medien vieler Länder gezeichneten Bild, das bei aller Kritik auch von Respekt und Sympathie geprägt ist. Ihr positiver Ruf hängt damit zusammen, dass Merkel die Perspektive der Integration des Westbalkan in die EU nie aufgegeben hat, auch wenn es ihr nicht gelang, in diesem Punkt einen Durchbruch zu schaffen.

Das feierliche Versprechen der Europäischen Union in Thessaloniki 2003, die Staaten des Westbalkans sollten kein weißer Fleck auf der Landkarte Europas bleiben, sondern könnten nach einem Demokratisierungsprozess und dem Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen in die EU integriert werden, wurde nicht zuletzt von konservativen Strömungen in ganz Europa und einigen Mitgliedstaaten der EU selbst blockiert.

Die Bevölkerungen des Balkans haben durchaus registriert, dass Merkel und die deutsche Politik immerhin versuchten, an dem alten Plan festzuhalten. In Erinnerung bleibt, dass es Merkel war, die 2010 die serbische Führung dazu zwang, einen Verhandlungsprozess mit dem 2007 für unabhängig erklärten Kosovo zu beginnen. Aber auch, dass der deutsche Einfluss nicht ausgereicht hat, in der EU eine gemeinsame Position zum Kosovo zu entwickeln: Nach wie vor erkennen die EU-Mitglieder Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien das Land diplomatisch nicht an und verhindern sogar die Visafreiheit für die Bevölkerung des Kosovo.

Fortschritte in Richtung EU

Positiv wird in Erinnerung bleiben, dass Merkel und andere westliche Länder die demokratische Opposition in Mazedonien (heute Nordmazedonien) unterstützt haben. Unter dem Sozialdemokraten Zoran Zaev gelang es, das Land zu reformieren und alle Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU zu erfüllen. Auch in Albanien wurden große Fortschritte in Richtung Beitrittsverhandlungen gemacht. Merkel unterstützte deren Position in Brüssel, scheiterte jedoch bisher am Widerstand Frankreichs und anderen EU-Mitgliedstaaten.

Merkel hat wie alle westlichen Po­li­ti­ke­r:in­nen die Kraft des Nationalismus unterschätzt

In Erinnerung bleiben wird auch, dass Merkel mit ihrem Nein zur Politik von US-Präsident Trump, der einen Gebietsaustausch zwischen Kosovo und Serbien vorgeschlagen hatte, 2019 die Unverletzlichkeit der Grenzen auf dem Balkan festgeschrieben hat. Diese Position hat sich in der EU durchgesetzt. Nicht zuletzt profitiert Bosnien und Herzegowina davon, denn die serbischen Nationalisten wollen den serbisch kontrollierten Landesteil Bosnien und Herzegowinas mit Serbien vereinigen.

Mit dem „Berliner Prozess“ von 2014 versuchte sie, Weichen für die Etablierung eines gemeinsamen Marktes der Westbalkanländer zu stellen. Doch die Erfolge dieser Politik sind bisher bescheiden. Bei dem am Dienstag erfolgten Besuch in Albanien traf die Bundeskanzlerin mit den Repräsentanten aller sechs Westbalkanstaaten zusammen, wobei dieses Thema sicherlich im Zentrum des Gesprächs gestanden ist.

Unterschätzter Nationalstolz

Merkel hat wie alle westlichen Po­li­ti­ke­r:in­nen über all die Jahre aber die Kraft des Nationalismus in der Region unterschätzt. Gleichzeitig wurde von westlicher Seite die Lage der Bürgerbewegungen, der demokratischen Oppositionen und Widerstandsbewegungen als wenig relevant abgetan. Auch Merkel hat nicht energisch genug auf Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, auf die Verhaftung von Journalisten, auf die Unterdrückung oppositioneller Netzwerke, sexueller oder nationaler Minderheiten in Serbien und der gesamten Region reagiert.

Viele Jahre hat der Westen geschlafen. Als Putins Russland begann, Serbien massiv – nicht nur politisch, sondern auch militärisch – zu unterstützen, gab es kaum Aufmerksamkeit. Russische Geheimdienste waren verwickelt in antiwestlichen Putschen in Mazedonien und Montenegro, sind aktiv in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska. Antiwestliche und rechtsradikale Strömungen werden sogar aus der EU, nämlich aus Ungarn, unterstützt. Die Türkei und China versuchen angesichts des politischen Vakuums ihre Positionen auf dem Balkan zu festigen.

Dass Nationalisten, nicht nur in Serbien, langfristig ihre Ziele verfolgen, ist westlichen Gesprächspartnern oftmals entgangen. Wie in einem Brennglas ist dies vor allem in Bosnien und Herzegowina sichtbar. Die Verleugnung von Kriegsverbrechen, die Propagierung von Geschichtslügen, die aus Tätern Helden und aus Opfern Täter machen, wird von vielen westlichen Diplomaten und Politikern hingenommen. Die Unkenntnis der Geschichte, das kurze Gedächtnis gegenüber den Verbrechen zu Kriegszeiten, die Naivität und Gutgläubigkeit werden von nationalistischen Politikern gnadenlos ausgenützt, um mit Hilfe Serbiens und Kroatiens das Land territorial aufzuteilen.

Es bleiben also gemischte Gefühle. Was wird also ohne die Kanzlerin werden, ist die bange Frage. Und das nicht nur in Sarajevo. Immerhin hat Merkel mit Christian Schmidt einen deutschen Politiker zum Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina gemacht. Er ist angetreten, um mit Unterstützung Deutschlands, der USA, Großbritanniens, auch Frankreichs, Bosnien funktionsfähig zu machen. Wird er aber den Nationalisten wenn nötig hart entgegentreten? Welche Politik wird Berlin zukünftig verfolgen? Wie zuverlässig ist auch Joe Biden nach Afghanistan, einen Kurs, der auch Konflikte in sich birgt, zu unterstützen?

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2 Kommentare

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  • Der, etwas aus dem Fokus geratene Balkan, wird noch zum Gradmesser für die europäische Politik. Wenn es der EU hier nicht gelingt, den (vielbeschworenen) "westlichen Werten", auch ohne die USA, Geltung zu verschaffen, dann sollte man diesen Punkt (Menschenrechte) gänzlich von der außenpolitischen Agenda nehmen. Denn dann schafft man es auch nirgendwo anders.

    Ich wäre dafür ersteinmal innerhalb der EU für klare Verhältnisse zu sorgen. Die EU ist doch spätestens seit der Osterweiterung nicht handlungsfähig da überdehnt.

  • Nur Herr Rathfelder war schon vor ihr da, und bleibt zum Glück auch länger.