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Letzte Züge der Groko-VerhandlungenSchmerz und Unruhe

Irgendwann am Dienstag wollen sich die künftigen Koalitionäre einigen. Doch noch knirscht es bei einigen Punkten.

Wohin schreitet rot-schwarz nun genau? Foto: dpa

Berlin taz | Es ist ein knallsonniger kalter Tag in Berlin, die Großkoalitionäre in spe treffen sich in der CDU-Zentrale. Noch heute will man sich auch in den letzten Punkten einigen. Und dennoch findet die Bundeskanzlerin dräuende Worte, bevor sie im Konrad-Adenauer-Haus verschwindet. Jeder müsse „schmerzhafte Kompromisse“ machen, sagt sie. Auch sie sei dazu bereit. Und schließlich, mit Blick auf die Börsenentwicklungen: „Wir leben in unruhigen Zeiten.“

Wiewohl Angela Merkel mit dieser Bemerkung auf die in Asien und den USA ins Rutschen geratenen Aktienmärkte abzielt, dürfen die Zeiten auch in Deutschland als „unruhig“ angesehen werden. Bei den Verhandlungen zwischen Union und SPD sind zwar die meisten Punkte geklärt; aber am Dienstagvormittag hakte es noch immer bei der von der SPD abgelehnten sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und bei der Angleichung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Gesprächsbedarf sah man auch bei den Themen Außenpolitik, Rüstungsexporte und beim Bundeswehretat.

Die Sozialdemokraten, die nach getaner Arbeit noch ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen, sehen das Ende von Kettenbefristungen für ArbeitnehmerInnen als Kernthema an. Bei der arbeitgeberfreundlichen Union beißen sie damit bislang auf Granit. Dort ist man lediglich bereit, gegen gröbsten Missbrauch gesetzlich zu unterbinden.

Die Realität ist, dass die Zahl befristeter Arbeitsverträge nach Jahren des Rückgangs wieder steigt. Allein im Jahr 2016 erhielten laut Statistischem Bundesamt 45 Prozent der neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen befristeten Arbeitsvertrag. Knapp die Hälfte aller Befristungen ist sachgrundlos. Für die persönliche Lebensplanung der BürgerInnen, etwa eine Familie zu gründen oder eine Immobilie anzufinanzieren, ist das Gift.

Die Groko schrumpft

Sobald ein Koalitionsvertrag steht, sollen die SPD-Mitglieder darüber abstimmen. Das wird mehrere Wochen dauern. Geht alles glatt, könnten die Briefwahlunterlagen am Wochenende 3./4. März ausgezählt werden. Wer bis diesen Dienstag um 18 Uhr im Mitgliederverzeichnis steht, darf mit über den Koalitionsvertrag abstimmen.

Aktuell wird die Große Koalition tatsächlich immer kleiner. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage verliert die Union drei Prozentpunkte und kommt nur noch auf 30,3 Prozent. Die SPD, die am Wahltag 20,5 Prozent geholt hat, liegt nur noch bei 17 Prozent. Mit zusammen 47,5 Prozent haben die drei Parteien also rechnerisch keine Mehrheit mehr. Die anderen im Parlament vertretenen Parteien kommen laut der Umfrage gemeinsam auf 48,5 Prozent.

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5 Kommentare

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  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Was ich nicht verstehe:

    CDU/CSU und SPD sind zwei verschiedene Parteien mit unterschiedlicher Geschichte, unterschiedlichen Wahlversprechen, mit unterschiedlichen Perspektiven usw.

    Warum müssen diese Parteien zu einem Kloß verschmelzen? Das geht doch gar nicht, weil die Wähler beider 'Lager' sich am Stammtisch prügeln würden.

    Wieso kann man nicht sagen: die grundlose Befristung in der Arbeitswelt, die Ungleichbehandlung in der Gesundheit, die Aufrüstung der Bundeswehr bleibt Dissens und davon ist jede Koalitionsverpflichtung ausgenommen? Ist das so schwer?

    Wenn es von Glasfaser bis 'Digitalisierung' Einigkeit gibt, dann kann man dort zusammenarbeiten und bei weiteren Rüstungsexporten eben einfach nicht.

    Ist es nicht in jeder Ehe so, daß man strittige Punkte hat, wo man nicht gleicher Meinung ist und damit leben muss?

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @4932 (Profil gelöscht):

      Und noch kleiner Anhang:

      Wenn die SPD z.B. kein Glyphosath will, an den bisherigen Klimazielen festhalten will, die Bundeswehraufrüstung nicht will, eine echte Aufarbeitung des Dieselskandals will, die Leiharbeiterproblematik verbessern will, warum kann man das aus jeder Koalitionsvertragsbindung nicht einfach ausnehmen?

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @4932 (Profil gelöscht):

        Und abschließende Frage:

        Wer will eigentlich die Verkoppelung zweier unterschiedlicher Parteien? Wollte das der Wähler?

        Ich denke, daß der Wähler wollte, daß die Parteien dort zusammenarbeiten, wo es Gemeinsamkeiten gibt und sich dort zusammensetzen und um Lösung bemüht sind, wo es keine Gemeinsamkeiten gibt.

  • Sehr kleine Koalition („SeKleKo“)

     

    Es hat sich eingebürgert, eine Koalition aus Unionsparteien und SPD eine „Große“ zu nennen, im Umkehrschluß damit markierend, bei allen unionsgeführten Regierungen ohne SPD-Beteiligung handele es sich hingegen um „Kleine Koalitionen“. 



     

    Es gab bisher 11 unionsgeführte Bundesregierungen ohne SPD-Beteiligung. Bei sieben davon konnten sich die Regierungsparteien auf eine Wählermehrheit zwischen 53% und 60% stützen. Diese Koalitionen waren mithin „größer“ als die jetzt auf Kiel gelegte, deren Protagonisten nach jüngsten Umfragen gerade mal 51 - 52 % (nach INSA gar nur 47,5%) der Wählerstimmen auf die Waage brächten. Das führt zur Frage, was an einer solchen Koalition dann noch „groß“ sein sollte...

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Reinhardt Gutsche:

      Das fragen Sie besser gleich die Union und nicht die taz.

      Fragen Sie auch gleich, weshalb die Union sich die AfD großgezogen hat und weshalb sie selbst so dramatisch abgestürzt ist.

      Fragen Sie, warum ihr die Koalition mit der bayerischen Schwester nicht auch genügt?

      Fragen Sie, warum Sie nicht mit der AfD sprechen und sondieren will?

      Und weshalb sie nicht eine Alleinregierung beginnen mag, mit der einzigen Einschränkung, daß das von der Union Gewünschte nicht alle wollen, daß eventuell nicht jeder Unsinn glatt durchgeht?

      Aber wäre es nicht ein wahrhaft großes Gefühl, allein regieren zu dürfen?

      Union! Schnapp Dir die eigene Tochte AfD und regiere. Mehr, als schiefgehen kanns nicht.