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Letzte Generation vor GerichtDie Routine des Rechtsstaats

Erneut kommt es zum Prozess gegen einen Aktivisten der Letzten Generation. Verkehrssenatorin Jarasch spricht sich gegen härtere Strafen aus.

Aktivistin der Letzten Generation Foto: Fritz Engel

Berlin taz | Groß war der Medienandrang am Dienstag bei einem Prozess gegen einen Aktivisten der Letzten Generation. Gleich mehrere Kamerateams warteten im Amtsgericht Tiergarten auf den Angeklagten Michael W., der sich Ende Januar im Rahmen der ersten Aktionswochen der Klimaschutzgruppe an einer Blockade der Invalidenstraße beteiligte.

Befragt nach dem Tod der Radfahrerin am Montag vergangener Woche, der mit einer Blockadeaktion der Letzten Generation in Verbindung gebracht wurde, gestand W., auch an jener Blockade der Schilderbrücke beteiligt gewesen zu sein. Der Tod der Frau tue ihm „sehr leid“; eine Bewertung, etwa auch den Hinweis, dass das verspätete Eintreffen des Spezialfahrzeugs letztlich für die Rettung wohl bedeutungslos war, wollte er nicht abgeben.

Im Gerichtssaal spielte dieser Vorfall keine Rolle mehr, sondern nur die Blockade am Jahresanfang. Doch zu einer genauen Rekonstruktion dieser Aktion sollte es nicht kommen, denn ein Urteil fällte die Richterin nicht.

Stattdessen setzte sie das Verfahren aus, um es zu einem späteren Zeitpunkt mit weiteren Verfahren gegen W. auf Grund von Blockaden im Januar und Februar zusammenzuführen. Für ungefähr zehn Aktionen in diesem Zeitraum hatte W. mehrere Strafbefehle bekommen. Weil er sich weigerte, diese zu begleichen, im aktuellen Fall ging es um 30 Tagessätze à 50 Euro, kommt es zu Hauptverhandlungen.

Biologe als Vollzeitaktivist

Der Aktivist aus Süddeutschland, der mit schüchterner, gebrochener Stimme sprach, ist studierter Diplom-Biologe und sei bereits früh von seinem Vater „geprägt“ worden – ebenfalls Biologe, der ihm die „Zerstörung und Verschmutzung der Natur“ nähergebracht habe. Politisch habe er sich erstmals im Rahmen des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ 2019 in Bayern engagiert.

Über Fridays for Future, Ende Gelände und Extinction Rebellion habe er schließlich den Weg zur Letzten Generation gefunden. Sein zeitintensives Engagement habe ihn im Frühjahr den Job gekostet. Zuletzt lebte er von seinen Ersparnissen und dem Geld aus seiner aufgelösten Lebensversicherung.

Die Blockaden verteidigte er als „zivilen Ungehorsam“, der per se eine „öffentliche Störung“ sei, die sich nicht gegen die einzelnen Autofahrer richte. Sie führten dazu, dass das Klima zum nicht ignorierbaren Thema werde. Der Bundesregierung warf W. vor, „noch nicht einmal angefangen“ zu haben, sich gegen den Klimawandel zu stellen; das 1,5-Grad-Ziel sei jetzt „schon verloren“.

Die Richterin lehnte einen Einstellungsantrag der Verteidigung ohne Umschweife ab und kündigte an, das Verfahren mit den anderen zusammenzuführen. Bis zur neuerlichen Verhandlung gäbe es dann womöglich auch ein erstes Urteil des Landgerichts.

Vor dieser nächsthöheren Instanz sind mittlerweile sechs Verfahren anhängig, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Verhandelt werden dort die Einsprüche gegen Urteile der Amtsgerichte. Dort ist es bislang im Zusammenhang mit Blockaden der Letzten Generation erst zu sieben Hauptverhandlungen gekommen. 174 Verfahren seien insgesamt anhängig, wie eine Gerichtssprecherin sagte.

Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wies am Dienstag die Forderung der CDU nach härteren Strafen für Klimaaktivist:innen, den die Partei noch diese Woche mit einem Gesetzentwurf im Bundestag untermauern will, zurück. Polizei und Staatsanwaltschaft seien im Moment dabei, zu ermitteln und Strafverfahren einzuleiten, so Jarasch. „Ich sehe keinen Grund, irgendeinen Sonderstraftatbestand für Klimakleber einzuführen.“

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13 Kommentare

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  • Nach Einschätzun von Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimaforschung (das die Bundesregierung übrigens schon seit der Gründung vor 27 Jahren berät), sind in diesem Sommer 2022 vermutlich etwa 100000 Menschen in Europa zusätzlich durch Hitzewellen gestorben.

    Von ihnen spricht niemand.

    • @jox:

      Stimmt doch gar nicht. Das Institut macht es. Wenn Sie hier nichts davon lesen, dann wenden Sie sich an die Redaktion aber verallgemeinern Sie nichts.

  • 1G
    14397 (Profil gelöscht)

    "Der Mensch hat Potential, das man durchaus positiv nutzbar machen kann, wenn man denn will."

    @Rohm Dietmar Aber das macht er doch. So wirksam für den Klimaschutz wird er als Biologe kaum werden können. Oder halten sie Klimaschutz nicht für positiv?

  • Ich muss sagen, so sehr ich die Aktionen falsch finde, diesem jungen Mann kann man wenigstens glauben, dass er es ernst meint und nicht nur aus Gründen des "Ego" dabei ist. Er hat echt einiges an Opfern gebracht, insbesondere auch finanziell.

    Ich würde ihm wünschen, dass er erkennt, dass er auf diese Weise nichts erreicht und in seinem Beruf als Biologe sicher mehr für den guten Zweck tun könnte als wenn er auf der Straße oder im Gewahrsam sitzt.

    • @Dr. McSchreck:

      Ja, ja, schön zurück in den Job, nur nicht weiter stören.

      Der Protest ist mehr als notwendig. Ich habe allen Respekt vor den Aktivist:innen, die private Opfer bringen, sich beschimpfen, bepöbeln, körperlich angreifen, einsperren und verurteilen lassen, für diese Sache, die für unsere Zukunft so wichtig ist.

    • @Dr. McSchreck:

      Ach, echt? Dann glauben Sie das Gleiche bzw. den Quark von Klaus Hillenbrand, dass das ja sektenhafte Egozentriker*innen wären? Als TAZ-Leser*in sollten Sie wissen, dass es bereits gestern es umfangreicher Maßnahmen gegen die ökologische Krise bedurft hätte, diese bis heute aber nicht umgesetzt werden.



      Muss mensch (in Ihren Augen) erst die eigene Existenz auf das Spiel setzen, damit eine Protestmotivation anerkannt wird? Wirklich?



      Was soll er denn als Biologe wirksameres machen? Es gibt bereits umfangreiches Wissen über das Massensterben der Tiere[1] und über die Klimakrise. Es wissen auch recht viele Menschen. FFF bringt seit Jahren Tausende Menschen auf die Straßen. Aber es wird viel zu wenig gegen die Krisen und präventiv gegen deren Folgen getan. Deswegen kleben die sich fest. Klebeaktionen oder (Glas vor) Gemälde-Verschmutzung müssen/können/sollen nicht die einzige Protestform sein. Immerhin, jene machen etwas, würde ich meinen.



      [1] " Vortrag - Matthias Glaubrecht 'Das Ende der Evolution' am Nationalen Waldgipfel 2021"



      www.youtube.com/watch?v=cO02czG4U-s

      • @Uranus:

        Tatsächlich glaube ich, dass es den wenigsten der Älteren wirklich um das Thema Klima geht, sondern sie seit langem aus jedem sich bietenden Grund "das System" bekämpfen. Sonst wären sie technischen Lösungen gegenüber aufgeschlossener und würden nicht Forderungen stellen, die nun wirklich überhaupt nicht helfen wie "Tempolimit" oder "9.Euro-Ticket". Was man damit spart, ist absolut irrelevant, schon für Deutschland (zumal ja ein Ticket kommt) als auch erst Recht für die Welt. Da kann man auch "Essensbilder posten" verbieten.

  • 50€ Tagessatz für einen Akademiker, und dann auch noch einen mit einem nützlichen Diplom? Nicht dass ich will, dass der Mann mehr bezahlen muss, aber irgendwie kommt mir das eigenartig vor.

    • @Fabian Wetzel:

      Muss es nicht. Ein Diplom in Biologie ohne Promotion ist nicht besonders nützlich. Psychologen oder Biologen gehören zu den Berufen, in denen der Verdienst auf das gesamte Arbeitsleben gerechnet geringer ist als ohne Studium. Vielleicht promoviert er gerade, dann passt der Tagessatz.

    • @Fabian Wetzel:

      Biologen gibt es wie Sand am Meer. Er wurde arbeitslos, weil er die zu erbringende Leistung nicht geliefert hat, da er sich anderweitig engagierte. Er hat seinen Arbeitsplatz auf‘s Spiel gesetzt und verloren, wobei für ihn das Klima diesen Einsatz wert war. Ein Tagessatz von 50 Euro ist unangemessen, als Richter hätte ich ihn zur Mitarbeit in einer NG0 verurteilt ( DHU, Greenpeace). Der Mensch hat Potential, das man durchaus positiv nutzbar machen kann, wenn man denn will.

      • @Pepi:

        ".... als Richter hätte ich ihn zur Mitarbeit in einer NG0 verurteilt ( DHU, Greenpeace)...."

        Bei Richtern, wie beim Bundestrainer: Aus der Entfernung ist das Urteil einfacher zu treffen, sind die Entscheidungen klarer zu fällen.

        Bei der Berufung kommt es sicher zu einem gerechten Urteil. Jede Wette.

    • @Fabian Wetzel:

      Wenn er seine Arbeit verloren hat, bekommt er ALG1, das kann schon passen.

      • @Dr. McSchreck:

        Vielleicht gibt es zunächst eine Sperre, da er seine Arbeitspflichten möglicherweise verletzt hatte, wenn man ihm gekündigt hat.. Nur eine Vermutung