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Letzte Generation vor AnklageAngeklagt, weil angeklebt

War die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung? Ja, sagt der Generalstaatsanwalt in München und klagt fünf Mitglieder wegen deren Gründung an.

Ein Aktivist wird von der Polizei in München weggetragen Foto: Sachelle Babbar/imago

München taz | Setzt sich hier jemand effektiv gegen die massive Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ein? Oder machen da nur ein paar Rowdys Krawall und nötigen rechtschaffene Bürger dieses Landes? Die Aktionen der Klimagruppe Letzte Generation haben in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland stark polarisiert. Am stärksten jedoch ging man in Bayern gegen die Klimaaktivisten vor.

Nicht wenige, die sich wiederholt an neuralgischen Verkehrsknotenpunkten wie dem Münchner Stachus festklebten, landeten für Wochen im Gefängnis. Nicht als Strafe, sondern zur Vorbeugung. Denn nach dem umstrittenen bayerischen Polizeiaufgabengesetz ist es möglich, Menschen ohne Gerichtsverfahren für bis zu zweimal 30 Tage am Stück in Präventivhaft zu nehmen. Auch eine besonders drastisch ausgefallene Durchsuchungsaktion gegen Mitglieder der Letzten Generation sorgte für Aufmerksamkeit.

Jetzt ist es die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) München, die Anklage gegen fünf Mitglieder der Gruppe erhoben hat. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Generalstaatsanwaltschaft München bestätigte gegenüber der taz, dass unter dem Datum vom 28. Februar Anklage gegen fünf Mitglieder der Letzten Generation erhoben wurde. Ihnen wird unter anderem auch vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Die Anklage wurde bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) eingereicht und wird nun von der Staatsschutzkammer des Landgerichts München weiterverfolgt. Der Deutschen Presseagentur wurde die Anklage „aus mit dem Vorgang vertrauten Kreisen“ ebenfalls bestätigt.

Nach Angaben der Aktivisten umfasst die Anklageschrift 149 Seiten. Unter den Beschuldigten ist demnach auch Carla Hinrichs, die frühere Pressesprecherin der Letzten Generation, die eines ihrer prominentesten Gesichter wurde. Außerdem soll nach dem Willen der Staatsanwälte auch Wolfgang Metzeler-Kick vor Gericht. Der Münchner Umweltingenieur hatte vergangenes Jahr mit einem 92-tägigen Hungerstreik für Aufsehen gesorgt. Er soll auch zu den Aktivisten gehört haben, die den Flugverkehr am Berliner Flughafen lahmgelegt haben.

Eine Gruppe an krimineller Vereinigung

Eine kriminelle Vereinigung ist laut § 129 des Strafgesetzbuches eine Gruppe, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“. Sie unterscheidet sich von einer terroristischen Vereinigung wie der RAF, deren Zielsetzung beispielsweise darauf ausgelegt ist, Mord oder Totschlag zu begehen – auch wenn etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Ulrike-Meinhof-Tochter Bettina Röhl vor gut zwei Jahren mit Blick auf die Letzte Generation schon vor einer „Klima-RAF“ warnten. Zwischen Gründung und Mitgliedschaft in der Vereinigung wird in beiden Fällen jedoch zunächst nicht unterschieden.

Die Letzte Generation hatte vor einem Jahr einen Strategiewechsel angekündigt und ist mittlerweile in der „Neuen Generation“ aufgegangen. Entstanden war sie nach einem Hungerstreik vor der Bundestagswahl 2021 in Berlin. Die gern als „Klimakleber“ bezeichneten Aktivisten suchten Aufmerksamkeit für ihre Anliegen vor allem durch Blockaden des Straßen- und Flugverkehrs sowie Farbattacken auf Bauwerke wie etwa das Brandenburger Tor.

Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation, sitzt bei einer Straßenblockade in Berlin Foto: Paul Zinken/dpa/picture alliance

Die ehemalige Letzte Generation sieht in ihren Aktionen nichts Verwerfliches und moniert: „Während die Klimakrise eskaliert und erneuter Faschismus unsere Welt überschatten könnte, ist die Anklage als ein Angriff auf zivilgesellschaftliches Engagement als einen Eckpfeiler der Demokratie zu werten.“ Man habe deshalb eine Petition gegen das angestrebte Verfahren an die Generalstaatsanwaltschaft München sowie die Justizministerien des Bundes und des Landes Bayern gestartet. Zugleich sammelt die Gruppe Spenden für die Verfahrenskosten.

„Was tut man, wenn alles auf dem Spiel steht? Man tut sich zusammen und versucht, Alarm zu schlagen. Dafür werden wir angeklagt“, wird Carla Hinrichs in der Pressemitteilung der nicht mehr Letzten Generation zitiert. Sie sieht sich in der Rolle Hiobs: „Wir friedlich protestierende Menschen sollen für das Überbringen der schlechten Nachrichten verurteilt werden, für das Beharren auf Gerechtigkeit und dafür, dabei nicht allein gewesen zu sein. Ist das gerecht?“

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13 Kommentare

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  • Man sollte stattdessen Staat, Bundesländer und Kommunen vor Gericht stellen, die geltendes Recht in Natur- und Umweltschutz seit Jahrzehnten nicht umsetzen. Oder bis zur Unkenntlichkeit aufweichen, um einigen Interessenverbänden eine Freude zu machen.

  • Nun ja. Das ist die BRD anno 2025. Das uralte Sprichwort: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen" Wie wahr und aktuell ist das heute in diesem Zusammenhang!!! Ist die Auto-Lobby mit ihren extremen Betrügereien nicht auch eine "kriminelle Vereinigung" ? Oder die Chemiebranche, die weiterhin den Planeten vergiftet? Oder auch die Cum-Ex Jongleure, die den Staat, sprich die Allgemeinheit um extrem hohe Milliardensummen betrügen - und das immer noch!! Odert stecken all deren Lobbyisten gar hinter dem strengen Vorgehen gegen die, die das Maul auch dagegen aufmachen??

  • Bauern dürfen ungestraft ganze Innenstädte lahmlegen und dabei verpessten.



    Diejenigen die sich für unser Klima und saubere Luft einsetzen ohne dabei den kompletten Verkehr behindern, kommen



    vor den Kadi und werden als kriminelle Vereinigung behandelt.



    Was ist los in unseren Köpfen dass wir solches Unrecht zulässt?



    Dann möchte ich die Protestbauern auch als kriminelle Vereinigung eingestuft sehen!!!

  • Donald Trump und seine 13 Milliardäre haben mehr Ahnung vom Klimaschutz als die Masse gemeiner Klimaaktivisten zusammen. Sie einigt nämlich die Erkenntnis, dass wirksamer Klimaschutz auf Dauer mit dem Kapitalismus nicht vereinbar sein wird. Mit der Bekämpfung des Klimaaktivismus betreiben sie aktiven Kapitalismusschutz.



    LG (FFF, XR usw.) haben es in dem Sinne versäumt der Gesellschaft einen "Deal" anzubieten. Nämlich die Perspektive eines gelingenden, von den Zwängen des Kapitalismus befreiten Lebens, im Tausch gegen den Erhalt der Biosphäre. Statt die pralle Fülle von Möglichkeiten, einer Welt jenseits des Überkonsums aufzuzeigen, hat man sich vor den Karren derjenigen spannen lassen, die stets Verzicht predigen und dabei nur in ihren eigenen Ängsten gefangen sind. Man hat sich korrumpieren lassen, von Organisationen deren einziger Zweck es ist, die Dinge so wie sie sind am Laufen zu halten. Keine Spur mehr, einer gesellschaftlichen Vision.

  • Da ich mich nicht erinnern kann, einen Passus "Der Zweck heiligt die Mittel" im StGb entdeckt zu haben, darf man eine Organisation, die die Gesellschaft terrorisiert, sehr wohl als kriminell behandeln.

    Zumindest erwartet die Bevölkerung das.

  • "Am stärksten jedoch ging man in Bayern gegen die Klimaaktivisten vor."



    -Nicht wirklich verwunderlich-



    Hoffentlich finden sich Rechtsbeistand und Engagement wie ehedem von Christian Ströbele verkörpert. Die taz-ForistInnen (s.u.) sind teilweise schon sehr gut im Thema, sodass wir hier weiterhin gut informiert werden.

  • Da läuft einiges verkehrt bei Justizia in Bayern, aber auch in Berlin. Das Ziel der Bewegung dürfte doch eher in der Forderung einer effektiven Klimapolitik bestehen und damit einhergehend der Einhaltung von Zusagen, Verträgen und Umsetzung der geltenden Rechtssprechung.

    Zudem fallen Straßenblockaden in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit und stellen somit nur dann eine Straftat dar, wenn die Durchführung im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB als verwerflich angesehen werden kann.

    Auch das von der Vereinigung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, darf schon aufgrund der öffentlichen Sichtbarkeit und des transparenten Vorgehens angezweifelt werden.

    Zudem ist die LG keine homogene Vereinigung sondern besteht aus lokalen Teilorganisationen die autark agieren. Der Tatbestand verlangt jedoch, die Vereinigung müsse zum Zweck haben, Straftaten zu begehen. Sollten dies nur einzelne Mitglieder verfolgen und nicht die gesamte Vereinigung an sich ist der Tatbestand, gemäß BGH v. 2015, nicht erfüllt.

    Zivilen Protest zu kriminalisieren ist kein Ruhmesblatt für den Staat. Paragrafen des Strafgesetzbuch dafür zu missbrauchen keines für die Justiz in Deutschland.

    • @Sam Spade:

      Wohl keine Erdbeben mit Verwerfungen, aber fein messbare Ausschläge eines Seismographen erscheinen theoretisch vielleicht möglich bei der Beurteilung der Rechtsstaatlichkeit im internationalen Ranking:



      Bei brak.de



      "Deutschland belegt im weltweiten Verlgeich im Rechtsstaatlichkeitsindex 2023 Platz 5 von 142 und befindet sich damit im grünen, oberen Bereich. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich Deutschland damit um einen Platz verbessert (WJP 2022: Platz 6, WJP 2021: Platz 5)."

    • @Sam Spade:

      Na, ja, zwischen dem Verfassen einer Anklage und der Verurteilung liegen normalerweise ein paar nicht ganz unwesentliche Schritte von Amtsträgern, die nicht bei der StA beschäftigt sind. Aber nach der vorgetragenen Logik - zumindest soweit ich sie verstehe - müßte man Herrn Prof. Lucke und seine damaligen Mistreiter dann auch für die Straftaten verantwortlich machen, die Mitglieder der von ihm einst mitgegründeten Partei heutzutage so begehen.

    • @Sam Spade:

      …anschließe mich

      unterm——taz-Aufgabe —-



      “Schnarrie“



      pardon Frau Leutheuser-Schnarrenberg -



      Der wir diesen § 129 StGB ja verdanken -



      Als Bundesjustizministerin - FDP -



      Um ein Interview ersuchen.



      “Die Bildung krimineller Vereinigungen ist eine Straftat, die im Strafrecht Deutschlands in § 129 StGB normiert ist. Der Tatbestand findet sich im Abschnitt Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und soll Organisationsdelikte erfassen.…



      Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK) wurden aufgrund der fortgeltenden politischen Auslegung des Vereinigungsbegriffs gerade nicht von § 129 Abs. 1 StGB erfasst. Denn in hierarchisch strukturierten Organisationen, wie sie häufig im Bereich der OK aufzufinden sind, ordne sich der Einzelne nicht – wie vom BGH gefordert – einem in der Organisation gebildeten Gesamtwillen unter.[69][70] Vielmehr fehlt es im Bereich der Wirtschaftskriminalität regelmäßig an der Verfolgung eines übergeordneten gemeinschaftlichen Ziels, da hier typischerweise das persönliche Gewinnstreben des einzelnen Täters im Vordergrund steht. Im Jahr 2009 nahm es die Bundesregierung hin, dass deshalb „ein gewisser Anteil der kriminellen Organisationen nicht unter § fallen“

  • Ich hoffe, dass das seitens des Gerichts relativ schnell eingestellt wird. Der Tatbestand war wohl laut Gesetzgeber nie dafür gedacht, politischen Protest zu verfolgen (auch nicht ungehorsamen). Hätte sich die LG zu einer politischen Partei formiert, wäre es vollkommen ausgeschlossen, sie so zu verfolgen, dazu noch nach deren Auflösung.

  • Ob nun kriminelle Vereinigung oder nicht, wird man sehen. Aber was hat die ganze Kleberei gebracht, die motorisierten Verkehrsteilnehmer ärgern und in Wut bringen, mehr nicht.

  • Wann kommt die Anklage gegen Repräsentanten des Deutschen Bauernverbands? Ach so -- die bekommen ja einen Ministerposten ...