Leistungen für Dublin-Flüchtlinge: Das eigentliche Problem übersehen
Die Ampel will Dublin-Geflüchteten alle Leistungen streichen. Doch das wird nichts bringen, da die eigentlich zuständigen EU-Staaten Abschiebungen verhindern.
D ie Ampel-Koalition will Leistungen für Dublin-Flüchtlinge in vielen Fällen auf null reduzieren. Das ist einer der wesentlichen Punkte des sogenannten Sicherheitspakets, das die Ampel-Koalition am Donnerstagnachmittag vorstellte.
Von Dublin-Flüchtlingen spricht man, wenn ein Flüchtling nach den Dublin-Regeln der EU Anspruch auf ein Asylverfahren in einem anderen EU-Staat hat, insbesondere weil er dort erstmals EU-Boden betrat. Dann muss er in diesen Staat zurückkehren.
Die Koalition hat nun beschlossen, dass Asylsuchende in Deutschland keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen haben, sobald der eigentlich zuständige Staat der Rücküberstellung zugestimmt hat. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hofft, dass Betroffene dann freiwillig in das zuständige Land ausreisen.
Buschmann hatte bereits Ende 2023 gemeinsam mit FDP-Chef Christian Lindner gefordert, dass Dublin-Flüchtlinge nur noch die Fahrkarte in den zuständigen EU-Staat erhalten sollen.
Bett, Brot und Seife ist bereits aktuelle Praktik
Manche Medien berichten nun, dass ausreisepflichtige Dublin-Flüchtlinge nur noch „Bett, Brot und Seife“ bekommen sollen. Das ist wohl ein Missverständnis. Die Reduzierung der Leistungen für ausreisepflichtige Dublin-Flüchtlinge auf Essen, Unterkunft sowie „Körper- und Gesundheitspflege“ ist bereits derzeitige Rechtslage. Nur bei besonderen Umständen können auch weitergehende Leistungen für den persönlichen Bedarf gewährt werden. Diese bereits 2015 eingeführte Kürzungsmöglichkeit wird von den Ausländerbehörden auch genutzt.
Bei der nun geplanten Reform geht es tatsächlich um einen völligen „Ausschluss“ der Leistungen. Wie dies in der Praxis dann aussehen wird, ist allerdings noch offen. Faktisch wird wohl niemand hungern müssen, aber dann vielleicht nur noch Sachleistungen für Obdachlose erhalten. Aber das ist derzeit noch Spekulation.
Wahrscheinlich rechtmäßig
Die Organisation Pro Asyl hat die Pläne der Koalition massiv kritisiert, sie seien „absehbar verfassungswidrig“. Zu Recht weist Pro Asyl darauf hin, dass Sozialleistungen nicht zur bloßen Abschreckung gestrichen oder willkürlich gekürzt werden dürfen.
Allerdings geht es hier nicht um abstrakte Abschreckung, sondern um Durchsetzung der geltenden Dublin-Regeln. Flüchtlinge haben danach in der EU zwar Anspruch auf ein Asylverfahren, können sich aber den Zielstaat nicht aussuchen. Es dürfte daher nicht verfassungswidrig sein, Asylsuchende darauf zu verweisen, dass sie in anderen EU-Staaten Anspruch auf Ernährung und Unterkunft haben.
So hat das Gericht bereits 2022 in einem anderen Fall erklärt, dass der Gesetzgeber von Asylsuchenden durchaus verlangen kann, „an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen“. Dazu passt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV-Sanktionen von 2019. Danach können die Sozialleistungen ausnahmsweise vollständig versagt werden, wenn die „Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit“ abgelehnt wird. Denn damit habe es der Bedürftige in der Hand, seine menschenwürdige Existenz selbst zu sichern.
Die Reform wird kaum etwas ändern
Das eigentliche Problem ist das Dublin-System selbst, wonach Deutschland fast nie für Asylverfahren zuständig wäre, weil es keinerlei EU-Außengrenzen hat. Das ist offensichtlich ungerecht und es ist deshalb gut nachvollziehbar, dass die EU-Staaten, die an den EU-Außengrenzen liegen, das Dublin-System unterlaufen, wo es geht.
Da die Streichung der Sozialleistungen für Dublin-Flüchtlinge zu Recht an die konkrete Aufnahmebereitschaft des zuständigen EU-Staats geknüpft ist, wird es also wohl auch künftig viele Dublin-Flüchtlinge geben, die in Deutschland bleiben können und auch versorgt werden – weil nicht sie die Überstellung verhindern, sondern der zuständige EU-Staat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind