Lars Klingbeil über Coronahilfen: „Jetzt massiv investieren“
BMW will Dividenden ausschütten trotz Kurzarbeit. SPD-Generalsekretär Klingbeil hält das für „unmoralisch“ – und eine Abwrackprämie für unbrauchbar.
taz: Herr Klingbeil, neoliberale Gesellschaften wie die USA werden schlechter mit der Coronakrise fertig. Was heißt das für die Zukunft?
Lars Klingbeil: Erst mal heißt das, dass wir viel positiver auf das gucken, was wir haben: Wir haben einen Sozialstaat, ein Gesundheitssystem und eine öffentliche Verwaltung, die funktionieren und die Menschen auffangen. Und viele haben gerade jetzt in der Krise gemerkt, wie wichtig das ist. Das Lied vom Staatsabbau, das auch in Deutschland die letzten Jahre sehr laut gesungen wurde, wird dadurch auch verstummen.
Ist der Neoliberalismus tot?
Er gerät zumindest unter massiven Druck. Wenn es nach mir ginge, könnten wir das Kapitel beenden.
Befördert die Coronakrise einen eingreifenden Staat?
Diese Krise steht für eine Zeitenwende. Und es ist jetzt die Zeit für einen starken, handlungsfähigen Staat, der die Menschen in schwierigen Zeiten schützt. Das passiert ja gerade. Die Menschen müssen nicht die Ellenbogen rausfahren. Der Staat kümmert sich, wir retten Arbeitsplätze und Unternehmen.
Soll der Staat retten, was es gab? Oder die Lage nutzen, um ökologisch und sozial umzusteuern?
Wir sollten nicht einfach mit Geld alte Strukturen erhalten und in die Vergangenheit investieren. Wenn der Staat hilft und eingreift, dann müssen die Schalter auch Richtung Zukunft umgelegt werden. In der Autoindustrie zum Beispiel sollten wir neue Antriebssysteme und den Ausbau mit Ladestationen fördern.
War die Abwrackprämie für Autos 2009 sinnvoll?
Lars Klingbeil, 42, ist Bundestagsabgeordneter, Experte für Digitales und seit Ende 2017 Generalsekretär der SPD. Er gehört dem Seeheimer Kreis an, kann aber gut mit dem SPD-Linken Kevin Kühnert.
Einige Studien zeigen, es hat wirtschaftlich nur kurzfristig genutzt und dem ökologischen Wandel gar nicht. Wir sollten jetzt der Automobilindustrie klug helfen – aber nicht mit einer Prämie Richtung Vergangenheit. Wir haben ja dazugelernt.
Wie lösen Sie den Zielkonflikt zwischen Jobs retten und ökologischem Umbau auf?
Das ist kein Zielkonflikt. Wir müssen beides tun. Arbeitsplätze in Schlüsselindustrien bewahren und zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr ausbauen.
Die Lufthansa soll 9 Milliarden Euro vom Staat bekommen. CDU-Wirtschaftsminister Altmaier will, dass der Staat trotzdem keinen Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nimmt. Einverstanden?
Nein, es kann keine staatliche Hilfe, also Steuerzahlergeld, in diesem enormen Umfang ohne Mitsprache geben. Das wird nicht funktionieren.
Sollen die Milliarden für die Lufthansa an Bedingungen geknüpft werden – etwa die Halbierung des CO2-Ausstoßes in zehn Jahren oder keine ökologisch schädlichen Inlandsflüge mehr?
Politik muss ein Mitspracherecht haben, vor allem bei sozialen und ökologischen Zielen. Oder wenn es um Arbeitsplätze geht. Aber soll der Bundestag wirklich entscheiden, welche Inlandsflüge die Lufthansa anbietet? Da bin ich skeptisch.
Also Wunschzettel ja, Bedingung nein?
Die SPD ist sehr klar: Keine Staatshilfen ohne Mitsprache. Was die Inlandsflüge angeht, glaube ich, dass es nach Corona ohnehin mehr Videokonferenzen geben wird und weniger Kurzflüge. Mit dem Zug dauert es von Berlin nach München genauso lang wie mit dem Flugzeug. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Bahn auch noch billiger wird. Wir haben ja schon vor Corona mit der Reduzierung der Mehrwertsteuer Zugfahren attraktiver gemacht. Wir dürfen in der Krise nicht jeden Gedanken an die sozialökologische Umwandlung vergessen.
Die Bundesregierung plant ein Konjunkturprogramm …
… das hart umkämpft werden wird.
Auf welcher Seite kämpft die SPD?
Wir müssen unser Land wieder hochfahren, Arbeitsplätze sichern, dürfen aber nicht nur auf die Wirtschaft schauen. Familien brauchen jetzt Unterstützung. Und die Kommunen. Denen brechen die Einnahmen weg, gleichzeitig steigen ihre Ausgaben für Soziales. Deshalb muss jetzt dringend der Altschuldenfonds kommen. Der Staat muss zudem massiv investieren in Schulen, Digitalisierung, Infrastruktur. Wir haben ja in der Krise gesehen, dass es vor allem im Bildungsbereich fehlt. Schritte für mehr Investitionen hat der Koalitionsausschuss im März beschlossen. In der Union wollen davon manche nichts mehr wissen, dafür aber den Soli auch für die oberen zehn Prozent absenken. Dagegen werden wir uns wehren.
Gibt es Staatshilfen für Unternehmen, die Boni und Dividenden zahlen?
Nein, bei Krediten ist das bereits gesetzlich geregelt.
BMW wird am Donnerstag mehr als 1,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre auszahlen – während die Bundesagentur für Arbeit per Kurzarbeitergeld die Jobs bei BMW sichert.
Kurzarbeitergeld ist eine Versicherungsleistung, keine direkte Staatshilfe. Ich finde es aber unmoralisch, Kurzarbeitergeld zu kassieren und gleichzeitig Dividenden zu zahlen. Wenn die Angestellten den Gürtel enger schnallen müssen, sollten das auch die Manager tun. Unternehmen, die jetzt Boni ausschütten, schaden sich damit selbst. Denn viele empfinden es als ungerecht, dass es Kurzarbeit gibt und trotzdem Dividendenzahlungen.
Sozialunternehmer bekommen keine Kredite vom Staat, weil ein Kriterium dafür ist, 2019 Gewinn gemacht zu haben. Deshalb fallen Nonprofitunternehmen durch den Rost. Was tun?
Wir fordern, dass das Wirtschaftsministerium die Bedingungen ändert, damit auch solche Unternehmen, wie etwa Sozialkaufhäuser, nicht pleitegehen. Wir brauchen die Gemeinwohlökonomie – und zwar nach der Krise noch mehr als zuvor.
Die Pflegeberufe wurden in der Krise viel gelobt. Wie sollen jetzt konkret die Löhne und Bedingungen dort verbessert werden?
Es gibt jetzt die steuerfreien Bonuszahlungen. Das ist gut. Aber wir brauchen natürlich langfristige Verbesserungen. Das sind Tarifverträge, die die Lohndrückerei beenden. Giffey, Spahn und Heil arbeiten an einem Tarifvertrag Soziales, der dann für allgemeinverbindlich erklärt werden muss. Das Zweite ist: Wir müssen die Verdichtung der Arbeit in den Pflegeberufen nicht nur stoppen, sondern zurückdrehen. Für beides brauchen wir wesentlich mehr Geld.
Also höhere Beiträge in der Pflegeversicherung?
Die Kosten, die Angehörige zahlen, müssen gedeckelt werden. Die SPD will mehr staatliches Geld für die Pflege. Das muss es uns wert sein.
Das klingt, von Autos über Kommunen bis Pflege, nach sehr viel Geld. Wer zahlt?
Erst mal: Wenn wir jetzt kein Geld für Arbeitsplätze, Kommunen und Familien ausgeben, wird es am Ende sehr viel teurer. Ich finde es fair, wenn die starken Schultern im Land auch etwas übernehmen. Über die Kosten der Krise reden wir zu einem geeigneten Zeitpunkt.
Der ist wann?
Jetzt müssen wir erst mal die akute Krise bewältigen. Im Juni wird das Konjunkturprogramm beschlossen. Wir hatten diese Woche eine Online-Konferenz zum Thema Zusammenhalt. Da kam auch eine Idee für eine Finanzierung von mehr Gemeinwohl in der Wirtschaft auf: Warum nehmen wir nicht das Geld von nachrichtenlosen Konten – also Assets, die seit Langem niemand mehr beansprucht, etwa weil es keine Erben gab? Großbritannien finanziert damit einen Sozialfonds. Der Big Society Capital ist der größte Social Impact Fonds in Europa.
Um wie viel geht es?
Laut Schätzungen 2 bis 9 Milliarden Euro. Das ist keine kleine Summe.
Es läuft in Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, gut. Die SPD regiert, hat aber rein gar nichts davon. Schlimm, oder?
Ich gehe in dieser Krise, in der viele um ihre Existenz bangen, nicht mit dem Gedanken ins Bett: Was hilft der SPD? Wir haben uns zwei Jahre lang viel mit uns selbst beschäftigt. Jetzt machen wir in der Regierung Krisenmanagement, und zwar ganz gut. Das wird sich auszahlen.
Ärgert es Sie nicht, dass alle Sympathien Merkel zufliegen?
Merkel ist in ihrer letzten Amtszeit. Danach beginnt ein neues Spiel.
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