Landratswahl in Thüringen: AfD verliert im Saale-Orla-Kreis
CDU-Kandidat Herrgott setzt sich bei der Wahl im Saale-Orla-Kreis knapp durch. Zeigen die bundesweiten Demos gegen Rechtsextremismus einen ersten Effekt?
Seine Partei sei „heute in einem sehr engen Rennen“ gut in das Superwahljahr für Thüringen gestartet, sagte Herrgott danach. Im Mai stehen weitere Kommunalwahlen in Thüringen an, im Juni die Europawahl und im September dann die Landtagswahl. In Umfragen führt die AfD in Thüringen mit mehr als 30 Prozent.
Bei seiner kurzen Ansprache am Sonntag klang Herrgott, seit 2020 Generalsekretär der CDU in Thüringen, wie immer: nüchtern. Zu seiner Linken freute sich derweil der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt: „Gemeinsam im Bündnis mit den Bürgern haben wir die Kraft, die angebliche Alternative von Höcke zu schlagen.“
Nach dem ersten Wahlgang hatten demokratischen Parteien und zivile Bündnisse gemeinsam für den CDU-Kandidaten geworben – oder zumindest hatten sie gemeinsam gegen die AfD mobilisiert. Offensichtlich reichte das. Und lag es womöglich auch an der Anti-AfD-Stimmung, an der bundesweiten Protestwelle gegen Rechtsextremismus, die dieser Tage weiter anhält?
Hohes Durchschnittsalter, niedrige Löhne
Das Ergebnis im Saale-Orla-Kreis gilt vielen Beobachtern als Stimmungstest im Wahljahr 2024. Der Kreis kämpft mit den gleichen Problemen wie andere Regionen in Thüringen, etwa mit dem demografischen Wandel. Die Hälfte der 79.000 Einwohner:innen ist älter als 50 Jahre, die meisten wohnen in kleinen Orten mit schlechter ÖPNV-Anbindung und in Sorge um die flächendeckende Gesundheitsversorgung.
Allerdings sind die Löhne im Saale-Orla-Kreis besonders niedrig: Arbeitnehmer:innen in allen anderen Kreisen Thüringens verdienen mehr. Deutschlandweit ist der durchschnittliche Bruttolohn im Saale-Orla-Kreis am niedrigsten. Bei der Landtagswahl 2019 und der Bundestagswahl 2021 gewannen AfD-Kandidaten Direktmandate. Die Szene der Reichsbürger:innen ist sehr stark, vertreten etwa durch die Gruppe „Freies Thüringen“, die auch gemeinsam mit der AfD auftritt.
Obwohl Christian Herrgott direkt nach dem ersten Wahlgang Unterstützung von der SPD bekam und auch die Linke sich zumindest gegen Thrum engagierte, war extrem unklar, wie viel Zuspruch Herrgott von linken Wähler:innen zu erwarten hatte. Im Wahlkampf warb der CDU-Kandidat unter anderem mit „Bürgergeld abschaffen. Konsequent abschieben. Windkraft im Wald verhindern“.
Auch wenn die Themen wenig mit dem politischen Gestaltungsspielraum eines Landrats zu tun haben, dürfte das einigen sauer aufgestiegen sein. Der ausgeschiedene Kandidat der Linken, Ralf Kalich, versuchte seine Wähler:innen dennoch von Herrgott zu überzeugen, indem er ihnen sagte: „Ihr stimmt nicht für die CDU, ihr stimmt gegen die AfD.“
Wahlbeteiligung gestiegen, breite Bündnisse
Zudem mobilisierten zivile Bündnisse zur Wahl – wie im vergangenen September schon in Nordhausen, als die AfD in der Stichwahl um den Oberbürgermeisterposten verlor. Die AfD und ihr Kandidat Thrum befeuerten „eine gesellschaftliche Stimmung von Ausgrenzung, Menschenhass und Populismus“, schrieb etwa in einem Aufruf das Bündnis „Dorfliebe für alle“.
Laut Ann-Sophie Bohm, Landessprecherin der Thüringer Grünen, haben die Bündnisse entscheidend zum Sieg von Herrgott beigetragen. Dass Herrgotts CDU sich den Erfolg zuschreiben könne, weil er harte Positionen vertreten habe, glaubt sie nicht: „Dieser Erfolg beruht nicht darauf, als Kopie der AfD anzutreten.“
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Auch das Ergebnis legt nahe, dass die Überzeugungsarbeit unter den linken Wähler:innen tatsächlich geholfen haben könnte, die nötigen Stimmen in der Stichwahl zu mobilisieren. Rechnet man die Ergebnisse von CDU, SPD und der Linken aus dem ersten Wahlgang zusammen, ergeben sie etwa 23.341 Stimmen. Christian Herrgott bekam im zweiten Wahlgang 23.534 Stimmen. Uwe Thrum gewann rund 1.700 weitere Stimmen hinzu und erhielt zum Schluss 21.364 Stimmen.
Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagt, dass Herrgott im zweiten Wahlgang aufholen konnte, „kann man als ersten Effekt der bundesweiten Demonstrationen sehen“. Nachdem das Recherchebüro Correctiv über ein geheimes Treffen der AfD und Deportationspläne für deutsche Staatsbürger:innen mit Migrationshintergrund berichtet hat, protestieren derzeit Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen die Partei und gegen Rechtsextremismus.
Brodocz hebt auch die Wahlbeteiligung im Saale-Orla-Kreis hervor: Schon in der ersten Runde vor zwei Wochen war die Beteiligung mit 65,5 Prozent für eine Kommunalwahl überdurchschnittlich hoch. In der Stichwahl waren es nun 68,6 Prozent. Zum Vergleich: Bei der letzten Wahl vor sechs Jahren stimmten 33 Prozent der Berechtigten ab.
Hohe Wahlbeteiligung, anhaltende Proteste und lokale politische Bündnisse: Fördert die Polarisierung um die AfD die Demokratie in Deutschland? Die Grünen teilen mit, sie konnten „seit Anfang Januar über 2.600 Eintritte in unsere Partei verzeichnen“, wie die politische Bundesgeschäftsführerin der Partei, Emily Büning, der dpa sagte. „Im Vergleich zu durchschnittlich knapp 700 Eintritten pro Monat im Jahr 2023 ist dies eine Rekordzahl.“ Ähnlich hohe Zahlen habe es zuletzt im Bundestagswahlkampf 2021 gegeben.
Mitgliederzuwachs bei der AfD
Von einem ähnlichen Zuwachs berichtet allerdings auch die AfD. Wie die AfD der taz bestätigte, traten allein seit der Veröffentlichung von Correctiv1.900 Mitglieder der Partei bei. Profitieren also nicht nur die demokratischen Kräfte, sondern nutzt auch der AfD die aufgeheizte Stimmung derzeit?
Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD in Thüringen und das Gesicht der Faschisten in der Partei, sagte noch am Wahlabend, es habe „die gegnerischen Kräfte des ganzen Landes“ gebraucht, um das Blatt gegen den AfD-Kandidaten Thrum zu wenden. Höcke versuchte also, die Niederlage Thrums doch noch in eine Erzählung der Stärke der AfD umzumünzen.
Christian Herrgott organisiert als Landrat nun ab Anfang Februar die Verwaltung, repräsentiert den Kreis nach außen. „Ich möchte ein Landrat für alle Menschen in diesem Landkreis sein“, betonte Herrgott, ob sie ihn gewählt hätten oder nicht.
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