Landesparteitag in Berlin: Die SPD brüskiert ihre Führung
Die Delegierten bestätigen Giffey und Saleh, aber keiner der beiden bekommt auch nur 60 Prozent. Dabei gab es keine Kontroversen auf dem Parteitag.
Da passt ins Bild, dass – anders, als es die Tradition vielleicht gebieten würde – Giffey ihrem Co-Parteichef den politischen Heiratsantrag macht und nicht umgekehrt. „Wir haben uns gefunden“, sagt Giffey mit Blick auf Raed Saleh und die Delegierten im Saal des Estrel-Hotels bei ihrer Bewerbungsrede. Und fügt hinzu: „Die Zuversicht, mit der du das machst, die finde ich großartig.“ Mehr Worte sind da fast überflüssig.
Seit zwei Jahren führen Giffey und Saleh, der auch SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist, die Partei. An diesem Sonntag stellen sie sich erstmals der Wiederwahl. Ihre Botschaft ist klar: Geschlossenheit. Wenn alle – Partei, SPD-Fraktion, Senat, gere auch die SPD-regierten Bezirke und natürlich die beiden Vorsitzenden – zusammenarbeiten, dann sei die SPD stark. Ihr Beleg dafür: wie die beiden die Partei aus dem Umfragetief geholt und im September 2021 erneut ins Rote Rathaus geführt haben; und wie sie nun in der rot-grün-roten Koalition „SPD aus einem Guss“ umsetzen würden, erklärt Giffey.
Giffey holte 2020 noch fast 90 Prozent
Diese Botschaft reicht nicht aus für ein starkes Ergebnis. Ganz im Gegenteil: Obwohl es keine Gegenkandidat*innen gibt, obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung gibt, stimmen lediglich 58,9 Prozent der 268 Delegierten für Giffey. Saleh erreicht mit 57,4 Prozent ein ähnlich schlechtes Ergebnis. Beide hatten im Vorfeld mit mehr Zustimmung gerechnet. 2020 hatte Giffey noch fast 90 Prozent geholt, damals als Spitzenkandidatin. Immerhin gelang es den beiden Parteichef*innen, den von ihnen ausgesuchten Kreis aus stellvertretenden Parteivorsitzenden durch zu bekommen.
In ihren Reden bleiben Giffey und Saleh meist abstrakt, auch Attacken auf politische Gegner*innen und Mitstreiter*innen in der Koalition fehlen weitgehend. „Ich will keine weitere Gentrifizierungswelle, verdammt noch mal“, sagt Saleh. „Wir wollen, dass die Menschen würdevoll leben können mit dem Geld, das sie haben.“ Die SPD-Politik habe dazu beigetragen, die Menschen zu entlasten, etwa durch gebührenfreie Bildung.
Erstaunlicherweise gehen weder Giffey noch Saleh näher auf das Wohnungsbündnis des Senats mit den großen Immobilienfirmen ein, das an diesem Montag unterschrieben werden soll und ein Prestigeprojekt der Regierenden Bürgermeisterin ist. Dafür kündigt Giffey an, die Vorherrschaft der Grünen in den Innenstadtbezirken angreifen zu wollen. Mit welchen Inhalten, sagt sie nicht – aber die Partei hat dafür eine Kommission gegründet.
Ansonsten setzt Giffey auf die Strahlkraft der Stadt und Optimismus: „Wir leben in der tollsten Stadt der Welt, es ist eine Ehre, dass wir als SPD hier Politik machen können“, sagt sie. Und auch wenn Berlin vor einer schwierigen Situation stehe mit der Klimakrise, steigenden Energiekosten, der Integration von Geflüchten und vielleicht einem erneuten Pandemiewinter, nütze es nichts, verzagt zu sein. „Wir sollten es schaffen, miteinander zu lachen und mit Zuversicht auf das zu blicken, was wir gemeinsam anpacken wollen.“
Raed Saleh, SPD
An den Bund appelliert sie, die Länder beim Kampf gegen steigende Mieten zu unterstützen, indem das von einem Gericht kassierte kommunale Vorkaufsrecht wieder eingeführt wird. Bundesbauministerin Klara Geywitz als Gastrednerin kann da freilich wenig Hoffnung machen. Einen möglichen Mietendeckel erwähnt sie gar nicht erst; vielmehr sollten Gesetzeslücken beim Mietrecht geschlossen werden, etwa wenn es um Ausnahmen für möblierte Wohnungen geht. Und natürlich seien 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bundesweit weiter ihr Ziel – ob das erreichbar sei, darauf geht Geywitz nicht ein.
Allerdings ist das unwahrscheinlich, nicht nur weil die Brandenburgerin gegen Wirtschafts- und Finanzminister kämpfen muss, damit jene mit Blick auf die Schuldenbremse die Neubauförderungen nicht zusammenstreichen; das erwünschte Vorkaufsrecht kommt frühestens nach der Sommerpause ins Kabinett, heißt es am Rande des Parteitags. Das trübt zugleich die Aussichten für die Berliner Mietenpolitik.
Übrigens ist auch die Frauenquote der SPD gar nicht so berauschend – darauf weist eine Rednerin nach dem Auftritt von Giffey und Saleh hin: Vier von fünf SPD-Bezirksbürgermeister*innen sind Männer, auch die Quote bei den Sozialdemokrat*innen in Bezirksparlamenten und dem Abgeordnetenhaus sei noch längst nicht paritätisch. Immerhin nimmt der Parteitag Anträge an, wonach künftig auch eine rein weibliche Doppelspitze möglich wäre. Bisher musste immer ein Mann dabei sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül