Landeseigene Wohnungsgesellschaften: Kritiker sind unerwünscht
Bis zum 8. September sollen in den landeseigenen Wohnungsgesellschaften Mieterräte gewählt werden. Doch 108 Kandidaten wurden nicht zur Wahl zugelassen.
Mitbestimmung schön und gut, aber nur, wenn sie keine unangenehmen Fragen aufwirft. So in etwa lässt sich der Auftakt für die Wahl von Mieterräten für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften beschreiben. Zwar stellen sich für die Wahl zwischen dem 5. August und 8. September rund 1.000 Mieterinnen und Mieter zur Wahl. Jeder zehnte Kandidat aber wurde abgelehnt.
Gesobau in der Kritik
Mehr Mitbestimmung bei den städtischen Gesellschaften: Das war eines der Ziele, die der Mietenvolksentscheid gefordert hatte. Im Wohnraumversorgungsgesetz, das das Abgeordnetenhaus daraufhin im Januar verabschiedete, ist für jedes der sechs Berliner Wohnungsunternehmen ein Mieterrat vorgesehen. „Die neuen Mieterräte vertreten die Interessen aller Mieterinnen und Mieter des Wohnungsunternehmens“, hieß es am Mittwoch aus dem Hause von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). „Sie beschäftigen sich mit den Planungen des jeweiligen Wohnungsunternehmens für Neubau, Modernisierung und Instandsetzung, Quartiersentwicklung sowie Gemeinschaftseinrichtungen.“
So weit die Theorie. Die Praxis brachte eine kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Steffen Zillich ans Licht. In ihr musste Geisels Verwaltung einräumen, dass 108 Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt von den Wohnungsbaugesellschaften nicht zugelassen wurden. Besonders hervorgetan haben sich dabei die Degewo mit 31 Ablehnungen, die Gewobag mit 31 und die Gesobau mit 22.
Der Sprecher des Mietenvolksentscheids, Rouzbeh Taheri, nannte den „massenhaften Ausschluss von MieterInnen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen“ einen Skandal. „Wir wissen von mehreren Fällen, speziell bei der Gesobau, dass aktive MieterInnen gezielt von der Kandidatenliste gestrichen worden sind“, so Taheri.
Tatsächlich liegt der taz ein Schreiben vor, in dem die Gesobau den Ausschluss eines Kandidaten für die Wahl zum Mieterbeirat begründete. Wörtlich heißt es darin, der Mieter „legte Widerspruch zur Ankündigung von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an dem von ihm bewohnten Gebäude ein“.
Derzeit verschicken die landeseigenen Wohnungsgesellschaften die Wahlunterlagen an 300.000 Haushalte. Gewählt wird vom 5. August bis zum 8. September. Wahlberechtigt ist ein Mieter pro Haushalt, der seit sechs Monaten in der Wohnung lebt. Im Herbst sollen die Räte ihre Arbeit aufnehmen. (taz)
Die Gesobau wies die Anschuldigungen zurück. Abgelehnt wurden nur solche Kandidaten, die unter anderem gegen das „friedliche Zusammenleben“ verstießen, sagte Gesobau-Sprecherin Birte Jessen. „Einspruch gegen Modernisierungsmaßnahmen zählt dabei nicht zu den Ausschlusskriterien“, so Jessen weiter.
Die linke Mietenpolitikerin Katrin Lompscher vermutet dennoch, dass die Wohnungsbaugesellschaften keine Kritiker ihrer Modernisierungspolitik in den Mieterräten wünsche. Tatsächlich stand vor allem die Gesobau in Pankow in der Kritik. Gegen Bauvorhaben, an deren Ende oft 8 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete gefordert wurde, hatten sich die Betroffenen verschiedener Häuser zu einem „Pankower Mieterprotest“ zusammengeschlossen. Nach Druck aus dem Abgeordnetenhaus und der BVV gibt es in Pankow seit 2013 einen „Pilotvertrag“. Darin verpflichtet sich die Gesobau, bei ihren Sanierungen eine unabhängige Mieterberatung einzuschalten.
Senat schweigt
Zur Ablehnung der Kandidaten wollte sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht äußern. Baustaatssekretär Engelbert Lütke Daldrup (SPD) verwies darauf, dass die Kandidaten von einer unabhängigen Wahlkommission geprüft worden seien und nicht von den städtischen Gesellschaften selbst. Dieses Argument will Mietenvolksentscheid-Sprecher Taheri nicht gelten lassen. „Die Wahlkommissionen wurden vom Vorstand der landeseigenen Gesellschaften eingesetzt“, sagte er der taz. „Sie sind also nicht unabhängig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“