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Lagebericht der Amadeu Antonio StiftungAlles voll mit Antisemitismus

Der Ukraine-Krieg zeigt, wie verbreitet Judenhass ist – und bedroht ukrainische Shoah-Überlebende direkt. Rund 100 wurden nach Deutschland evakuiert.

Putin als Hitler: ein problematischer Vergleich Foto: Remco Koers/imago

Berlin taz | Antisemitismus ist in Deutschland Alltag. Im Kontext des Ukraine-Kriegs haben sich antisemitische Erzählungen normalisiert und sind in allen Gesellschaftsschichten und politischen Lagern anschlussfähig. Das ist das Fazit des neunten Lagebilds zum Thema Antisemitismus, das die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) am Mittwoch veröffentlicht hat.

Im Kontext des Ukraine-Kriegs zeige sich die Allgegenwart von antisemitischen Erzählungen besonders deutlich, erläuterten die Ex­per­t:in­nen der AAS. Auf der pro-ukrainischen Seite würden geschichtsrevisionistische Hitler- und Shoah-Vergleiche bemüht, auf der anderen Seite betrieben deutsche Putin Un­ter­stüt­ze­r:in­nen eine schockierende Täter-Opfer-Umkehr, indem sie provokant einen Davidstern (oder auch „Russlandstern“) tragen.

Auch russische Po­li­ti­ke­r:in­nen instrumentalisierten den Nationalsozialismus, um den Angriffskrieg zu legitimieren, so die Expert:innen. Und online reproduzierte etwa eine antisemitische Tik-Tok-Challenge einen problematischen Ukraine-Palästina-Vergleich. So erreiche der Antisemitismus auch ein junges Publikum.

Der Krieg gegen die Ukraine sei auch ein Krieg gegen die Erinnerung an die Shoah und gegen jüdisches Kulturerbe, wie der Angriff auf die Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew exemplarisch zeige.

Verwandte in der Ukraine

Die russischen Attacken bedrohen aber auch das Leben von in der Ukraine lebenden Shoah-Überlebenden direkt. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) bemüht sich deshalb um eine Evakuierung der Shoah-Überlebenden nach Deutschland. Bisher konnten rund 100 Menschen aus dem Kriegsgebiet evakuiert und in deutschen Seniorenheimen untergebracht werden.

Aron Schuster, Direktor der ZWST, nannte die Evakuierung der Shoah-Überlebenden nach Deutschland eine „irrwitzige Ironie des Schicksals“ und betonte bei der Präsentation des Lagebilds am Mittwoch, dass die Evakuierung in das Land der Täter für die Betroffenen belastend und retraumatisierend sein kann.

Auch für die deutsch-jüdische-Community stelle der russische Angriffskrieg eine besondere Belastung dar, 45 Prozent von ihnen haben familiäre Beziehungen in die Ukraine. Diese besondere emotionale Betroffenheit der jüdischen Bevölkerung werde von der deutschen Dominanzgesellschaft nicht thematisiert oder anerkannt, so Schuster.

Auch außerhalb des Kriegskontexts grassiere der Antisemitismus in Deutschland. „Die Normalisierung hat um sich gegriffen“, monierte Tahera Ameer, Programmvorstand der AAS. Befürwortung der „Intifada“ auf Anti-Israel-Demonstrationen in Berlin-Neukölln verherrlichten antisemitischen Terrorismus, die Süddeutsche Zeitung reproduziere antisemitische Stereotype in einer Karikatur, die den ukrainischen Präsidenten als hinterlistigen Strippenzieher darstellt.

Antisemitismus sei in Deutschland allgegenwärtig und werde, ob bewusst oder aufgrund Ignoranz, von verschiedenen Ak­teu­r:in­nen für unterschiedliche politische oder wirtschaftliche Ziele eingesetzt.

Antisemitismus sei ein vielschichtiges Phänomen, was einheitliche Bekämpfungsbemühungen erschwere. Neben mehr Sichtbarkeit für die verschiedenen Facetten des Antisemitismus brauche es viel Kreativität und, im Kontext des Ukraine-Kriegs, vor allem russisch- und ukrainischsprachige Aufklärungsangebote, meinen die Ver­tre­te­r:in­nen der AAS.

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9 Kommentare

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  • Ich hätte mir gewünscht, dass Frau Fischer sorgfältiger den Inhalt ihres Artikes gewichtet.

    Der Artikel rückt die Unterbringung der Shoah-Überlebenden in Deutschland in die Nähe von Antisemitismus.

    Wenn laut Artikel eine der Kernbeobachtungen des Lagebildes Antisemitismus ist, dass sie nach Deutschland evakuiert werden, müsste man mit dem Schluss rechnen, Herr Schuster hätte sie besser nach Polen, ins Baltikum oder nach Israel evakuieren sollen.

    Im Unterschied dazu beschreibt die Amadeu-Antonio-Stiftung als Kernbeobachtung, dass die Leute durch Flucht und Evakuierung retraumatisiert werden, nicht vorrangig durch die Unterbringung in Deutschland. Das klingt schon ganz anders

    Die Retraumatisierung der ukrainischen Shoah-Überlebenden durch die Unterbringung in Deutschland ist völlig nachvollziehbar.

    Die Frage ist, ob sie ein Kern des Lagebildes Antisemitismus ist, wie es der Artikel suggeriert.

    Ähnlich verhält es sich mit der fehlenden Thematisierung oder Anerkennung der emotionalen Betroffenheit von Juden mit Verwandten in der Ukraine.

    Das bedeutet "Alles voll mit Antisemitismus"?

    Wenn das ein Kern des Antisemitismus in diesem Land wäre, wäre viel erreicht.

    Ansonsten handelt Frau Fischer den Antisemitismus aus dem Lagebild durch ein paar allgemeine Phrasen ab, und das war’s.

    Es ist manchmal nur eine Frage der Gewichtung, ob man nicht ungewollt antisemitische Narrative bedient.

  • 》Der Krieg gegen die Ukraine sei auch ein Krieg gegen die Erinnerung an die Shoah und gegen jüdisches Kulturerbe, wie der Angriff auf die Gedenkstätte Babyn Jar in Kiew exemplarisch zeige.《

    》Teile der Organisation der Ukrai­ni­schen Nationalisten (OUN) als Hilfs­po­li­zei waren an den Mas­sen­er­schie­ßun­gen in Babyn Jar – auf Deutsch “Wei­ber­schlucht” – beteiligt.《 (Quelle: ukraineverstehen.de/bauer-babyn-jar/ ) (das ist keine obskure Quelle, sondern die Internetpräsenz des "Zentrums Liberale Moderne" (Fuecks, Beck)

    "Im April 2015 erklärte dieWerchowna Rada, das ukrainische Parlament, die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten offiziell zu Unabhängigkeitskämpfern" de.m.wikipedia.org...cher_Nationalisten

    Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: 》Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, twitterte am 3. April: »Weder die Russen, noch die Deutschen haben das Recht zu bestimmen, wen die Ukrainer als Helden verehren. Stepan Bandera & Hunderttausende meine Landsleute kämpften sowohl gegen Hitler, als auch gegen Stalin für den ukrainischen Staat. Lasst uns in Ruhe mit euren Belehrungen.«《 www.juedische-allg...en-hochstilisiert/

    Vor allem seitens der Grünen wird dieser Krieg mit "Nie wieder" und spezifisch deutscher Verantwortung begründet, Robert Habeck, Annalena Baerbock haben beide z.B. auf Instagram ihre Besuche dort dokumentiert - wie kann es sein, dass dieser ukrainische Nationalismus, diese Verdrängung der Shoah, die der Botschafter Melnyk für sein Land repräsentiert, von ihnen so völlig ausgeblendet wird?

    • @ke1ner:

      Königsberg schreibt dort: 》Hier keine Belehrung, sondern ein Hinweis aus ganz persönlicher Sicht: Milizionäre der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) übernahmen nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Lwiw/Lwow/Lemberg am 30. Juni 1941 zum Teil die Kontrolle über die Stadt.

      POGROMEStatt aber Menschen vor Übergriffen zu schützen, heizten sie den Antisemitismus an und waren maßgeblich an Pogromen beteiligt: Die Juden Lembergs wurden misshandelt und einem für viele tödlich ausgehenden Spießrutenlauf ausgesetzt. Allein an diesem Tag wurden über 100 Menschen erschlagen und unzählige verletzt. Meine eigene Familie, mein Vater und meine Großeltern waren all dem ausgesetzt.

      In den darauffolgenden Tagen trieben Banderas Leute Tausende Juden in die Hände der Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei, die sie dann ermordeten. Ich kann nicht schweigen, wenn Mörder, Verbrecher und Antisemiten zu Helden hochstilisiert werden. Zur OUN und ihren Anführern bleibt mir nur eines zu sagen: Jimach Schemo weSichro – mögen ihre Namen und die Erinnerungen an sie getilgt werden《

  • Ich schaue mir regelmäßig alle Umfragen zum Thema Antisemitismus an, da ich mit Jugendlichen arbeite - und es für unerträglich halte, dass die jahrzehntelange Aufklärung über die ideologischen Grundlagen des NS so wenig nachhaltige Resilienz gegen diese toxische Verschwörungsideologie bewirken konnte.

    Allerdings frage ich mich schon, ob so manches definitorische Ziel über das, was Antisemitismus sei, nicht überzogen ist. Wenn ich auch überzogene historische Analogien ablehne, was bitte soll daran antisemitisch sein, ideologische Gemeinsamkeiten von NS-Ideologie und Wladimir Putins geschichtsmythologischer Selbstermächtigung zu einem genozidalen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung zu sehen? Die Erhebung der Ukrainer zum, aus Putins Sicht, ontologisch-negativen Menschentypus vermeintlicher Anti-Russen, denen eine eigenständige Existenzberechtigung unter dem Vorwand, sie seien zur eigenständigen Staatenbildung nicht fähig (in seinem Aufsatz vom Juli 2021 und den beiden Reden vom 21. und 23. Februar 2022) zur Legitimation eines Vernichtungskriegs, birgt ja nun tatsächlich ideologische Gemeinsamkeiten zu Hitlers Legitimation des Vernichtungskriegs gegen die Slawen in Osteuropa ("Mein Kampf", 2. Buch, 14. Kapitel).

    Auch die hundertausendfache Verschleuppung ukrainischer Kinder nach Russland, die von ihren Eltern oder Waisenhäusern geraubt und dort zu Russen umerzogen wurde, findet sich vorgeprägt in der Verschleppung und Zwangsgermanisierung polnischer Kinder unter nazideutscher Besatzung.

    Man kann über die Berechtigung solcher Vergleiche streiten - aber wie kann man hierin Antisemitismus erkennen? Die Verbrechen des NS reduzieren sich ja nicht auf den eliminatorischen Antisemitismus - ergo spielt der Vergleich doch nicht automatisch das Ausmaß des NS-Großverbrechens an Juden herunter.

    • @Anja Böttcher:

      Ich finde es bemerkenswert, dass der bisher tabuisierte Hitler/NS-Vergleich neuerdings als akzeptabler Diskussionbeitrag gilt, wenn er der Dämonisierung Russland dient; zumindest über die politisch-moralische Verfasstheit des deutschen Linksliberalismus sagt das einiges aus. In diesem Fall ist es aber noch haarsträubend historisch falsch: der nationalsozialistische Vernichtungskrieg hatte seinen Namen ja nicht umsonst: er war ein Krieg um Land, der mit der massenhaften und systematischen Ermordung der Bevölkerung einhergegangen ist (übrigens: auch für die Überlebenden war nie eine gleichberechtigte Rolle vorgesehen); der Unterschied zum russischen Irredentismus, der die Souveränität der Ukraine nicht aufgrund rassischer Differenz, sondern genau im Gegenteil aufgrund ethnischer Gleichheit anzweifelt, ist eigentlich offensichtlich. Es gibt in der Ukraine zwiefellos Kriegsverbrechen - ein Genozid oder gar ein Vernichtungskriegs ist allerdings etwas anderes, auch wenn diese Begriffe inflationär verwendet werden - Worte haben eine Bedeutung. Auch auf die Gefahr hin, mich hier zu wiederholen: ein bisschen weniger hasserfüllte Polemik und ein gewisser Wille, über Kriege und Krisen sachlich nachzudenken, tragen zum Verständnis sicher mehr bei als historisch nicht sonderlich fundierte NS-Vergleiche.

      • @O.F.:

        Die Verschleppung von Kindern ist auch Völkermord laut UN. Es gibt darüber hinaus den Begriff de kulturellen Völkermords der hier definitiv zutrifft.



        Ob der Krieg Russlands gegen die Ukraine ein Vernichtungskrieg ist hängt davon ab wie man einen solchen definiert, die Angriffe auf kulturelle Einrichtungen, Infrastruktur und Nahrungsmittelproduktion hat zumindest Aspekte eines Vernichtungskrieges.

  • Bei allem Respekt: es gibt reichlich Antisemitismus, in Rusland, in Deutschland. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt auch antisemitische Begleiterscheinungen und es gibt auch eine besondere Betroffenheit ukrainischstämmiger deutscher Juden. Ursächlich hat dieser Krieg aber rein gar nichts mit Antisemitismus zu tun und man muss auch nicht so tun, als es verwandte Motivlagen gäbe. Deutsche Nazis wären auch ohne jeden antisemitischen Beiklang für Putin und der hat den Krieg nicht aus antisemitiven Motiven begonnen, immerhin gelten ihm seine ukrainischen Gegenspieler ja als Nazis. Man sollte diesen Krieg nicht mit noch einer Bedeutungsebene überlasten. Dazu ist das Leid in der Ukraine jetzt schon zu groß.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Deutsche Nazis wären auch ohne jeden antisemitischen Beiklang für Putin"



      Ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Nazis. darunter der III. Weg, haben sich mit der Ukraine solidarisiert.

      • @O.F.:

        Da sieht man, wie der Riss nicht nur durch die Linken geht, sondern auch durch die Rechten.

        Die rechten Putinsfans kommen aber anscheinend wirklich gut ohne Antisemitismus aus.